Hobbes im Supermarkt
Krieg, Demokratie und Konflikt im Empire
In den Kriegen der Gegenwart begründet sich ein verändertes Verhältnis von Krieg und Demokratie. Neue Terrains und Formen des Konflikts entstehen ebenso wie neue Widerstände und Fluchtlinien. Nichts wird mehr sein, wie es war. Die zentralen Probleme des Wandels lassen sich entlang dreier diskursiver Achsen zusammenfassen. Die erste bezieht sich auf die „Natur“ des Krieges und sein Verhältnis zur Gesellschaft, auf den darin angelegten Formwandel der Souveränität und die daraus erwachsende Physiognomie der Herrschaft. Auf der zweiten geht es um die politische Ökonomie, die der Kriegsführung zugrunde liegt und auf die sich heute die Kriege niedriger Intensität stützen. Diese Kriege sind ihrer Tendenz nach permanent und werden ohne die Figur des iustus hostis, des legitimen Feindes, geführt, einer Figur, durch die zumindest die Kriege der Neuzeit ein wenig klarer wurden. Die dritte Achse betrifft die Möglichkeiten und Bedingungen, unter denen die Multitude den imperialen Krieg niedriger Intensität emanzipatorisch „umwandeln“ könnte. Wir werden hier den Schwerpunkt auf die erste Achse legen. Um die Probleme in klarerem Licht zu betrachten, sollen einige klassische politische Positionen zur Kunst des Krieges erörtert werden.
Für das Verhältnis von Krieg und Demokratie ist Niccolò Machiavelli Bezugspunkt. Sein Thema war die Situation permanenter Instabilität, die der leichtfertige Einsatz von Söldnermilizen und das überzogene Taktieren der Kriegsparteien mit sich brachten. Seine Aktualität rührt daher, dass er dabei besonders die Praxis wechselnder Bündnisse im Dienste Dritter problematisiert und den mit fremden Waffen errungenen Sieg als Voraussetzung der Tyrannei analysiert.
Deshalb liegt es nahe, angesichts des gegenwärtigen Funktionsverlusts der allgemeinen Wehrpflicht und der veränderten Zusammensetzung der Armeen auf die Fragestellungen Machiavellis zurückzukommen: Was bedeutet die neue Professionalisierung und Privatisierung von Armeen und Kriegen? Steckt dahinter lediglich eine technische List, die endgültige Rationalisierung der Ökonomie des Kriegsereignisses, seine Normalisierung, oder drückt sich darin auch die Krise der Demokratie und der Repräsentation aus?
Machiavelli, der Krieg, die Demokratie
Machiavelli plädiert mit Nachdruck für ein stehendes Heer auf der Basis eines allgemeinen Wehrdienstes. Damit spricht er sich gegen Söldnertruppen oder auch gegen eine aus Freiwilligen gebildete Armee aus. Einzig eine enge Beziehung zwischen Waffen und Volk kann in eine erfolgreiche Kriegsführung münden und einen stabilen Frieden begründen. Seine Theorie erschüttert die absolute Macht in ihren Grundlagen. Eine „republikanische“ Lektüre Machiavellis legt diese untergründige Strömung frei: „Die Demokratie konstituiert hier den Regierungstitel, seine Absolutheit, und es ist die demokratische Ausübung der Herrschaft, die ihre Legitimität begründet. Und diese demokratische Herrschaft kann nur von einer bewaffneten Macht ausgehen.“ (Antonio Negri, Il potere costituente)
Die Kritik der Instabilität einer Macht, die sich „auf die Waffen anderer“ stützt, eröffnet einen Diskurs, der die Begründung der Macht regelrecht umstülpt. Verfügt die Macht nämlich über keine eigenen Waffen, so herrscht sie über rein gar nichts. Stützt sie sich auf eigene Waffen, verstreuen sich diese notwendigerweise über den gesamten Gesellschaftskörper und zwingen die Machtgrundlage, einen demokratischen Charakter anzunehmen.
Machiavellis Diskurs scheint heute an einem Ende angelangt: Das stehende Heer auf Basis der allgemeinen Wehrpflicht löst sich auf. Die postmodernen Armeen, die im Kosovo oder im Irak im Namen Dritter Krieg führen, basieren auf der Freiwilligkeit der Soldateska, der Professionalisierung der Spezialkräfte, der Externalisierung und Übertragung von Sicherungs- und Überwachungsfunktionen an private Söldnermilizen und der tendenziellen Integration humanitärer Aufgaben in die Kriegsführung. Dabei sind die neuen Söldnerheere nicht einfach den Bedürfnissen einer Rationalisierung oder einem Funktionswandel des Krieges unter den Bedingungen der Globalisierung geschuldet. Vielmehr sind sie ebenso in Bezug auf Konflikt und Widerstand in der langen Geschichte der allgemeinen Wehrpflicht zu analysieren.
