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Zur Politischen Ökonomie von Making Poverty History

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30.000 Menschen haben im Jahr 2001 in Genua gegen den G8-Gipfel und gegen die Ordnung der Welt, für die die G8 stehen, demonstriert. Nur vier Jahre später, im schottischen Gleneagles, waren ähnlich viele Menschen auf der Straße, doch diesmal anscheinend für den Gipfel. Unter dem Motto und dem Banner von Make Poverty History (MPH) hatten Tausende eine Menschenkette durch das Stadtzentrum von Edinburgh gebildet, während sich gleichzeitig einige der berühmtesten Popstars der Welt an Bonos und Bob Geldofs Live8-Konzerten beteiligten. An den 2. Juli 2005 wird man sich als den Tag erinnern, an dem sich die „Weltzivilgesellschaft“ versammelt hatte, um die G8 aufzufordern, die Welt besser zu machen.

In vielfacher Weise waren die Demonstration von MPH und die Live8-Konzerte nur der jüngste Ausdruck eines Prozesses, der in Großbritannien bereits Mitte der 1980er Jahre begonnen hatte. Im Kielwasser und mit dem Rückenwind der von Bob Geldof initiierten Projekte Band Aid, eine Schallplattenveröffentlichung angesichts der Hungersnot in Äthiopien 1984, und Live Aid, ein Benefitzkonzert 1985 zugunsten Afrikas, begann eine Zusammenarbeit zwischen entwicklungspolitischen NGOs, Wohltätigkeitsorganisationen und Popstars. Im Jahr 1997 war Bono, Sänger der Rockband U2, bereits zu einem der Sprecher von Jubilee 2000 ernannt worden, der Kampagne für einen Schuldenerlass für die Länder des Südens. Im Jahr 2002 gründete er u.a. mit Mitteln der Bill & Mellinda Gates Stiftung die Organisation DATA (Debt, AIDS, Trade, Africa).

Eine Art Koalition der Willigen

Zusammen mit Oxfam International und Action Aid spielte DATA seitdem eine Schlüsselrolle innerhalb des Netzwerks Global Call to Action against Poverty (G-CAP), einer breiten Koalition von NGOs, kirchlichen Gruppen, Gewerkschaften und Organisationen aus mehr als 100 Staaten. MPH stellt in diesem Bündnis den britischen Flügel, während Deutschland von Deine Stimme gegen die Armut repräsentiert wird.
MPH selbst besteht aus ca. 450 Organisationen, wobei die Beziehungen zwischen den Mitgliedsgruppen nicht immer ungetrübt waren. Vor allem das Agieren von Oxfam und Comic Relief führte zu Spannungen. Beide wurden dafür kritisiert, dass sie sehr schnell das Versprechen der EU, die europäische Hilfe zu verstärken, über den grünen Klee lobten und so der G8 in die Hände spielten. Die Unzufriedenheit wurde durch Veröffentlichungen noch verschärft, die das enge Verhältnis zwischen Oxfam und der Regierung von Tony Blair thematisierten. Dabei ging es nicht alleine um Oxfam’s Abhängigkeit von staatlichen Mitteln1, sondern auch um die engen personellen Überschneidungen der Organisation mit der Labour Party.

