Gefangene der Erde, kommt raus!

DruckversionEinem Freund oder einer Freundin senden

Navigare necesse es. Vivare no es necesse. (Reisen ist notwendig. Leben ist nicht notwendig.)

 

Diese Worte inspirierten die Seefahrer, die im fünf­zehnten Jahrhundert Segel setzten, um in das gewaltige Neuland unbekannter Ozeane vorzustoßen. Der Welt­raum ist das Neuland unserer Tage. Steht dieses Neu­land der Jugend offen? Ich zitiere den Londoner Express vom 30. Dezember 1968, Seite 4: „Wenn Sie ein kräftiger junger Mann sind unter fünfundzwanzig und mit blitzschnellen Reflexen, der im Himmel und auf Erden keine Furcht kennt und große Abenteuerlust ver­spürt, dann brauchen Sie sich erst gar nicht um den Job eines Astronauten bemühen." Sie wollen „gelassene Familienväter", die Verbindungsdrähte von einer Tau­cherlunge zu der „besseren Hälfte" hinter sich her schleppen. Dr. Paine vom Raumfahrtszentrum in Hou­ston sagt: „Dieser Flug war ein Triumph für die Phili­ster dieser Welt, die keine Hippies sind, die vielmehr mit dem Rechenschieber umgehen und sich nicht schä­men, gelegentlich ein Gebet zu sprechen." Ist das das große Weltraumabenteuer? Werden diese Männer in Regionen verstoßen, die in Wortbegriffen buchstäblich unvorstellbar sind? Wer im Weltraum unterwegs ist, muß den alten Wortmüll hinter sich lassen: Gottesge­schwätz, Vaterlandsgeschwätz, Muttergeschwätz, Lie­besgeschwätz, Parteiengeschwätz. Er muß lernen, ohne Religion, ohne Vaterland ohne Verbündete zu leben. Er muß lernen, allein in der Stille zu leben. Jeder, der im Weltraum betet, ist nicht dort.
Das letzte Neuland bleibt für die Jugend verschlossen. Es gibt jedoch viele Wege zum Weltraum. Völlige Frei­heit von Abhängigkeiten der Vergangenheit zu errei­chen, heißt, im Weltraum zu sein. Techniken zum Errei­chen dieser Freiheit gibt es. Diese Techniken werden verborgen und zurückgehalten.
Im Folgenden dokumentieren wir Auszüge aus den 1969 geführten Gesprächen mit dem französischen Journali­sten Daniel Odier. („Der Job", erschienen 1973 in Köln bei Kiepenheuer & Witsch). Nach drei Bypass-Opera­tionen im vergangenen Jahr lebt der Neunundachtzi­gjährige zurückgezogen in Aspen, Colorado

William S. Burroughs;

Barmixer, Privatdetektiv, Kammerjäger, Junkie, Weltreisender und vor allem Wortarbeiter. Gehörte in den 60'er Jahren neben Allen Ginsberg, Jack Kerouac, Neal Cassidy zu den Begründern der sogenannten Beat-Generation. War sein erster autobiogra­phischer Roman „Junkie" noch den herkömmlichen Erzählmetho­den verpflichtet, entwickelte er im Laufe der Jahre verschiedene Verfahren (cut-up, fold-in), diese konventionellen Erzählgewohn­heiten aufzubrechen —immer mit der Prämisse arbeitend, daß die Sprache eines der wichtigsten Mittel der Macht und Unter­drückung ist. In diesem Zusammenhang beschäftigte er sich intensiv mit den verschiedensten altertümlichen und neuzeitlichen Erscheinungsformen von Manipulationsmechanismen. So entstan­den unter anderem die Romane ,,The Naked Lunch",,,Nova­Express", „Soft-Machine", „Auf der Suche nach Yage", „Homo". Verwiesen sei auch auf seine Zusammenarbeit mit Laurie Ander­son sowie seine Beteiligung an dem Film „Drugstore Cowboy".