Celine, die allgemeine Wehrpflicht, die Desertion
Louis-Ferdinand Céline erzählt in Reise ans Ende der Nacht in höchster Intensität von der Kunst des Desertierens. Der Roman lässt sich als eine lebendige Geschichte der Beziehung zwischen Krieg und Klassenkampf lesen. Wenn wir vom stehenden (Volks-)Heer bei Machiavelli ausgehen, können wir mit Céline den Übergang begreifen, der Volk und Heer einander entgegensetzt: Der Zauber des demokratischen Versprechens über Staat und Zivilgesellschaft im Krieg ist gebrochen. Dieses Versprechen stützte sich auf den Massencharakter des Heeres und durchdrang die Menge mit patriotischer Rhetorik. Nun enthüllt sich sein Klassencharakter in der Unterwerfung unter den gesellschaftlichen Block des Kapitals. Dieser Moment begründet die großen und kleinen Desertionen, den Widerstand gegen die Einberufung als proletarisches Programm, die Entdeckung, dass das Sterben im Interesse der Bourgeoisie liegt, die Erkenntnis, dass es eine Sache ist, für die Revolution zu sterben, eine andere, es für die Verteidigung und Konsolidierung des Durchschnittsprofits zu tun.
So gelesen führt Celine auf eine proletarische Entdeckungsreise in die hässliche Materialität des Krieges und zu der Tatsache, dass die Intensivierung der Ausbeutung nicht im Interesse der Massen sein kann und der Widerstand gegen den Krieg dem proletarischen Instinkt entspringt. Die „Tradition der Unterdrückten“ zeigt ihnen, dass der Krieg ihren Interessen unmittelbar zuwider läuft, und markiert in ihren Verhaltensweisen die Tatsache, dass in das Terrain der „Klassenkollaboration“, auf der die allgemeine Wehrpflicht im Massenheer beruht, die Verweigerung bereits unauslöschlich eingeschrieben ist, als ein point of no return.
Bei Machiavelli und Céline lässt sich so die Beziehung zwischen den beiden Konzepten – Krieg und Demokratie – nachvollziehen. Von Machiavelli ist zu erfahren: Es gibt keine Demokratie, wenn sie keine Waffen besitzt; und Céline antwortet: Wenn ihr Waffen habt, aber die Revolution nicht zugleich die absolute Radikalität der Demokratie als Versprechen und Projekt sozialer Gerechtigkeit behauptet, warum wollt ihr dann kämpfen? Hier nun, am Punkt des Desertierens, der „Partisanenlösung“ im Verhältnis von Krieg und Demokratie, trifft die proletarische Erfahrung auf eine Blockade, und entflieht in die Nacht, wo sich soziale Beziehungen ebenso wie das Band menschlicher Solidarität auflösen, eine Flucht ohne Ziel, die den Exodus der Befreiung nicht kennen lernt.
Harrington, das private Eigentum, der gemeinsame Reichtum
Diese Blockade betrifft, in unterschiedlich starker Form, den Pazifismus wie die großen und kleinen Desertionen auf dem Schlachtfeld. Die Blockade geht auf ein Unverständnis für die gesellschaftlichen Grundlagen des Krieges zurück, oder besser: das Begreifen beschränkt sich auf das Terrain der Verweigerung und findet keine Übergänge zu den immanenten Widersprüchen des gesellschaftlichen Ganzen. Wir müssen deshalb ein drittes Moment bedenken, das über Krieg und Demokratie hinausführt. Es ist die Frage des Eigentums und der Produktionsverhältnisse. Inmitten der englischen Revolution spürt James Harrington die Widersprüche zwischen der liberalen Verfassung und dem untergründigen Brodeln der Spannungen, die zu einer radikalen sozialen Revolution drängen. Er entdeckt die ethisch-politische Perspektive Machiavellis auf dem Gebiet der Ökonomie wieder. Wie Machiavelli weiß er, dass sich die Bürgerschaft auf Waffen gründet. In The Commonwealth of Oceana stellt er die Frage nach den Bedingungen, die verhindern, dass das Verhältnis von Volk in Waffen und Demokratie korrumpiert wird. Ausgehend von der Überlegung, dass es keine Demokratie ohne eigene Waffen geben könne, findet er die Grundlage der Beziehung von Waffen und Demokratie im Eigentum und bestimmt dieses als ein öffentliches Gut, als gemeinsamen Reichtum, als commonwealth.
Damit wird die Dialektik von Krieg und Demokratie als Terrain sozialer Konflikte und als Programm einer Vergesellschaftung bestimmt. Sie markiert zugleich den Punkt, den der ideologische Schleier der konstituierten Macht am stärksten zudeckt, neutralisiert und in Vergessenheit geraten lässt. Die Bourgeoisie, deren Revolution im Zeichen der Freiheit stand, muss den Umstand, dass sie eine Ordnung errichtete, der es grundlegend an Freiheit mangelt, in Schweigen hüllen.
