European Empire
Die Europäische Union unter deutscher Ratspräsidentschaft
Vier der G8-Staaten – Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien – gehören zur Europäischen Union (EU). Viele der Themen, die auf dem G8-Treffen verhandelt werden – vor allem Energiesicherheit und internationale Konflikte – sind auch Themen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, unter der die EU nicht nur ihren liberalen Binnenmarkt auf weitere Sektoren wie Energie und Postwesen ausweiten, sondern auch ihr militärisches Profil weltweit schärfen will. Dafür – da sind sich EU-Kommission, die meisten Regierungen der Mitgliedsstaaten und die Mehrheit des Europäischen Parlaments einig – ist die in Frankreich und den Niederlanden abgelehnte EU-Verfassung eine wichtige Grundlage.
Von der „Toleranz als Seele Europas“ und von der „europäischen Vielfalt“ sprach die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer Antrittsrede als EU-Ratspräsidentin am 17. Januar 2007 vor den Abgeordneten des EU-Parlaments in Straßburg. Sie will sich dafür einsetzen, „dass am Ende der deutschen Ratspräsidentschaft ein Fahrplan für den weiteren Prozess des Verfassungsvertrages verabschiedet werden kann“. Bis zu den Europawahlen im Frühjahr 2009 müsse der Prozess „zu einem guten Ende geführt werden“. Merkel machte dabei klar, dass es ohne eine Verfassung keine neue Erweiterungsrunde geben werde. Damit setzt sie vor allem Großbritannien unter Druck, das sich aus geostrategischen Gründen für einen Beitritt der Türkei stark macht, der Verfassung aber skeptisch gegenübersteht.
EU und USA als Block gegen die Wirtschaftsmacht Asiens
Aber zunächst muss Merkel die französischen Präsidentschaftswahlen abwarten. Denn die beiden Präsidentschaftskandidaten der großen Parteien, Ségolène Royal und Nicolas Sarkozy, die beide für die Verfassung gestimmt hatten, wollen das nach wie vor unpopuläre Thema möglichst aus dem Wahlkampf heraushalten. Aber danach werden die Karten neu gemischt. Denn in Frankreich ist das Ergebnis des Referendums rechtlich nicht bindend. Dort hat sich nur der amtierende Präsident Jacques Chirac persönlich dem Ergebnis unterworfen. Also muss sich die Bundesregierung bis zum Ausgang der französischen Präsidentschaftswahlen Anfang Juni gedulden, bevor sie alten Wein in neuen Schläuchen präsentieren kann. Rechtsverbindlich sind die Volksbefragungen zur EU-Verfassung nur in Dänemark und Irland, die ihre Abstimmung auf den St.-Nimmerleins-Tag verlegt haben.
Das Bundeskanzleramt, das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie und das Auswärtige Amt koordinieren die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007. Die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten setzen hohe Erwartungen in die deutsche Ratspräsidentschaft. Sie soll der EU einen Weg aus der Krise weisen. Das Programm ist ambitioniert: Neben einem Fahrplan für den Verfassungsvertrag ist unter anderem eine transatlantische Freihandelszone der EU mit den USA geplant. Damit sollen Zollbeschränkungen zwischen den beiden Blöcken aufgehoben werden, damit, so die Begründung, USA und EU besser gegen die aufstrebenden Wirtschaften Asiens konkurrieren können.
Ein wichtiger Bestandteil dieser Partnerschaft ist auch der so genannte Kampf gegen die Produktpiraterie, der sich vor allem gegen China richtet und auf einer besonders engen Auslegung der „geistigen Eigentumsrechte“ fußt. Außerdem ist die Sicherung der Energieversorgung ein zentrales Anliegen der deutschen Ratspräsidentschaft, der es deshalb auch um die „Verteidigung der europäischen Energie-Interessen“ in der Welt geht.
Für den Binnenmarkt sind neben einer gemeinsamen Energiepolitik weitere ambitionierte Projekte geplant. Bis 2009 sollen die Postmärkte, da sind sich EU-Kommission und Bundesregierung einig, vollständig geöffnet, d.h. privatisiert werden. Einige Mitgliedsstaaten der EU, darunter Frankreich, sträuben sich noch. Doch Bundeswirtschaftsminister Michael Glos ist sich seines Erfolgs sicher: „Da werden wir unseren französischen Freunden erst mal die Vorzüge des Wettbewerbs nahe bringen“, erklärte er in einem Interview mit dem Spiegel.
