Geburtswehen des Mittleren Ostens

Die US-Strategie zur Transformation der Region

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Die Neuordnung des Nahen und Mittlerer Ostens ist eines der erklärten Ziele der Außenpolitik unter US-Präsident Georg W. Bush. Obwohl die Besetzung des Iraks sich zu einem Debakel entwickelt hat, sind weitere Militärschläge nicht auszuschließen. Der militärische Aufmarsch und die Eskalationsdynamik deuten auf bevorstehende Luftschläge gegen die Atomanlagen im Iran hin. Darüber hinaus werden Pläne zu einer weitgehenden Zerstückelung der Region entwickelt.

US-Außenministerin Condoleezza Rice gefragt nach ihrer Haltung zur israelischen Offensive im Libanon Mitte 2006, fasste Washingtons Strategie für den Mittleren Osten folgendermaßen zusammen: „Was wir hier sehen, ist in gewissem Sinne das Entstehen – die Geburtswehen – eines neuen Mittleren Ostens, und was immer wir tun, wir müssen sicher sein, dass wir auf einen neuen Mittleren Osten drängen, nicht zu dem alten zurückzukehren.“ (Globalresearch, 28.7.06) Schon im Vorfeld des israelischen Angriffs war aus Washingtoner Kreisen offen zu hören gewesen, ein Ausschalten der Hisbollah sei die Vorbedingung für ein Vorgehen gegen den Iran.
Trotz zahlreicher Anzeichen für einen US-Angriff auf den Iran stößt dieser nächste Schritt zur Unterwerfung der Region aufgrund der desaströsen Situation im Irak auch in den eigenen Reihen auf zunehmenden Widerstand. KritikerInnen der Regierungspolitik schlagen stattdessen vor, auf indirektere Kontrollstrategien zu setzen. Zwar ist gegenwärtig unklar, welche dieser beiden Positionen sich kurzfristig durchsetzen wird. Langfristig dürfte aber zur direkten militärischen Unterwerfung kaum eine ernsthafte Alternative bestehen, sofern weiterhin an dem Ziel festgehalten wird, die dortigen Ölvorkommen zu kontrollieren. Hiervon ist auszugehen, insbesondere weil die Bedeutung der Region in den kommenden Jahren weiter zunehmen wird. Wachsender Ölverbrauch bei rückgängigen nationalen und globalen Vorräten erhöht die Importabhängigkeit und führt zu einer wesentlich höheren Krisenanfälligkeit.
Aus diesen Gründen rückt die militärische Kontrolle von Energievorkommen immer weiter ins Zentrum der US-Strategieplanung, schon allein auch deswegen, weil hiermit einem potenziellen Gegner buchstäblich der Saft abgedreht werden kann – man denke an die wachsenden Auseinandersetzungen zwischen China und den USA. Die Kontrolle des Mittleren Ostens stellt diesbezüglich den Hauptpreis dar, denn dort lagern etwa zwei Drittel der verbliebenen Vorkommen. Darüber hinaus gilt es auch jegliche Versuche der dortigen Länder, ihre wachsende Macht für eine eigenständige Politik zu nutzten, im Keim zu ersticken.

