Arranca! Zu dieser Zeitung
ARRANCA, (span.): losmachen oder starten, anfangen, d.h. eigentlich im Imperativ: „leg endlich los". Wir legen los, weil wir es notwendig finden, für die Organisationsdiskussion jenseits der Vorschläge zum „Aufbau einer kommunistischen Partei" eine eigene Zeitung zu schaffen.
Seit Oktober 1991 besteht in Berlin die Gruppe ‚für eine linke Strömung" (FELS), die damals vor allem aus der Kritik der autonomen Bewegung entstand, - einer Kritik im übrigen, die wir hier nicht noch einmal wiedergeben wollen, sie ist als Reader erhältlich.
Eines der zentralen Ziele der entstehenden, sehr heterogenen Gruppierung war und ist es für eine politische Organisation in der radikalen Linken zu arbeiten. Nur so ließe sich eine Neuzusammensetzung, eine inhaltliche und praktische Umorientierung, die Zurückgewinnung von linker Definitionsmacht gewährleisten. Das Entstehen neuer Organisationen ist zwar keineswegs das einzige Kriterium notwendiger Neuorientierung, - den Heilsgedanken, Organisationsstrukturen könnten die Linke von fixen Problemen befreien, teilen wir nicht -, aber wir sehen die Frage als einen wesentlichen Bestandteil. Warum haben wir bei früheren Gelegenheiten zu begründen versucht.
Mit dem hier nur vage angedeuteten Anspruch tritt also auch diese Zeitung an, die aus fels hervorgegangen ist, aber nicht völlig mit der Gruppe identisch ist. Für uns geht es darum, mit ARRANCA ein Medium zu schaffen, das den Organisationsprozeß begleitet und hoffentlich weitertreibt. Zwar besitzen - wie die Erfahrungen mit der Berliner PROWO gezeigt haben - Zeitungsprojekte alleine leider kaum organisierende Wirkung, sie können bestenfalls Debatten strukturieren, aber als begleitendes Element sind sie sicherlich sinnvoll. Wir wollen damit vornewegstellen, daß nicht diese Zeitung, sondern die politische Arbeit, die von verschiedensten Gruppen (darunter auch Fels) geleistet wird, einen Organisationsprozeß ermöglichen wird oder auch nicht.
Man sollte einzelne Projekte nicht mit Hoffnungen überladen, und so ist ein Zeitungsprojekt wie dieses nicht Zentrum von Bemühungen, sondern eines von vielen notwendigen Elementen.
Ob wir mit dieser Zeitung wirklich eine Lücke füllen, wird sich zeigen. Unsere Erfahrung der letzten Monate war es zumindest, daß wir mit unserer politischen Zielrichtung im Augenblick in keinem anderen Blatt richtig Platz hatten. Der AK richtet sich seit der Übernahme durch die KB-Mehrheit mehr an ein linkssozialistisches, als an ein revolutionäres Spektrum (und war an Zusammenarbeit nicht interessiert), die meisten Szenezeitungen werden nur regional gelesen und sind zudem hauptsächlich Infoblätter, die Berliner Interim, die von den Zeitschriften der autonomen Bewegung vielleicht noch am ehesten überregionalen Charakter besitzt, ist eine Flugblattsammlung und kein Diskussionsforum (außerdem zensiert sie gerne unsere Beiträge), und die radikal kann aufgrund ihrer Kriminalisierung die für eine Debatte notwendigen Bedingungen von Kontinuität und Transparenz nur schwer leisten. Bleiben also interessante, aber wenig verbreitete Versuche, wie z.B. die Hannoversche Spezial.
Diese Zeitung orientiert sich denn auch ausdrücklich an zwei politischen Zielen: a) das Entstehen einer revolutionären Organisation mitzuermöglichen, d.h. Teil eines organisatorischen Rahmens zu sein und b) ein Forum für die linke Neubestimmung zu bieten. Für ARRANCA bedeutet dieser Anspruch folgendes: - wir glauben, daß Organisierung sich weder zufällig ergibt noch daß sie von einer Avantgarde- Gruppe zu bewerkstelligen ist. Unsere Zeitung soll ein offenes Forum sein. Für uns wird sie nur Sinn machen, wenn sie von anderen Gruppen und Personen, die an einem Neukonstituierungsprozeß interessiert sind, angenommen wird. Wir hoffen, daß andere Leute Schwerpunkte dieser Zeitung mitsetzen und -füllen werden, und daß wir ein heterogenes Blatt machen werden, das Widersprüche zulassen kann.