1. Word Up - Burroughs über Sprache

W.B. Das Wort ist natürlich eines der mächtigsten Kon­trollinstrumente, wie sich das die Zeitungen zunutze machen - und dasselbe gilt für die Bilder; die beiden Dinge gehören zusammen, es gibt Wörter und Bilder in Zeitungen ... Wenn man sie nun zerschneidet und neu anordnet, zerstört man das Kontrollsystem. Furcht und Vorurteil werden immer mehr vom Kontrollsystem diktiert, genauso wie die Kirche ein Vorurteil gegen Häretiker aufgebaut hat; die Bevölkerung kannte es nicht, es wurde von der Kir­che diktiert, die zu der Zeit die Kontrolle hatte.

D.O. Sie verwenden oft das Schweigen als Mittel des Terrors, Sie nennen es einen >Virus<, der die Figuren zu unbedeutenden Nullen redu­ziert. Wofür steht dieses Schweigen?
W.B. Schweigen ist für mich keineswegs ein Mittel des Terrors. Ganz im Gegenteil. Schweigen ist nur für die Leute furchterregend, die zwangsläufig alles in Worte fassen. Wie Sie wissen, gibt es jetzt diese absolut reizfreien Kammern und Medita­tionskammern; die Univer­sität von Oklahoma hat eine. Nun, man hat Marineinfante­risten hingeschickt, und nach etwa zehn Minuten waren sie total verrückt: sie konnten das Schweigen und die Einsamkeit nicht ertra­gen, wegen der inneren Widersprüche, die sie sonst mit Worten überspielen kön­nen; Gerald Heard dagegen ging mit einer vollen Dosis LSD hinein und blieb drei Stunden drin. Ich persönlich lasse mich von Schweigen keineswegs aus der Fassung bringen. ja, für mich kann es nicht ruhig genug sein. Ich würde sagen, Schweigen ist nur für die Leute ein Mittel des Terrors, die einfach den Mund nicht halten können. Weil sie wie unter Zwang alles in Worte fassen müssen und ... auf solche Leute können wir ohnehin verzichten ...

D.O. Sind Sie der Meinung, daß sich das klassische phi­losophische Denken schäd­lich auf das menschliche Leben ausgewirkt hat?
W.B. Nun, es ist völlig über­holt. Das aristotelische >Ent­weder:Oder> - eine Sache ist entweder dies oder das - ist einer der großen Irrtümer westlichen Denkens, weil es überhaupt nicht mehr stimmt. Diese Art zu denken entspricht nicht mal mehr dem, was wir heute über das physikalische Universum wissen.

D.O. Warum ist es so lange akzeptiert worden?
W.B. Es gibt gewisse For­meln, Wortfesseln, die einen gesamten Kulturbereich jahrtausendelang festlegen. Etwas anderes ist zum Bei­spiel das aristotelische „Ist“ der Identität: Dies ist ein Stuhl. Es ist aber, was immer es auch sein mag, kein Stuhl, es ist nicht das Wort Stuhl, es ist nicht der Begriff Stuhl. Der Gedanke, daß der Begriff der Gegenstand selbst sei, führt zu allen möglichen wortreichen Aus­einandersetzungen, weil man mit Begriffen umgeht und dabei glaubt, mit den Gegenständen selbst umzu­gehen. Ja, ich würde mit allem Nachdruck zustimmen, daß Aristoteles, Descartes und diese ganze Art zu denken äußerst verdummend sind und nicht mal mehr dem entsprechen, was wir heute über das physikalische Universum wissen, und besonders deshalb verhee­rend sind, weil sie immer noch die ganze akademische Welt lenken.