„Militärische Stärke auf die Waagschale bringen“ (Steinmeier)
Neben energiepolitischen Fragen und der allgemeinen Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Binnenmarktes soll die deutsche EU-Ratspräsidentschaft das außenpolitische Profil Europas schärfen. „Der Kampf um immer knapper werdende Rohstoffe und Ressourcen birgt erhebliches Konfliktpotenzial“, erklärte Bundesaußenminister Frank Walter Steinmeier seinen sozialdemokratischen ParteifreundInnen aus ganz Europa, die im November 2006 zu einer Konferenz nach Berlin gereist waren, um die Aufgaben der deutschen EU-Ratspräsidentschaft zu besprechen. „Die globale Konkurrenz ... bedroht europäische Sozialstandards“, fuhr Steinmeier fort und betonte die wichtige Rolle der EU-Außenpolitik. „Ich bin fest davon überzeugt, Europa kann und wird nur dann eine Friedensmacht sein und bleiben, wenn wir auch die entsprechende politische, wirtschaftliche und in Grenzen auch militärische Stärke auf die Waagschale bringen.“ Mit diesem Bedrohungsszenario rechtfertigt Steinmeier die militärische Rüstung Europas, die auch im EU-Verfassungsvertrag vorgesehen ist. Der Rückhalt für diese Großmachtgelüste, aus denen auch im deutschen Weißbuch zur Verteidigungspolitik, veröffentlicht im Oktober 2006, kein Hehl gemacht wird, findet breite Unterstützung, auch im EU-Parlament. In Brüssel hat eine überwältigende Mehrheit der Abgeordneten wenige Tage nach der sozialdemokratischen Europakonferenz in Berlin bei 117 Gegenstimmen für einen Antrag gestimmt, der auch den „weltweiten Wettbewerb um Wasser- und Energiequellen“ als Bestandteil europäischer Sicherheitspolitik berücksichtigt wissen will. Etwas hemdsärmeliger als Steinmeier und das Europäische Parlament sagt es der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Joachim Würmeling: Die EU müsse „im globalen Kampf um Energiequellen härtere Bandagen anlegen“. Die Sicherung der Energieversorgung sei auch deshalb ein zentrales Anliegen der deutschen Präsidentschaft, so Würmeling, damit „die Bürger nicht im nächsten Winter mangels Gas- oder Öllieferungen ohne Heizung dastehen“. Um langfristig im Wettlauf um die endlichen Ressourcen der fossilen Brennstoffe ernst genommen zu werden und mithalten zu können, braucht die EU nicht nur eine gemeinsame Außenpolitik, sondern auch die dazugehörigen militärischen Kapazitäten, auf die sie notfalls zurückgreifen kann.
EU -Kampftruppen für die Rohstoff sicherung
Das deutete sich auch schon beim Einsatz im Kongo in der zweiten Jahreshäfte 2006 an. Dabei kam erstmals unter Leitung des deutschen Einsatzführungskommandos in Potsdam eine Vorläuferin der künftigen EU-Kampftruppen zum Einsatz. Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Jung sprach offen davon, dass die rohstoffreiche Region Kongo auch der deutschen Wirtschaft nutze. Andreas Schockenhoff, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, wurde noch deutlicher und schrieb im Zusammenhang mit dem Militäreinsatz, dass „Kongo eines der ressourcenreichsten Länder der Welt“ sei und vor allem über strategische Rohstoffe verfüge, „die für Europa wichtig sind: Wolfram, Mangan- und Chromerze, Kobalt, Uran, Erdöl, Coltan, Beryllium. Europa und Deutschland haben ein Interesse daran, dass der Abbau dieser Ressourcen legal und nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgt“. Kongos Präsident Kabila gilt als Garant für den Zugang europäischer Unternehmen zu diesen Rohstoffen. Nicht nur im Kongo wurden deshalb Mitte des vergangenen Jahres Stimmen laut, die den EU-Truppen eine einseitige Parteinahme vorwarfen.
Seit dem 1. Januar, zeitgleich mit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, sind die insgesamt 13 EU-Kampftruppen mit jeweils 1.500 SoldatInnen einsatzbereit. Ihre möglichen Einsätze werden unter anderem im European Defence Paper, der Vorlage für ein Weißbuch zur EU-Militärpolitik, definiert. „Künftige Regionalkriege“, heißt es dort, „könnten europäische Interessen tangieren, ... indem europäische Sicherheit und Wohlstand direkt bedroht werden, beispielsweise durch die Unterbrechung der Ölversorgung, ... einer massiven Erhöhung der Energiekosten, der Störung der Handels- und Warenströme.“
Aufrüstung als Verfassungsgebot und Staatsziel
Der bislang noch geltende Vertrag von Nizza verbietet einen eigenständigen EU-Militärhaushalt. Mit der angestrebten EUVerfassung könnten die immensen Kosten einer europäisch koordinierten Militärpolitik leichter geschultert werden. In diese Richtung zielt auch der berüchtigte Artikel 41: „Die Mitgliedsstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern.“ Dieser Artikel schreibt also die militärische Aufrüstung der Europäischen Union vor. Aber auch ohne dass die Verfassung in Kraft getreten wäre, konnten Militärs und Rüstungsindustrie in jüngster Zeit Erfolge verbuchen: Erstmals ist im Forschungsbudget der EU auch ein Haushaltstitel von einer Milliarde Euro für Sicherheits- und Rüstungsforschung vorgesehen. Und die Europäische Rüstungsagentur, die später aus kosmetischen Gründen in Verteidigungsagentur umbenannt wurde, versucht seit knapp zwei Jahren europäischen Unternehmen wie dem deutsch-französischen Konzern EADS, dem britischen Rüstungsmulti BAE-Systems und Thales aus Frankreich auf dem internationalen Waffenmarkt Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.
Der Wettlauf um die höchsten Verteidigungsausgaben der einzelnen Mitgliedsstaaten innerhalb der Europäischen Union hat auch ohne Verfassung längst angefangen. Flankiert wird er durch entsprechende Rhetorik. So bedauerte Angela Merkel in einem Interview mit der Zeit (7.9.06), dass Deutschland mit seinen Militärausgaben weit hinter anderen EU-Mitgliedsstaaten liege. Deshalb könne man nicht sagen, dass die Verteidigungsausgaben in den nächsten Jahren „sakrosankt sind“. Merkel betonte, dass Deutschland nur 1,4 Prozent des Bruttosozialprodukts (BSP) bisher in die Streitkräfte investiere – im Gegensatz zu Frankreich oder Großbritannien, die 2,5 bzw. 2,3 Prozent ihres BSP aufwenden, damit ihre „Streitkräfte zukunftstüchtig“ sind. Die Kanzlerin will dafür sorgen, dass „Deutschland nicht abseits steht“.
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Erschienen in arranca! #36
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