Die Aufsicht über das globale Kapital
Wider den Abgesang der globalen US-Hegemonie
Als würde man die Maxime, nach der die Eule der Minerva ihren Flug in der Dämmerung beginnt, allzu wörtlich nehmen, wird der imperialistische Charakter der USA heute offenbar verspätet eingestanden, nur um sein nahe bevorstehendes Ende zu verkünden – das „Sich-Auflösen“ der US-Hegemonie. Dabei wird die militärische Besetzung des Irak oft als verzweifelter Versuch angesehen, der Welt eine erlahmende US-Führungsrolle durch Waffengewalt wieder aufzuzwingen. Was diese Analysen für gewöhnlich ignorieren, ist die einzigartige Wirkungskraft und das räumliche Ausmaß des imperialistischen Staates USA und seine spezifische Rolle bei der Entstehung der Weltwirtschaft in der Nachkriegszeit.
Ab den 1940er Jahren übernahmen die USA die Verantwortung für das zu diesem Zeitpunkt zersplitterte internationale kapitalistische System. Die Umkehrung des Zersplitterungsprozesses hätte ohne die Vermittlung der USA und ihrer Fähigkeit, die Spannungen zwischen den nationalen und internationalen Interessen anderer kapitalistischer Staaten abzumildern, nicht verwirklicht werden können. Die USA wurden zum selbstbewussten Akteur bei der Entstehung eines wahrhaft globalen Kapitalismus. Seitdem kontrollieren sie den Impuls zur Universalisierung des Wertgesetzes durch die Neustrukturierung von Staaten und zwischenstaatlicher Beziehungen.
Oft wurde die Fähigkeit der USA unterschätzt, ihren imperialistischen Status zu reproduzieren. Dies lässt sich an der besonders unter Linken weit verbreiteten Neigung erkennen, voreilige Schlüsse über den Niedergang der US-Hegemonie zu ziehen.
Niedergang der US -Hegemonie?
Auch heute ist diese Einschätzung wieder zu vernehmen. Dabei war die Behauptung, der Niedergang der wirtschaftlichen Macht der USA unterminiere die US-Hegemonie, schon immer etwas überspannt. Wie steht es aktuell mit der ökonomischen Stärke der USA aus?
- Die reale Wachstumsrate der US-Ökonomie (BIP) von 1953-73 lag bei 3,8%, das anderer kapitalistischer Staaten lag beträchtlich höher; die US-Wachstumsrate von 1984-2004 betrug ca. 3,4% – sie war höher als die Wachstumsrate in allen Perioden vor dem goldenen Zeitalter (1830-70, 1870-1913 und 1913-50) und höher als die der übrigen G8-Staaten in dieser Zeit.
- Der Produktivitätszuwachs im verarbeitenden Gewerbe der USA lag von 1950-73 bei ca. 2,5%, weit unter dem anderer fortgeschrittener kapitalistischer Länder; von 1981-2004 stieg er auf 3,5% und überholte damit die übrigen G8-Ökonomien. In Bezug auf die Gewinnung von Beteiligungskapital ist bemerkenswert, dass die Rate des Produktivitätszuwachses der US-Industrie auch das Wachstum der Löhne und Gehälter überholt hat.
- 1981 gaben die USA für Forschung und Entwicklung fast so viel aus wie Japan, Deutschland, Großbritannien, Italien und Kanada zusammen, 2000 gaben sie mehr aus als die anderen G7-Staaten zusammen. Ihr Anteil an der weltweiten High- Tech-Produktion lag zwischen 1980-2001 relativ stabil bei 32%, während der Deutschlands sich halbierte (auf 5%) und der Japans um etwa ein Drittel sank (auf 13%).
- Das US-Exportvolumen ist seit den 1980er Jahren schneller gewachsen als das anderer G8-Staaten: von 1987-2004 lag der Zuwachs der USA bei 6,8%, das der anderen G8-Staaten zwischen 4,5 und 5,8%. Der Verkauf von US-Unternehmen im Ausland lag 2002 bei 3 Billionen US-Dollar, weit über dem Doppelten des Gesamtexports der USA. Der Anteil der Profite von US-Unternehmen nach Steuerabzug, in Relation zum BIP der USA, ist momentan auf dem höchsten Stand seit 1945.
Diese Tatsachen sollten denen, die von einem ökonomischen Niedergang der USA sprechen, zumindest ein paar Probleme bereiten. Bleibt noch das hohe US-Handelsdefizit, das fast das ganze letzte Vierteljahrhundert hindurch bestand. Dieser lange Zeitraum deutet daraufhin, dass das Handelsdefizit eine andere Bedeutung für die USA hat als für andere Ökonomien. Im Fall der USA ist das Defizit eher ein Produkt des gewaltigen Volumens der US-Importe, von dem der Kapitalismus weltweit profitiert, als eines Verlusts von Wettbewerbsfähigkeit.
Auch ist das US-Leistungsbilanzdefizit weder mit einem Anstieg der Zinsraten noch mit einer Schwächung des US-Dollars verbunden. Bislang waren jedenfalls ausländische InvestorInnen und Zentralbanken stets bereit, die Finanzierung zu relativ niedrigen Zinsraten zur Verfügung zu stellen.
Die entscheidende Rolle der US -Notenbank
Private InvestorInnen kommen noch immer in die US-Ökonomie, weil sie weiterhin dynamisch ist, gute Renditen und ein hohes Maß an Sicherheit verspricht. Zentralbanken sind bereit, Wertpapiere der US-Finanzbehörden zu halten, weil sie aus Eigeninteresse den US-Dollar vor einem zu schnellen und zu starken Fall bewahren wollen. Das ist ein Zeichen für die Abhängigkeit ihrer Ökonomien von Exporten in die USA und die tiefe strukturelle Integration, die US-Auslandsinvestitionen herbeigeführt haben. Die Reaktion der Finanzmärkte auf die Sorglosigkeit der USA ist bisher relativ gedämpft.