D.O. Sind die Leute, die sich in ihren, wie Sie es nennen, >Mülltonnen aus Worten< rekeln, überhaupt noch fähig, die Gewaltätigkeit Ihrer Worte zu empfinden, oder ist physische Gewalttätigkeit nötig, um sie aus ihren Mülltonnen zu holen?
W.B. Ganz allgemein würde ich sagen, daß Leute, die von Worten gefesselt sind, bei meinen Büchern überhaupt nichts empfinden, außer automatische Ablehnung. Wahr­scheinlich ist es nötig, physi­sche Gewalttätigkeit zu Hilfe zu nehmen, was ja überall geschieht. Es scheint keine Alternative zu geben, da die Establishments von ihren Grundvoraussetzungen nicht abgehen wollen.

TEXTBEISPIEL

Der Bezirksvorsteher im schäbigen Büro den Schatten des Spätnachmittags in den Augen reichte so ruhig und grau wie eine weise alte Ratte eine mit der Maschine geschriebene Seite über den Schreibtisch. Beziehungen zwischen Menschen die übe­reinstimmende Zugänglichkeit sexualisieren schwängern ambivalent mit Mündungen Perspektiven ist meine ich grundsätzlich zu fragen nach unterstützenden latenten Kon­stellationen wechselseitig nach Richtung oder Vektor verlangend durch die erkenn­bare menschliche Erinnerung an solche sich nähernden Erbitterungen eine verzwei­felt kraftlose gesellschaftliche Schläfrigkeit träge Negierung durch eine anerkannt gut informierte latente Übereinstimmung von Natur aus mit gewohnten menschlichen Techniken beauftragt Neuinszenierungen notwendiger Korrespondenzen verflech­tend gegenseitig abzuleiten aus komple­mentären Verinnerlichungen zusammenlaufen kommunizierte wechselseitige analoge Metaphern mit diesen unbarmherzigen erfolgreichen diagrammatischen Schemata verbrecherisch erkennbare Nebeneinanderstellungen zur Verleumdung oder Ver­klärung einer pulsierenden Vielfalt von Widersprüchen in linguistischen Engage­ments übertrieben steinige Redensarten dreschend geschärft durch grammatikali­sche Gewalt die unter unbedingt verinner­lichter Konkordanz brodelt letzlich abzulei­ten von verspotteten oder ausgeplünderten kindlichen Vorstadtgenitalien die die Erbit terungen zu einer diagrammatisch kontrapunktischen linguistisch kommunizierten Vielfalt von Andersartig­keit sexualisieren eine Eskalation der verbrecherischen Vorbereitungen in mitwirkend banaler Privatisierung Konzentrate irrelevanter Hysterie unterstützend falsch informierte Perspektive der Negierung ambivalent trä­ger oppositionell verflechtend verzweifelt erkennbar letztlich beauftragt zu dreschen kreischend ungebildete Menschen würden verleumden oder verklären mit Mündungen Möglichkeiten geschwängert anerkannt gut informierte Korrespondenzen gesellschaftlicher Übereinstimmung ungeachtet der komplementär struk­turalisierten Konstellationen unbarmherzig Nebeneinanderstellung gegenseitiger Abhängigkeit von notwen­diger und präzise Wechselseitiger Übereinstimmung letztlich bedingt durch kommunizierte linguistische Konkordanz solcher vertraglich analoger unerläßlich kindlicher Vorbereitungen geschwängert zugängliche menschliche Korrespondenzen oder Beziehungen zwi­schen menschlich verinnerlichter Konkordanz unbe­dingt nach Richtung oder Vektor verlangend durch irrelevante genähert abzuleitende zusammenlaufende Erbitterungen latent schlecht informierte bedingte Unzulänglichkeit kommunizierte gesellschaftliche Ver­innerlichungen unbedingt ausgeplünderte kindliche Vorbereitungen übertriebenes Dreschen brodelnde Gewalt ungeachtet der kontrapunktisch kreischenden Nebeneinanderstellungen gegenseitige Abhängigkeit letztlich beauftragt gesellschaftlich erkennbar stmktura­lisierte wechselseitig falsch informierte unbedingt gleichzeitige Vielfalt von Andersartigkeit Perspektiven mitwirkend banal irrelevante Konzentrate mit Mündun­gen steinige Zwischenräume gradlinig unzugänglich.
Diese Perlen stammen aus einer jener Zeitschrif­ten, die von der CIA, wie sie selbst zugibt, subventioniert werden. Wenn man die Funktion des Wortes als eine Erweiterung unserer Sinne begreift, die mit den Augen des Autors sehen und erleben, dann könnte man das hier als blinde Prosa bezeichnen. Sie sieht nämlich nichts, und folglich sieht der Leser auch nichts. Kein Bild in einem Betonmischer dieses Wortbreis. Als literarische Übung nehme ich eine Rimbaud-Übersetzung und wähle Bilder aus, um sie in entsprechender Neben­einanderstellung in diese farblose vampirische Prosa einzubringen, die, da sie selber keine Farbe hat, vom Leser Farbe stehlen muß.