Verblendung der Verblender

Als Bono und Geldof 2005 das G8-Abschlusskommuniquee wohlwollend und unterstützend würdigten, erreichten die Spannungen innerhalb von MPH und zwischen der Koalition und Live8 ihren Höhepunkt. Geldof hatte verkündet: „Beim Thema Entwicklungshilfe bekommt das G8-Kommuniquee zehn von zehn Punkten, beim Thema Schulden acht von zehn. Zum Thema Handel ... hat dieser Gipfel ganz klar entschieden, dass es zu keiner verstärkten Liberalisierung kommen darf ... Das ist ein ernsthaftes und ausgezeichnetes Ergebnis zum Thema des internationalen Handels.“ Für alle, die das Abkommen genauer studiert hatten, war schnell klar, dass Geldof bestenfalls schlecht informiert war.
So bestand die versprochene Hilfe zum größten Teil keineswegs aus neuen Geldern, sondern aus einem Sammelsurium von angekündigten Schuldenerleichterungen und alten Zusagen. In Bezug auf die Schuldenproblematik hatten die G8 angeblich einen 100-prozentigen Schuldenerlass für 18 Staaten (davon 14 afrikanische Länder) angekündigt, der bald um weitere 20 Staaten erweitert werden sollte. In Wirklichkeit hatten die G72 lediglich versprochen, die Tilgungszahlungen von drei Schuldnerstaaten zu stunden. Und um dem ganzen die Krone aufzusetzen, war Geldofs Behauptung, der G8-Gipfel habe ein Ende der Politik der Handelsliberalisierung beschlossen, eine glatte Lüge. Viele der 18 Staaten haben erst kürzlich das neun Jahre dauernde neoliberale Strukturanpassungsprogramm des Internationalen Währungsfonds (IWF) abgeschlossen, wie es der Plan für hoch verschuldete Länder vorsieht.3 Weitere 20 Staaten sind weiterhin verpflichtet, dieses Programm zu durchlaufen.

Das Elend der Elendslinderer

„Afrika“ steht auch 2007 auf der Tagesordnung des G8-Gipfels, die Lobbyarbeit - mit Unterstützung durch Herbert Grönemeyer - von Bono und Geldof ist bereits angelaufen und DATA hat schon ein Berliner Büro eröffnet. Es ist also Zeit, sich die Frage zu stellen: Was können wir aus den Ereignissen in Großbritannien lernen? Wie ist die Inszenierung eines breiten Diskurses über Armutshilfe durch eine Konstellation von Akteuren zu verstehen, die von Teilen von MPH über Live8 bis zu britischen Regierungsmitgliedern reicht?
Eine Erklärung für die Funktionsweise dieser erstaunlichen Allianz von NGOs und Machtstrukturen innerhalb der globalen politischen Ökonomie liefert der US-Ökonom George Caffentzis. Der Neoliberalismus, so Caffentzis, braucht angesichts seiner Krise einen „Plan B“ und Jeffrey Sachs, der frühere IWF-, Weltbank- und OECD-Berater, ist einer seiner AutorInnen.4 Folgt man Sachs, so ist eine richtig organisierte neoliberale Globalisierung der einzige Ausweg aus der Armut für Milliarden von Menschen – und die einzige Option für das Überleben des Kapitalismus. Im Vorfeld des Gipfels in Gleneagles schrieb Sachs „The End of Poverty“ (mit einem Vorwort von Bono), um klar zu stellen, wie ein solches „richtiges Management“ der Globalisierung aussehen könnte.
Die Krux bei seinen Vorschlägen liegt dabei in den zwei Definitionen von „extremer Armut“: „Extrem arm“ seien danach Haushalte, die ihre Grundbedürfnisse nicht befriedigen können, sowie Haushalte, deren Einkommen weniger als ein USDollar pro Tag und Person beträgt. Dabei impliziert die zweite Definition offenkundig die erste, denn wer von den Gütern und Dienstleistungen leben muss, die man in den USA für einen US-Dollar kaufen kann, ist in der Tat „extrem arm“. Nach den Regeln des Kapitalismus wäre eine solche Person faktisch tot, doch nach Sachs eigenen Berechnungen soll diese zweite Definition angeblich auf 1,1 Mrd. Menschen zutreffen. Des Rätsels Lösung liegt darin, dass die „extrem Armen“ nach dieser Definition auch jene beinhalten, die sich – zumindest teilweise – außerhalb kapitalistischer Marktbeziehungen reproduzieren, etwa durch die Bebauung von Gemeindeland.