Der Wiederaufstieg der OPEC

Die primär aus Staaten der Golfregion zusammengesetzte Organisation Erdölexportierender Länder (OPEC) versucht über zwei Mechanismen ihre Position gegenüber den Konsumenten zu stärken. Neben der Drohung mit einem Embargo, also dem völligen Lieferstopp, ist dies vor allem die vom Kartell ausgegebene Förderquote. Sie schreibt jedem Mitglied verbindlich vor, wie viel Öl es dem Weltmarkt zuführen darf. Entschließt sich das Kartell zu einer Reduzierung, hat dies, da der globale Ölmarkt den Gesetzen von Angebot und Nachfrage gehorcht, eine Verknappung und damit einen Preisanstieg zur Folge – zumindest in der Theorie. Allerdings scheiterte dieser Versuch in den 1970er und frühen 1980er Jahren, da der Westen hierauf – und auf die beiden Embargos in den 1970er Jahren – mit der raschen Entwicklung von Nicht-OPEC-Quellen reagierte. Dies führte dazu, dass die OPEC zunehmend Marktanteile einbüßte und 1986 die Mengenbegrenzung aufgeben musste. Der Ölpreis blieb in der Folge mit durchschnittlich 17 US-Doller pro Barrel extrem niedrig.
Nun scheint sich aber das Blatt zu wenden. Friedemann Müller von der SPD-nahen Stiftung Wissenschaft und Politik weist auf die Folgen für den Ölpreis hin: „Im März 1999 wurde sich die OPEC bewusst, dass die Nicht-OPEC-Produzenten über keine Produktionsreserven verfügten, eine Mengenbegrenzung der OPEC daher nicht durch die Übernahme von Marktanteilen durch andere aufgefangen würde. Das Instrument der Mengenbegrenzung griff wieder. Der Preis stieg im Jahr 2000 auf über 30 US-Dollar ... Die in den 1980er und 1990er Jahren verlorene Herrschaft über die Ölpreissteuerung hat die OPEC 1999 im Prinzip zurückgewonnen.“
Da allein die OPEC-Staaten den steigenden Öldurst stillen können, besteht die Gefahr, dass das Kartell künftig den Ölpreis nahezu beliebig diktieren kann, was fundamental mit dem Interesse der Industriestaaten an billigem Öl kollidiert, wie die unter der Ägide von US-Vizepräsident Dick Cheney verfasste Nationale Energiepolitik verdeutlicht: „Steigende Ölpreise wirken wie eine Steuer durch ausländische Ölexporteure. Sich ändernde Energiepreise verursachen ökonomische Kosten (...) Diese Kosten können letztlich das ökonomische Wachstum beeinträchtigen.“ Noch gefährlicher wird es, wenn sich die OPEC-Staaten darauf einigen sollten, über ein Embargo ihr Öl als Waffe gegen die US-Politik einzusetzen. Da heute kaum Alternativen bereitstehen, wären die ökonomischen Folgen fatal. Regierungsmitglieder aus dem Irak, Iran, Libyen und Saudi-Arabien haben einen solchen Schritt bereits angedroht und befürwortet.

Die Balkanisierung des Mittleren Ostens

Im Wesentlichen gibt es in den USA zwei Strategien zur „Disziplinierung“ der OPEC-Staaten, eine neokonservative und eine neoliberale, die sich aber nur auf den ersten Blick unterscheiden. Die derzeit dominierende neokonservative Variante setzt auf „kreative Zerstörung“, wie es der Vordenker Michael Ledeen formulierte und damit auf die direkte militärische Kontrolle und Zerstückelung der Region. Sie wurde mit dem Irakkrieg in die Praxis umgesetzt und ist auch maßgebliche für die Überlegungen, jegliches Land in der Region, das sich US-Interessen widersetzt, zu überfallen. Neben Syrien steht hier vor allem der Iran buchstäblich auf der Abschussliste.
Diese Strategie setzt darauf, die Region in kleine Einheiten zu zerlegen, von denen keine den US-Interessen im Wege stehen kann. So fordern namhafte US-PolitikerInnen, wie Leslie Gelb vom Council on Foreign Relations oder der demokratische Senator Joseph Biden schon lange die Aufspaltung des Irak anhand ethnischer Linien, also in einen kurdischen, einen sunnitischen und einen schiitisch Teil. Am weitgehendsten sind die Pläne des den Neokonservativen nahe stehenden pensionierten US-Militärs Ralph Peters. (Armed Forces Journal, Juni 2006) Er tritt für die groß angelegte Balkanisierung der Gesamtregion und deren vollständige ethnische Parzellierung ein.
Ginge es nach seinen Vorstellungen, würden US-Klienten beträchtliche territoriale Zugewinne verzeichnen, während renitente Länder wie der Iran und Saudi Arabien große Teile ihrer Gebiete abgeben müssten. (siehe Karte) Gerade dem saudischen Königshaus, das in jüngster Zeit verschiedentlich „aus dem Ruder“ gelaufen war, wurde schon seit längerem offen gedroht.