solche vertraglich zugängliche linguistisch strukturalisierte Vorbe­reitungen an blauen Abenden werde ich die Wege hin­untergehen im Traum spüre dabei die Kühle meiner Füße nach Richtung oder Vektor verlangend von der Ableitung nach zusammenlaufenden Erbitterungen (...)
(...) die Frage nach ausgeplünderter Übereinstimmung es regnet verinnerlichte Konkordanz Morgendämmerung steigt auf wie ein Flug Tauben sanft auf die Stadt Zittern von Jalousien um vier Uhr und das gelbe blaue Erwa­chen konzentriert den Schlaf der Liebe auf Mündungen Sommer Zugänglichkeit den dürren Hund verinnerlichte Feuerblumen Alles was sie tun können kannst du besser tun. Nimm ein Wörterbuch und mische deine eigenen linguistischen Viruskonzentrate Feuer brenn und Kessel brodle misch es schwarz und misch es stark die Leute kränkten dich gar arg erwidere ich zusammenlaufend den Satz ... Die hier gebrauchten Worte beziehen sich auf nichts. Die hier gebrauchten Worte haben keinen Bezug.

2.Mayas & Mass-Media - Bur­roughs über Manipulation

D.O. Hat Ihr Interesse an der Mayakultur mit der Bewußtseinserweiterung zu tun, die sie bei ihren Lesern anzure­gen versuchen?
W.B. Die alten Maya hatten einen der präzisesten und hermetischsten Kontroll-Kalender, die je auf diesem Planeten benützt worden sind, einen Kalender, der letz­ten Endes kontrollierte, was die Bevölkerung an jedem belieben Tag tat, dachte und empfand. Eine Untersuchung dieses Mustersystem erhellt moderne Methoden des Kon­trollierens.
Den Kalender zu kennen, war das Monopol einer Prie­sterkaste, die ihre Stellung mit einer minimalen Polizei- und Militärmacht behauptete. Die Priester mußten von einem sehr genauen Kalender für das tropische Jahr ausgehen, bestehend aus 365 Tagen, aufgeteilt in 18 Monate zu je zwanzig Tagen und eine abschließende Periode zu fünf Tagen: Den >Ouab-Tagen<, die als besonders unheilvoll galten und es dem­zufolge auch wurden.
Ein genauer Kalender war für die Begründung und Behauptung der Priestergewalt ganz wesentlich. Die Mayas hingen fast vollständig von der Maisernte ah, und im Ackerbau verfuhr man nach einer Brandrodungsmethode. Diese Methode verlangt einen genauen Zeitplan. Das Gestrüpp muß rechtzeitig geschnitten werden, damit es trocknen kann, bevor die Regenzeit beginnt. Wenn man sich um ein paar Tage verrechnet, kann man damit die Ernte eines ganzen Jahres verlieren.