Zu bedenken ist zudem die Rolle der US-Notenbank für die globale Akkumulation. Indem sie seit den frühen 1990er Jahren bei jedem finanziellen Beben und jeder Andeutung einer Rezession in den USA Liquidität ausgeschüttet hat, hat sie die US-Nachfrage aufrechterhalten und die globale Liquidität auf hohem Niveau gehalten. Auch wenn ihre Bedeutung seit der Jahrtausendwende gesunken ist, sichert sie sich weiterhin die Kooperation mit anderen Zentralbanken und Finanzministerien. Hier sehen wir ganz klar, wie die Internationalisierung des Staates innerhalb der Struktur des US-Imperiums funktioniert. Sie gestattet die implizite Koordination, die notwendig ist, damit die USA weiterhin als Importeur der letzten Rettung und „Makro- Stabilisator“ wirken können; und sie führt dazu, dass man sich die finanziellen Lasten des Imperiums international teilt.
Es gibt also gute Gründe, einen Bedeutungsverlust der USA innerhalb der globalen Ökonomie zu bezweifeln. Hegemonie ist eine veränderliche Qualität von Herrschaft. Zufällig auftretende Verschiebungen des Gleichgewichts zwischen Konsens und Zwang beim Einsatz struktureller Macht sollte man nicht fälschlich für epochale halten.
Imperialismus ist muss
Die Struktur der imperialistischen Ordnung der USA bringt die Herrschaft mit und durch andere, selbst vom imperialen Zentrum relativ autonomer Staaten, mit sich. Momentan ist unklar, ob die Kräfte innerhalb der US-Eliten, die sich an den dadurch den USA gesetzten Grenzen störten, dauerhaft die Oberhand gewonnen haben. Das erscheint jedoch unwahrscheinlich. Der Versuch der Bush-Administration, die Wogen in ihrer zweiten Amtszeit zu glätten und ihre explizite Anerkennung der relativen Autonomie der anderen fortgeschrittenen kapitalistischen Staaten, die am engsten mit den USA verbunden sind, deutet auf eine Anerkennung der Realitäten imperialistischer Herrschaft hin.
Wenn es auch überzogen ist, die US-Hegemonie als „in der letzten Krise“ zu beschreiben, soll das nicht heißen, die Macht der USA sei grenzenlos. Im Gegenteil: Die Notwendigkeit, die Staaten der Welt in angemessene Werkzeuge für die Verwaltung der globalen Ordnung umzugestalten, könnte sich als eine große Herausforderung erweisen. Doch diese Widersprüche müssen einerseits im Hinblick auf das Vermögen des imperialistischen Staates beurteilt werden, mit ihnen umzugehen, und andererseits in Beziehung zum Vermögen oppositioneller Kräfte, neue politische Anknüpfungspunkte zu entwickeln. Angesichts der anhaltenden Kooperation der kapitalistischen Staaten beim Krisenmanagement mag das System gelegentlich wanken, aber es wird weiter bestehen.
Nichtsdestotrotz bedeutet gerade die Komplexität der Aufgabe, die Aufsicht über den globalen Kapitalismus inne zu haben, die finanzielle Volatilität der neoliberalen Ordnung zu managen sowie das innere Gleichgewicht und den Wettbewerb der Staaten aufrechtzuerhalten, dass regelmäßige lokale Krisen nicht zu verhindern sein werden.
Neue Widersprüche
Die Frage ist, ob alternative und politische Institutionen geschaffen werden können, die eine Verschiebung des Gleichgewichts der Kräfte bewirken würden. Das US-Imperiums entstand aus einer Krise der weltweiten kapitalistischen Entwicklung in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts: Gerade die Staaten, die das meiste zur Rechtsstaatlichkeit und dem Gesetz des Werts beigetragen hatten, machten damals deren Durchsetzung auf internationaler Ebene zunichte. Dass sie heute unter der Schirmherrschaft des US-Imperium und durch die Internationalisierung der Staaten ihre volle Ausdehnung erfahren, erzeugt einen neuen Widerspruch: Die Disziplin, die das Wertgesetz weltweit durchsetzt und die durch den Neoliberalismus noch einmal verstärkt wird, unterminiert die nationalen Möglichkeiten eines Staates, seine Funktionen zu legitimieren.
Im Fall vieler Drittweltländer geht der Widerspruch tiefer: Die internationale Integration blockiert die Entwicklung der nationalen Geschlossenheit, eine wesentliche Bedingung für die Entstehung von Rechtsstaatlichkeit und dem Gesetz des Werts im Land. Das unterminiert nicht nur die Legitimität der Regime des Südens, sondern auch der internationalen Finanzinstitutionen und letztlich des US-Imperiums selbst, dessen imperialistische Rolle zunehmend offen zutage tritt. Legitimationsprobleme werden auch in dem Ausmaß innerhalb der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder erzeugt, in dem es der neoliberalen Umstrukturierung nicht gelingt, bei Wahlen überzeugende Unterstützung zu mobilisieren. Allerdings wird die komplexe Aufgabe, solche Risse im imperialistischen Panzer zu strategischen Anknüpfungspunkten weiterzuentwickeln, nicht dadurch bewältigt, indem man verfrüht das Ende der US-Hegemonie verkündet.
Der von Britta Dutke aus dem Amerikanischen übersetzte Text erschien zuerst in New Left Review, Nr.35, Sept./Okt. 2005 und wurde von der Redaktion stark gekürzt.
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Erschienen in arranca! #36
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