Auf der anderen Seite aber halten wir auch nichts von redaktioneller Beliebigkeit. Damit eine Organisierung nicht im Sande verläuft, müssen wir Diskussionen strukturieren können, d.h. wir müssen Schwerpunkte setzen und uns mehr Gedanken machen, als nur wie wir die nächste Ausgabe füllen könnten. Wir wollen kein elitäres Blatt, in dem nur linke Intellektuelle und Wortführerinnen zu Wort kommen, aber eben auch keine Flugblattsammlung. - um das Entstehen einer Organisation zu ermöglichen, müssen unserer Meinung nach theoretische und historische Lücken wieder gefüllt werden. Manchmal wird es einfach nur darum gehen, verloren gegangene Theorieansätze neu zu entdecken. Wir werden deshalb unsere Zeitung nicht vorrangig an der Aktualität orientieren, sondern in Form von Serien, Dokumentationen und einem Themenschwerpunkt pro Heft versuchen, bestimmte Fragen, die unserer Meinung nach für die Neubestimmung wesentlich wären, wieder in Erinnerung zu rufen. An was für Fragen wir dabei denken, dazu gleich unten noch mehr. - wir glauben, daß zur Neubestimmung auch gehören müßte, nicht unmittelbar-politische Aspekte, die von der Linken ausgeblendet werden, stärker zu berücksichtigen. Es gibt eigentlich keinen gesellschaftlichen Bereich, der für die Linke vernachlässigbar ist. Wir als Redaktion können die anzustrebende Reichweite natürlich nicht abdecken, aber wir wollen auf jeden Fall mehr sein als nur ein Diskussionsblatt zu Politik. D.h. Reportagen, ein breiter Kulturteil, und ein hoffentlich immer weniger „politisch bornierter" Horizont sollten das Bild ARRANCAS bestimmen - aus dem obengenannten ergibt sich natürlich auch, daß wir uns primär an die Linke (wobei wir diesen Begriff sehr weit fassen) und nicht an ein Massenpublikum richten. Theoretische Debatten werden die Zeitung wie in dieser Ausgabe prägen und den LeserInnenkreis ganz schnell in der Weise einschränken, daß viele unsere Fragestellungen für „zu weit weg" halten. Trotzdem finden wir es richtig, Diskussionszeitung zu sein. Zwar glauben wir auch, daß die Linke heraus muß aus ihren WGs, Zirkeln und Kleinstgruppen, aber um das zu schaffen, muß sie eben auch grundlegend theoretisch diskutieren. Man kann in einer Zeitung nicht alles gleichzeitig schaffen, was notwendig wäre: sich verständlich an eine breite Öffentlichkeit richten, neue Leute mit den Themen, die sie beschäftigen, ansprechen, und ein Forum für die linke Neubestimmung sein.
Wie an dieser Ausgabe bereits ersichtlich liegt das Hauptgewicht ARRANCAS im jeweiligen Themenschwerpunkt. Durch ihn wollen wir einen roten Faden der Zeitung herstellen und die Organisationsdiskussion an verschiedenen Punkten vorantreiben. Für die nächsten Ausgaben halten wir vor allem 3 Auseinandersetzungen für zentral:
- Selbstschulung, Lernprozesse, Pädagogik, Erfahrensvermittlung; wir gehen davon aus, daß die Einbindung von neuen Leuten in politische Strukturen eine der größten Leerstellen in der BRD - Linken der letzten Jahre war. Außer in der DKP und den K-Gruppen, bei denen allerdings die Lernprozesse zumeist wenig emanzipatorisch verliefen, hat sich die konsequente Linke kaum Gedanken gemacht, wie eine politische Struktur wachsen und wie ein sozialer Zusammenhang (den jede Organisationsform darstellt) auch die objektive Emanzipation (d.h. Lernen) beinhalten kann. Bei diesem Schwerpunkt fänden wir es wichtig, uns z.B. mit sozialistischen und kommunistischen Bildungsvereinen vor 1933, mit den Selbstschulungskonzepten in Westeuropa nach 1968 oder der antiautoritären Pädagogik auseinanderzusetzen, - um die Idee nur grob zu umreißen.