Zusätzlich zum Jahreskalen­der, der den Ackerbau regu­lierte, gab es einen heiligen Almanach von 260 Tagen. Dieser Zeremonialkalender bestimmte dreizehn Feierlich­keiten zu je zwanzig Tagen. Der Zeremonialkalender rollte durch das Jahr wie ein Rad, und demzufolge fielen die Feierlichkeiten jedes Jahr in eine andere Zeit, aber die Reihenfolge blieb immer gleich. Die Feierlichkeiten setzten sich zusammen aus religiösen Zeremonien, Musik, Festgelagen und gele­gentlich auch Menschenop­fer. Entsprechend konnten die Priester die Zukunft und Vergangenheit berechnen und genau festsetzen, was die Bevölkerung an jedem belie­bigen Tag tun, hören oder sehen würde. Das allein hätte es ihnen möglich gemacht, mit beträchtlicher Genauigkeit die Zukunft vorauszusagen oder die Vergangenheit zu rekonstruieren, denn sie konnten für jeden beliebigen Tag bestimmen, welchen Bedingungen die Bevölke­rung unterworfen werden würde oder unterworfen wor­den war, eine Bevölkerung, die viele Jahre lang in herme­tischer Abgeschiedenheit lebte, geschützt von unweg­samen Bergen und Urwäldern vor der Flut der Invasoren, die in großer Zahl vom zen­tralen Hochland Mexikos herunterströmte.
Wir haben allen Grund, die Existenz eines dritten Geheimkalenders anzuneh­men, der darauf verwies, wie das Volk unter dem Deck­mantel von Feierlichkeiten in präziser Reihenfolge gefügig zu machen war, genauso wie ein Zauberkünstler auf der Bühne mit viel Rhetorik und Schau von seinen Handbewe­gungen ablenkt, damit ihm das Publikum nicht auf die Schliche kommt. Es gibt viele Methoden, mit denen sich Leute gefügig machen lassen. Damit konnten also die Prie­ster berechnen, was das Volk an einem Tag sah und hörte, und außerdem, was für Sug­gestionen an diesem Tag heimlich eingeprägt wurden. Um eine gewisse Vorstellung von diesem Geheimkalender zu bekommen, sollten wir uns mit dem >Reaktiven Geist< befassen, einem uralten Kontrollinstrument, dazu bestimmt, die Möglichkeit zu vereiteln oder doch einzu­schränken, das einer in kon­struktiver oder destruktiver Richtung tätig wird.
Das genaue Wesen des Reaktiven Geistes wird ver­traulich behandelt, da es Krankheit und ernste Störun­gen verursachen kann und deshalb will ich mich auf all­gemeine Erwägungen be­schränken. Der Reaktive Geist besteht aus konsequenten, folgerichtigen und wider­sprüchlichen Anweisungen, die Befehlscharakter haben und automatische Verhaltens­weisen bewirken, nicht weni­ger automatisch und unfrei­willig als die metabolischen Befehle, die den Herzschlag regulieren , die Verdauung, die Balance der chemischen Bestandteile in den Blutge­fäßen, die Hirnwellen.
Das Steuerzentrum des auto­nomen Nervensystems, das die Körpervorgänge und den Stoffwechsel kontrolliert, ist der Hypothalamus im Stamm­hirn. Ganz ohne Zweifel ist der Hypothalamus der neuro­logische Schnittpunkt, dem der Reaktive Geist eingeprägt wird. Man kann den Reakti­ven Geist als ein künstlich konstruiertes und höchst schädliches Steuerungssystem bezeichnen, das dem natürli­chen Steuerzentrum aufgepfropft wird. Der Reaktive Geist ist von beträchtlichem