Pop für einen globalen Keynesianismus

Sachs übernimmt die Rolle eines John Maynard Keynes des 21. Jahrhunderts. Er versucht, Krisen durch kurzfristige „politische“ Eingriffe in „die Wirtschaft“ zu umschiffen. Dabei weigert er sich hartnäckig, in eine Diskussion über die „Gerechtigkeit“ des Kapitalismus hineingezogen zu werden. Er schlägt Investitionen in kostenlose Schulbildung, Ernährungsprogramme und (Ab-)Wassersysteme vor. Dadurch sollen bis 2025 über eine Milliarde Menschen aus der Armut heraus und – ganz wichtig – in den Arbeitsmarkt hinein geführt werden. In wahrlich keynesianischer Manier werden Vollbeschäftigung und die Ausweitung des Arbeitsmarktes zum Schlüssel für Wachstum und Stabilität. Im Unterschied zu Keynes richtet Sachs seine Vorschläge allerdings nicht an die nationalstaatliche, sondern an die globale Ebene.
Der Sachssche „Plan B“ ist bei seinen KollegInnen im Wissenschaftsbetrieb und in den Beraterstäben der Macht umstritten. Dennoch sind seine Argumente bemerkenswert, und zwar nicht nur, weil es sich dabei um einen „sensibleren“ Versuch der Steuerung der Weltwirtschaft handelt.5 Bemerkenswert sind vor allem die Netzwerke, in die Sachs eingebettet ist und in denen er sowohl Einfluss ausübt also auch selbst beeinflusst wird. Diese Netze reichen von Nationalstaaten über internationale Organisationen (wie die UNO) bis hin zu wichtigen Akteuren der „globalen Zivilgesellschaft“. Dennoch beschreibt der „Plan B“ eher eine Tendenz. Dass er zu einer dominierenden Entwicklung wird, ist möglich, aber nicht sicher.
Beim G8-Gipfel 2005 erlebten wir also die Inszenierung eines Diskurses über Armutsbekämpfung, an dem Staatsoberhäupter, Akteure der Zivilgesellschaft und die G8 selbst beteiligt waren. Dabei wurden die Wurzeln der Armut, die kapitalistischen sozialen Beziehungen, nicht in Frage gestellt sondern verschleiert. Für einige war das nichts weiter als eine Vernebelung, die es den G8-Chefs ermöglichte, um so ungestörter ihr neoliberales Programm voran zu treiben. Andere, wie Caffentzis, interpretierten dieses Schauspiel als Ausdruck eines neuen kurzfristigen globalen Keynesianismus, der als Mittel zum letztlich neoliberalen Zweck dient.
Wie auch immer, die Aufgabe derjenigen von uns, die den Slogan von der anderen Welt, die möglich ist, ernst nehmen, ist es, diese Entwicklungstendenzen genau zu beobachten und dabei gleichzeitig Formen der politischen Praxis auszuprobieren, die in Konfrontation stehen zu den aktuellen wie auch den im Entstehen begriffenen Formen von Ausbeutung und Kontrolle. Ein wichtiger Schritt hin zu diesem Ziel ist die Vertiefung, Stärkung und Verbreiterung der globalen und lokalen Widerstandsnetzwerke durch eine klare Strategie der Delegitimierung des G8-Gipfels in Heiligendamm.

Anmerkungen

1 Jährlich bekommt Oxfam über 60 Mio. Euro von der britischen Regierung und aus öffentlichen Mitteln.

2 Die Staaten der G8 ohne Russland.

3 Higly Indebted Poor Countries Scheme.

4 Harvard-Professor und Jung-Star unter den marktradikalen PolitikberaterInnen. Sachs machte sich nach 1989 vor allem als Wirtschaftsberater in den nachsowjetischen Staaten um die radikale Durchsetzung von Marktstrukturen „verdient“.

5 „sensibler“ im Vergleich zu der Naivität doktrinärer Neoliberaler, für die diejenigen, die von den Marktgesetzen zum Tode verurteilt worden sind, ganz einfach verschwinden; und „sensibler“ auch im Vergleich zu deren konservativen GegenspielerInnen, die der Auffassung sind, diejenigen, die gegen ihre Armut rebellieren, könnte man einfach isolieren und wegbomben.

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Erschienen in arranca! #36

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