Der Elitenkonsens ist aufgekündigt

Gewerkschaften, Globalisierung und soziale Bewegungen

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In den westlichen Metropolen waren die beiden letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts durch eine tiefe Krise der Gewerkschaften charakterisiert. Nach dem Aufleben von Klassenkämpfen in den 1970er Jahren begann in den 1980er und 1990er Jahren die ökonomische, politische und ideologische Vorherrschaft des Neoliberalismus. Deregulierung, Privatisierung und Flexibilisierung waren die Schlagworte, mit denen konservativ-liberale Regierungen den Angriff auf Sozialstaat und Gewerkschaftsmacht eröffneten. In der Folge gerieten die Gewerkschaften in die Defensive und litten neben Mitgliederverlusten unter der Erosion ihrer Mobilisierungs- und Kampffähigkeit.

Desillusionierung und Enttäuschung machten sich breit und insbesondere in Ländern, die in den 1970er Jahren militante Streikbewegungen erlebt hatten, wuchs die Bereitschaft, sich an die Vorgaben von Staat und Kapital anzupassen, um nicht ganz von der politischen Bühne zu verschwinden. Doch auch in Deutschland, wo Streiks traditionell keine große Rolle gespielt haben, da die Gewerkschaften in sozialpartnerschaftlichen Rahmen „Wirtschaftsfrieden“ garantierten, begannen die Arbeitnehmervertretungen zunehmend die Kapitallogik zu propagieren.

Der neoliberale Siegeszug

Diese gewaltige Veränderung der Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit ist auf die Neuformation des Kapitalismus seit den 1970er Jahren und die seit dieser Zeit zunehmende Arbeitslosigkeit zurückzuführen. Die um sich greifende Flexibilisierung und Deregulierung des Arbeitsmarktes zielte dabei nicht allein auf die Beseitigung flächendeckender tariflich gesicherter Normalarbeitsverhältnisse, sondern zugleich auf die Schaffung eines Niedriglohnsektors mit prekären Beschäftigungsverhältnissen, der durch Migration kontinuierlich „aufgefüllt“ wird und so einen permanenten Druck auf die noch tarifvertraglich gesicherten Arbeitsverhältnisse ausübt.
Folgen dieser Entwicklung sind die Krise der solidarischen Lohnpolitik und eine rasant zunehmende Lohnspreizung. Zugleich wird der Arbeitsprozess selbst restrukturiert und verstärkt an den Maximen der Vermarktlichung und des Wettbewerbs ausgerichtet; Rationalisierungsstrategien und der Einsatz moderner Technologien führten zudem zu erheblichem Beschäftigungsabbau. In der Folge haben sich im industriellen Sektor sukzessive „gewerkschaftsfreie Zonen“ ausgebreitet. In den an Bedeutung gewinnenden Dienstleistungssektoren waren die Gewerkschaften hingegen von jeher schwach vertreten. Ihren größten Einfluss hatten sie im öffentlichen Dienst, doch auch hier gerieten sie durch den Beschäftigungsabbau und die Privatisierungswellen seit den 1980er Jahren in die Defensive.
Darüber hinaus startete der Staat in den 1980er Jahren den direkten Angriff auf die gewerkschaftlichen Errungenschaften aus der Epoche des fordistischen Kapitalismus: Er begann die Reform der sozialen Sicherungssysteme als einen „Enteignungsprozess“ zu organisieren, in dem kollektive soziale Rechte und Sicherungen eingeschränkt bzw. zurückgefahren wurden, um auf diese Weise dem Finanzkapital neue Verwertungsmöglichkeiten zu erschließen.
Während sich die Gewerkschaften in den 1970er Jahren in vielen europäischen Ländern darauf verlassen konnten, dass ihre Interessen im politischen Feld von den sozialdemokratischen Parteien vertreten wurden, ist diese enge Bindung seit den 1990er Jahren endgültig zerschlagen. Sozialdemokratisch geführte Regierungen, die eine Politik der neoliberalen Modernisierung betrieben (Beispiel sind Tony Blair, Felipe Gonzales oder Gerhard Schröder in Großbritannien, Spanien und Deutschland), machten die Gewerkschaftsbewegung zu ihren Gegnern.

Damit nicht genug, wurden die Gewerkschaften im letzten Viertel des vergangenen Jahrhunderts durch eine neue Stufe der Internationalisierung des Kapitalismus herausgefordert, die unter dem Label Globalisierung Einzug in Politik und Alltag gehalten hat. Die Weltwirtschaft wird von den USA und dem „Dollar-Wall- Street-Regime“, von internationalen Organisationen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank sowie von großen transnationalen Konzernen beherrscht.
Für die LohnarbeiterInnen und ihre Gewerkschaften in den alten Kapitalmetropolen bedeuten die neuen globalen Wettbewerbsverhältnisse, dass erstens die „Hochlohnländer“ und ihre sozialstaatlichen Einrichtungen durch die „Billigkonkurrenz“ enorm unter Druck gesetzt werden, und dass zweitens dem hoch mobilen Kapital „Exit-Optionen“ zur Verfügung stehen, während der Faktor Arbeit, d.h. die Beschäftigten in der Regel an den Standort gebunden sind. Durch die Verlagerung von Produktionsabläufen in Billiglohnländer werden Betriebe geschlossen und Arbeitsplätze vernichtet. Darüber hinaus reicht oftmals allein die Drohung der Produktionsverlagerung aus, um Zugeständnisse der um ihre Arbeitsplätze fürchtenden Beschäftigten und ihrer gewerkschaftlichen VertreterInnen zu erpressen.
Noch schwieriger ist die gewerkschaftliche Interessenvertretung im Bereich des globalen Finanzkapitalismus, der sich von seiner ursprünglichen nationalen Basis und den dort geltenden Gesetzen fast vollständig abgelöst hat. Klassische Mechanismen betrieblicher und nationaler gewerkschaftlicher Interessenpolitik funktionieren auf dieser Ebene nicht – ein Umstand, der die Gewerkschaften, die von jeher den „proletarischen Internationalismus“ propagieren, anfällig für nationalistische Optionen macht. Seitdem sich die Gewerkschaften aktiv in die globalisierungskritische Bewegung einreihen und neue Bündnisse mit internationalen sozialen Bewegungen schließen – als Fanal wirkten hier die erfolgreichen Proteste gegen den WTO-Gipfel in Seattle 1999 – wird in der Linken hoffnungsvoll über einen neuen Internationalismus der Gewerkschaften diskutiert.