Alter, nimmt alle modernen Sprachen vorweg und manife­stiert sich dennoch in allen modernen Sprachen. Demzu­folge muß er sich auf ein Symbolsystem beziehen. Lind ohne Bischof Landas Ein­schreiten könnten wir heute durch Analogie feststellen, woraus dieses Symbolsystem bestand, da sich im Grunde genommen alle Kontrollsy­steme ähnlich sind. Bischof Lancia sammelte sämtliche Maya-Bücher, die er erwi­schen konnte, einen Stapel von annähernd zwei Meter Höhe, und verbrannte den ganzen Haufen. Bis heute haben sich nur drei authenti­sche Maya-Kodexe aufstöbern lassen, die diesen barbari­schen Akt überlebten.
Reaktive Geist-Befehle wer­den wirksam, weil sie sich auf tatsächliche Ziele, Bedürf­nisse und Abhängigkeiten der Betroffenen beziehen. Ein konsequenter Befehl ist ein Befehl, den man befolgen muß, als Konsequenz der Tatsache, daß man geboren ist, daß man >in einem menschlichen Körper existiert<. Ein folgerichtiger Befehl stützt sich auf das ele­mentare Bedürfnis, >Nahrung, Behausung, sexuelle Befriedi­gung zu suchen<, >im Zusammenhang mit anderen menschlichen Körpern zu exi­stieren<. Widersprüchliche Befehle sind gleichzeitig gegebene, sich widerspre­chende Befehle. >STILLGE­STANDEN!< Der Soldat erstarrt automtisch, wenn er den Befehl hört. >RÜHRT EUCH!< Der Soldat entspannt sich automatisch, Nun muß man sich einen Hauptmann vorstellen, der plötzlich in die Kaserne kommt und mit der einen Hälfte seines Gesichts >STILLGESTANDEN!< bellt und mit der anderen >RÜHRT EUCH!< ( was sich bei der Synchronisation eines Filmes ohne weiteres machen läßt). Der Versuch, zwei rundweg widersprüchliche Befehle, die beide automatische Verhal­tensweisen bewirken, zu befolgen, verwirrt den Solda­ten. Er kann mit Zorn, Apa­thie, Beklemmung, ja sogar mit einem Kollaps reagieren.
Ein anderes Beispiel: Ich gebe den Befehl >Hinsetzen<, und sobald der Befehl befolgt ist, bekommt die Versuchs­person eine Belohnung. Wird er nicht befolgt, bekommt sie einen starken Elektroschock. Habe ich die Versuchsperson so weit gebracht, daß sie automatisch gehorcht, mache ich nun genau dasselbe mit dem Befehl >Aufstehen<. Daraufhin gebe ich beide Befehle gleichzeitig. Das kann leicht zu einem totalen Kollaps führen, so wie Pawlows Hunde zusammen­brachen, als die Zeitabstände zwischen den widersprüchli­chen Signalen so kurz wurden, daß sich ihr Nervensy­stem nicht mehr anpassen konnte.
Betrachten wir uns ein wei­teres Paar Befehle, die sich gegenseitig widersprechen: >einen guten Eindruck machen<, >einen schlechten Eindruck machen<. Das bezieht sich auf viel elemen­tarere Ziele. Jeder will einen guten Eindruck machen. Selbstachtung, Lebensunter­halt, sexuelle Befriedigung hängen davon ah, daß man einen guten Eindruck macht.