Intelligenterer Kolonialismus?

Zwei Protagonisten der „anderen“ Variante, die US-Demokraten Ronald Asmus und Jonathan Pollack, benannten schon vor mehreren Jahren in der Washington Post (22.7.03) die beiden aus ihrer Sicht unterschiedlichen US-Kontrollstrategien. Dabei geht es offensichtlich nicht darum, ob die gesamte Region restrukturiert wird, sondern lediglich auf welche Weise dies geschehen soll: „Es hat sich in Washington ein Konsens herausgebildet, dass der Mittlere Osten die vorrangige strategische Herausforderung unserer Zeit darstellt (...) Die Frage ist nun, wie man den Mittleren Osten am besten umgestalten kann (...) In der Tat findet die Auseinandersetzung statt zwischen der neokonservativen Strategie einer Zwangsdemokratisierung und dem, was man als neoliberale Alternative bezeichnen könnte.“ Die Kriegspolitik der Neokonservativen scheitere am Widerstand vor Ort und übersteige die Kapazitäten der USA, weshalb man versuchen solle, die Staaten der Region über die Integration in die Weltwirtschaft subtiler in die „richtige“ Richtung zu drängen und dabei auch die westlichen Verbündeten ins Boot zu holen. Was darunter genau zu verstehen ist, formulierten Asmus und Pollack in einem Grundsatzartikel im Policy Review. (September/Oktober 2002) In ihm forderten sie die NATO-Staaten dazu auf, sich einem neuen „Transatlantischen Projekt“ zu widmen, nämlich der „Transformation des Mittleren Ostens“, die fortan die zentrale Aufgabe des Bündnisses werden solle. Das Projekt solle „auf eine neue Form der Demokratie hinauslaufen, auf ein neues Wirtschaftssystem, das den Menschen in der Region zu Arbeit und Würde verhilft“. Dies sei die einzige Möglichkeit, „die dem Terrorismus zugrunde liegenden Ursachen“ zu bekämpfen, und beinhalte aber „zweifellos auch eine militärische Komponente“, da die gesamte Region unter „einer Krise der Regierbarkeit leidet, die mit der Unfähigkeit seiner Staaten einhergeht, die Herausforderungen der Moderne und der Globalisierung zu bewältigen“.
Auch in Europa finden diese Vorschläge zahlreiche BefürworterInnen. Dies spiegelt sich in einem Manifest namhafter transatlantischer SicherheitspolitikerInnen unter dem Titel „Das nächste transatlantische Projekt: Demokratieförderung von Nordafrika bis Afghanistan“ wider. (Internationale Politik, 4/2004) Bemerkenswert an diesem Manifest ist insbesondere der Vorschlag, das NATO-Programm „Partnerschaft für den Frieden“ auf den Großraum des Mittleren Ostens auszudehnen und die Allianz so direkt in die Region zu involvieren. Groß sind die Unterschiede zwischen der neoliberalen und neokonservativen Variante offensichtlich nicht. Letztere wird zwar derzeit aufgrund des heftigen Widerstands in der Region kritisiert, ob innerhalb der herrschenden Logik hierzu aber überhaupt eine Alternative besteht ist zweifelhaft. Was werden wohl die Neoliberalen machen, falls die Staaten des Mittleren Ostens trotzdem fortfahren sollten, sich gegen die Interessen der USA zu stellen? Wie sagte der geopolitische Altmeister Henry Kissinger schon vor Jahrzehnten: „Das Öl ist zu wichtig, um es den Arabern zu überlassen!“

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Erschienen in arranca! #36

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