- Diskussion über Antifa - und Antirassismus - Politik; wir glauben, daß die Linke von der moralisch motivierten Empörungs- und Reaktionspolitik zu einer eigenen Strategie kommen muß. Zwar kann man keine Strategien am grünen Tisch entwerfen, aber wir sind trotzdem der Meinung, daß eine systematischere Diskussion über verschiedene Antifa - Ansätze notwendig ist. Ob wir einen solchen Schwerpunkt füllen können, hängt wesentlich von der Beteiligung anderer Gruppen und FreundInnen ab.
- die Geschichte des bewaffneten Kampfs; über die Bedeutung des Punktes muß man wahrscheinlich wenig sagen. Wesentlich wäre für uns, die vergessenen, schwarzen Flecken aufzuhellen, die Bedeutung, die der bewaffnete Kampf in den letzten 25 Jahren weltweit hatte, herauszuarbeiten und jetzt, wo es eine breite Diskussionsbereitschaft gibt, über Erfolge und Mißerfolge zu reden.
Für uns steht fest, daß wir diese Schwerpunkte, die jeweils eines der nächsten Heft füllen sollen, nicht allein erstellen werden können. Wir wollen es auch nicht. ARRANCA soll - wie schon oben gesagt - ein Forum für unterschiedliche Standpunkte sein, und von anderen Gruppen und Personen genützt werden. Wir wissen zwar, daß eine derart ins Blaue hineingemachte Aufforderung in der Regel wenig bewirkt, und wir werden durchaus auch persönlich auf andere zugehen, aber trotzdem sollte diese Einladung im Vorwort nicht fehlen. Wer mit uns an dem Zeitungsprojekt arbeiten möchte, kann uns an die im Impressum genannte Adresse schreiben.
Ansonsten nur noch ein paar Sätze zu dieser ersten Nullnummer. Die Organisationsfrage steht, wie nicht anders zu erwarten war, im Mittelpunkt: ein Rückblick auf die Organisierungsformen der BRD - Linken in den letzten 25 Jahren, Thesen zur Neukonstituierung der Linken, eine konkrete Aufforderung zur Zusammenarbeit an Gruppen, die unsere Kriterien in etwa teilen, ein Interview über konkrete Erfahrungen der kolumbianischen politischen Organisation A LUCHAR und die Dokumentation des von Dutschke/Krahl 1967 vor der Delegiertenkonferenz des SDS gehaltenen „Organisationsreferats" füllen den Schwerpunkt. Wir hoffen damit das Thema von den verschiedensten Seiten, historisch, aktuell, praktisch und theoretisch darzustellen.
Zu sehen an dem Heft ist auch, daß es in der Redaktion bedeutende Widersprüche gibt. Auch wenn uns der Begriff „Fraktionen" mißfällt, weil er beinhaltet, daß wir uns bereits für eine Position eindeutig entschieden haben und diese nur noch verteidigen, gibt es unterschiedliche Gewichtungen: nicht alle messen der Organisationsfrage gleiche Bedeutung bei, einige haben einen „Lenin-freundlicheren" Standpunkt als andere „sozialrevolutionärer" geprägte, und bestimmend ist - auch wenn sich das in der Zeitung vielleicht nicht auf den ersten Blick niederschlägt - der unterschiedliche Sprachgebrauch von Ost und West. Kurzum die Auseinandersetzungen sind heiter bis heftig.
So extrem zueinander konträre Standpunkte, wie sie etwa von eingefleischten VerteidigerInnen des Marxismus - Leninismus oder den Autonomie - und Massenrevolten - AnhängerInnen vertreten werden, gibt es allerdings nicht. - Im übrigen, was wahrscheinlich in einer gemischten Redaktion auch schwer zu erwarten wäre, auch keine radikal - feministische Position. Trotzdem hoffen wir, daß es gelungen ist, ein wenig von der notwendigen Unterschiedlichkeit in dieser Ausgabe zusammenzukriegen.
die redaktion
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