Warum macht dann ein Mensch gerade dann, wenn er höchst verzweifelt versucht , einen guten Eindruck zu machen, den denkbar schlechtesten Eindruck? Weil er zusätzlich auch das Ziel verfolgt, einen schlechten Eindruck zu machen, eine Verhaltensweise, die unfrei­willig automatisch erfolgt. Dieses selbstzerstörerische Ziel ist eine solche Bedro­hung für seine Existenz, daß er dagegen reagiert. Er ist sich vielleicht dieses negati­ven Ziels bewußt, zumindest teilweise, aber er kann sich nicht direkt damit auseinan­dersetzen. Der Reaktive Geist besteht aus Zielen, die für den Menschen so widerlich oder furchterregend sind, daß er zwangsläufig gegen sie reagiert, und es ist genau diese Reaktion, die diesen negativen Zielen ihre Wirk­samkeit beläßt. Negative Ziele werden von der Furcht einge­impft.
Maya-Forschern ist es gelun­gen, einzelne Daten im 363­Tage-Kalender zu entziffern. Da es keine Querverweise gibt, die etwa dem Stein von Rosette (die Entzifferung der ägyptischen Schrift gelang erst 1822 mit Hilfe des 1799 gefundenen Steines von Rosette), vergleichbar wären, bleibt ein großer Teil der Auf­zeichnungen im Dunkeln. Wenn wir annehmen, daß die Aufzeichnungen mit Kontrolle zu tun haben, können wir weitergehen und sagen, daß sich alle Inschriften auf Daten beziehen und auf Ereignisse, Zeremonien, Hinweise, Bilder und planetarische Konstella­tionen, die mit Daten übe­reinstimmen. Jedes Kontroll­system ist von einem präzisen Zeitplan abhängig. Ein Hin­weis oder ein Bild kann ein­mal ganz harmlos sein, ein anderm'al aber vernichtend. So kann zum Beispiel >einen glänzenden Eindruck machen<, einen miserablen Eindruck machen< auf jeman­den ohne Wirkung bleiben, solange er nicht in einer Wettbewerbssituation steckt. Wenn sich derselbe Mann aber bemüht, zum Leutnant oder Priesteranwärter aufzu­steigen, läßt er sich durch die Aktivierung desselben Paares widersprüchlicher Befehle zuverlässig ausmerzen.
Dieser scheinbar so hermeti­sche Kontrollkalender brach auseinander, noch bevor die Azteken in Yukatan eindran­gen und lange bevor die Spa­nier kamen. Alle Konstrollsy­steme funktionieren auf einer Basis der Bestrafung und Belohnung. Wenn Bestrafung Belohnung überwiegt, wenn die Herrschenden keine Belohnungen mehr zu verge­ben haben, kommt es zu Revolten. Die ständigen For­derungen nach Zwangsarbeit an Tempeln und Stelen könn­ten, zusammen mit einer Hungersnot, der ausschlagge­bende Faktor gewesen sein. Oder möglicherweise hat irgendein vergessener Bolivar den Inhalt der geheimen Bücher preisgegeben. Auf jeden Fall rebellierten die Arbeiter, töteten die Priester und entstellten die Stelen und Tempel als die Symbole der Unterjochung.
Übertragen wir nun den Kontrollkalender der Mayas in die Moderne. Die Massenme­dien Zeitung, Radio, Fernse­hen, Zeitschrift bilden einen Zeremonialkalender, dem alle Bürger ausgesetzt sind. Die >Priester< verbergen sich schlau hinter Massen wider­sprüchlicher Daten und leug­nen lautstark, daß sie über­haupt existieren. Wie die Maya-Priester können sie durch Manipulation der Medien auf statistischer Basis die Vergangenheit rekonstru­ieren und die Zukunft voraus­sagen. Es ist die in den Zei­tungsarchiven aufbewahrte Tagespresse, die eine detail­lierte Rekonstruktion vergan­gener Daten ermöglicht. Wie können die modernen Prie­ster scheinbar zufällige Ereig­nisse der Zukunft voraussa­gen? Beginnen wir einmal mit den Massenmedien, die sich kontrollieren und vorhersa­gen lassen:
1. Layout. Das Format von Zeitungen und Zeitschriften läßt sich im voraus festlegen. Die Reihenfolge von Unter­haltungs- und Nachrichten­sendungen im Fernsehen läßt sich im voraus festlegen.
2. Nachrichten lassen sich aufbauschen und verharmlo­sen. Vor zehn Jahren wurden in England Verhaftungen im Zusammenhang mit Drogen in vier Zeilen auf der letzten Seite abgehandelt. Heute machen sie Schlagzeilen auf den Titelseiten.
3. Leitartikel und Leser­briefe. Die Biefe werden natürlich in Übereinstimmung mit vorgefaßten Richtlinien zur Veröffentlichung ausge­wählt.
4. Inserate.