Gewerkschaften und soziale Bewegungen

Dieser skizzierte Macht- und Einflussverlust hat sich jedoch weder auf alle Gewerkschaftsbewegungen gleich ausgewirkt, noch ist für die Zukunft Fatalismus angesagt. So konnten die skandinavischen Gewerkschaften ihre starke Position verteidigen und in so genannten Schwellenländern wie Südkorea, Brasilien und Südafrika sind angesichts des Ausbaus arbeitsintensiver Produktionssektoren starke und militante Gewerkschaftsbewegungen entstanden. Für den politischen Linksruck in vielen lateinamerikanischen Ländern ist die Rolle der dortigen linken Gewerkschaften, die eng mit den sozialen Basisbewegungen zusammenarbeiten, nicht zu unterschätzen. Auch in den kommunistisch regierten Staaten Ostasiens, in denen die kapitalistische Industrialisierung durch den Staat vorangetrieben wird, häufen sich politisch und ökonomisch motivierte Streiks. Selbst in den alten Kapitalmetropolen Westeuropas sind Indikatoren für einen Prozess der „Revitalisierung“ der Gewerkschaften erkennbar, auch wenn die Krise hier keineswegs endgültig überwunden ist. Die Streiktätigkeit hat wieder zugenommen und es häufen sich Proteste gegen den Sozialabbau, der die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinander klaffen lässt.
Im Rahmen dieser Proteste wird zunehmend der Kontakt zu sozialen Bewegungen gesucht, so dass zu Recht von einem neuen Social Movement Unionism gesprochen wird. Überall, wo sich Widerstand gegen kapitalistische Ausbeutung und Enteignung, aber auch gegen politische Unterdrückung, Rassismus und Kriegspolitik formiert, sind auch GewerkschafterInnen präsent, die ihre spezifischen Interessen – die Vertretung von Lohnarbeitenden und Arbeitslosen – mit dem grundsätzlichen Kampf gegen den Kapitalismus und für eine „andere Welt“ verbinden.

Sackgasse Standortpolitik

Gewerkschaftliche Kämpfe finden dabei auf verschiedenen Ebenen statt: vom Betrieb über die Tarifpolitik bis auf die Ebene des Nationalstaates (Verteilungsfragen, Sozialpolitik, Demokratisierung) und der Europäischen Union sowie auf globaler Ebene. GewerkschafterInnen und Betriebsräte, die sich auf die betriebliche Ebene beschränken und glauben, dass sie durch erfolgreiches Co-Management den „Standort“ erhalten, unterliegen einer gefährlichen Illusion. Denn langfristig werden sie gezwungen sein, sich den Argumenten des Managements hinsichtlich notwendiger Anpassungsmaßnahmen (Beschäftigungsabbau, Flexibilisierung der Beschäftigungsverhältnisse, Lohnverzicht, Abbau betrieblicher Sozialleistungen usw.) zu beugen bzw. diese Strategien sogar als Erfolg des eigenen Verhandelns zu verkaufen.
Die Folge ist ein Legitimationsverlust betrieblicher Interessenvertretung, der die Bindungen der LohnarbeiterInnen an die Gewerkschaften weiter erodieren lässt. Auf diese Weise kann die Krise der Gewerkschaften zwar punktuell (d.h. einzelbetrieblich) verzögert werden, strukturell wird sie auf diesem Wege jedoch verschärft. Deshalb müssen auch diejenigen, für die betriebliche Interessenvertretung im Vordergrund steht, ein Interesse daran haben, dass auf den überbetrieblichen Ebenen die Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit zugunsten der Lohnabhängigen und der großen Masse der Ausgegrenzten verändert werden und dass die „Hegemonie des Neoliberalismus“ auf nationaler und internationaler Ebene gebrochen wird.

... und auf nach Heiligendamm

In vielen Teilen der Welt begreifen sich GewerkschafterInnen mit ihrem Kampf für die Interessen von LohnarbeiterInnen als Teil einer umfassenden sozialen Bewegung. Vielen geht es nach Jahren der Krise um den Wiederaufbau der Gewerkschaften „von unten“ geht. Der Begriff Social Movement Unionism bezeichnet ihre Überzeugung, dass dieser Prozess nur dann erfolgreich sein kann, wenn sich die aktiven und kritischen Teile der Gewerkschaften mit anderen Sozialbewegungen verbünden. Deshalb ist es für viele KollegInnen selbstverständlich geworden, an den Treffen des Weltsozialforums bzw. der regionalen Sozialforen teilzunehmen. Und auch bei den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm werden sie dabei sein.

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Erschienen in arranca! #36

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