Der moderne Zeremonialka­lender ist also beinahe ebenso voraussagbar wie der der Mayas. Und wie steht es mit dem Geheimkalender? Jede gewünschte Anzahl reaktiver Befehle läßt sich in Inseraten, Leitartikeln, Repor­tagen unterbringen. Solche Befehle sind im Layout und in der Nebeneinanderstellung der einzelnen Artikel mit ein­begriffen. Widersprüchliche Befehle sind ein wesentlicher Bestandteil der modernen industrialisierten Umwelt:
Das schafft einen riesigen Vorrat statistischer Nachrich­ten. Die unkontrollierbaren automatischen Reaktionen sind es ja, die für Nachrichten sorgen. Die Kontrolleure wis­sen, welche reaktiven Befehle sie aktivieren werden, und demzufolge wissen sie auch, was geschehen wird.
Widersprüchliche Anregung ist die Grundformel der Tagespresse: <Nimm Drogen. Alle tun es.< >Drogen neh­men ist FALSCH<. Zeitungen berichten über Gewalttätig­keiten, Sex, Drogen und dann kommen sie mit der alten RICHTIG-FALSCH-FAMILIE-KIRCHE-UND-VATERLAND-LEIER. Doch es geht zu Ende damit. Der moderne Kontrollkalender bricht aus­einander. In der sogenannten >freizügigen< Gesellschaft überwiegt jetzt Bestrafung Belohnung, und die jungen Leute wollen von den dürfti­gen Belohnungen, die ihnen geboten werden, nichts mehr wissen. Die Rebellion hat die ganze Welt erfasst.
Die gegenwärtigen Kontrol­leure haben einen Vorteil, den die Maya-Priester nicht kannten: ein überwältigendes Waffenarsenal, das die Rebel­len nie erwerben oder nach­machen können. Prügel und Speere kann jeder herstellen. Panzer, Flugzeuge, Schlacht­schiffe, schwere Artillerie und Kernwaffen sind das Monopol derer, die an der Macht sind. Da ihre psychologische Vor­machtstellung schwächer wird, verlassen sich moderne Machthaber immer mehr auf diesen Vorteil und halten ihre Stellung nur noch durch nackte Gewalt. (Wie freizügig ist die >freizügige Gesell­schaft<?)
Doch der Vorteil der Waf­fenbesitzer ist nicht so über­wältigend, wie er aussieht. Um die Waffen einsetzen zu können, brauchen die Kon­trolleure Soldaten und Polizei. Diese Wächter müssen unter reaktiver Kontrolle gehalten werden. Deshalb müssen sich die Kontrolleure auf Leute stützen, die durch die Kondi­tionierung - von entscheiden­der Bedeutung für ihe Rolle als Unterdrücker - immer dümmer und armseliger sind.

Epilog

„Wer Gewalt mit Gewalt allein bekämpft, formt das, was er bekämpft und wird selbst davon geformt. Die Geschichte zeigt, daß ein durch Gewalt umgeworfenes Regierungssystem durch ein in vieler Hinsicht ähnliches System abgelöst wird. Wer sich andererseits einer Gewalt, die zur Versklavung und Ausrottung führt, nicht entgegenstellt, wird selber versklavt und ausgerottet werden.“

ALLES GUTE DON QUIXOTE & DOKTOR BENWAY, THANX BILL. PEACE WE'RE OUT:

P.O.C. FOUNDATION

 

 

Trackback URL für diesen Artikel

https://arranca.org/trackback/562

Erschienen in arranca! #2

Kommentare

Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.
CAPTCHA
Diese Frage dient dazu, zu testen, ob sie ein Mensch sind. Auf diese Weise werden automatisch generierte Postings (Spam) vermieden.
Image CAPTCHA
Geben Sie die Zeichen ein, die im Bild zu sehen sind.