Heute werden die Vergesellschaftung der Produktivkräfte und das Anwachsen der sozialen Kooperation zur lebendigen Grundlage der Produktion des Reichtums werden. In diesem Augenblick reformuliert das Kapital das Eigentum in der Dimension des Wissens, verabsolutiert und relativiert seinen privaten Charakter und realisiert die Harringtonsche Triade von Waffen, Demokratie und Eigentum, indem es den Krieg als Polizeiaktion domestiziert, die Armee privatisiert und das Verhältnis zwischen Staat und Zivilgesellschaft zerbricht.
Die Metamorphosen des Krieges und die so genannte Revolution militärischer Angelegenheiten markieren heute den Übergang, in dem das Verhältnis von Krieg und Demokratie an ein Ende gelangt. Das hat weniger mit der Dichotomie von Rechtsstaat und Ausnahmezustand zu tun, als mit der Notwendigkeit der Regierungen, die Kräfte zu neutralisieren, die eine radikale Veränderung anstreben. Dabei sind die Kämpfe gegen den Krieg ebenso sehr eine konservative Verteidigung einer kontinentalen ancient constitution wie sie einen Zyklus globaler Umwälzung eröffnen, in dem sich die Verbindung von Waffen und Demokratie auf dem Terrain der Transformation des Privateigentums in gemeinsamen Reichtum neu bestimmt.
Dabei verweisen die Veränderungen in der Kunst des Krieges noch auf eine weitere Linie der Reflexion. Für Benjamin Constant sind „Krieg und Handel nur zwei verschiedene Mittel, um das gleiche Ziel zu erreichen: nämlich zu besitzen, was man sich wünscht“. Constant betonte die Überlegenheit des Handels über den Krieg, er sah eine gleichmäßige „Tendenz zum Frieden hin“ und prophezeite „eine Zeit, da der Handel den Krieg abgelöst haben wird“. Allerdings ging seine Prophezeiung ganz anders in Erfüllung, als er sich das vorgestellt hatte. Statt einen glatten Raum zu schaffen, in dem Güter in sanfter Ruhe zirkulieren, begründet „der Handel“, durchdrungen von der Logik des Krieges, ein Feld, auf dem kriegerische Aktionen ihre eigenen Zwecke finden können. Insofern besteht heute die Notwendigkeit, die technologische Wende ins Militär einzuschreiben, das heißt die Entwicklung von Präzisionswaffen und ihren strategischen Einsatz in kleinen mobilen Einheiten zu integrieren, künstliche und menschliche Intelligenz zu kombinieren und den Krieg niedriger Intensität immer mehr der Operativität einer Polizeiaktion anzunähern.
Constant, der Handel, die Polizei
Das Tempo des Handelns, die Fähigkeit, die eigene Vorgehensweise an die spezifischen Bedingungen der konkreten Situation anzupassen, und die Rationalität der Polizeiaktion hängen deshalb von der Fähigkeit zur Informationsverarbeitung ab, von mobilen und intelligenten Körpern, deren Sensibilität sich an ungewisse und wechselhafte Umstände anpassen lässt. All diese Umstände sind für strategische Planungen vom grünen Tisch undurchdringlich. Die Militärmaschine wird folglich vom „Handel“ lernen, von den Supermarktketten etwa oder von Brokern. Denn dort ist das Wissen entwickelt, um die Risiken zu minimieren, verbunden mit der Fähigkeit, auf wechselnde Situationen wirkungsvoll zu reagieren und eine Erfolgsstrategie auf die Überlegenheit des eigenen Informationsnetzes zu gründen.
Der Handel hat also keineswegs den Krieg abgelöst. Vielmehr ist er zum einen das Vorbild für die Reorganisation des Militärs, die immer stärker einer ökonomischen Rationalität und immer weniger politischen Kriterien folgt: so ist das Hauptargument für das Ende der Wehrpflicht und für die militärische Privatisierung die Kosteneinsparung. Zum anderen bedarf der Handel der neuen Form einer Kriegsführung niedriger Intensität, wenn die sich ausbreitenden Netze des wirtschaftlichen Austauschs auf Blockaden stoßen und mit Widerständen konfrontiert sind.
Der postmoderne Leviathan zieht zum Supermarkt, um in den Wirren der technologischen Innovation das Schwert in den Dienst der globalen Akkumulationslogik zu stellen. Die Ordnung der neuen Zeit ist angebrochen. Die Kriegsfurien sind gezähmt und patrouillieren durch die Gänge des Wal- Mart, um jene zu bestrafen, die sich nicht an die Regeln halten. Waffen, Demokratie und Eigentum heißen heute Netwar, Regime Change und TRIPS. Sie markieren den strategischen Horizont, mit dem wir konfrontiert sind: Netwar als vollständige Übertragung der Informationsökonomie auf die Sphäre des Krieges; Regime Change als das politische Dispositiv des imperialen „Friedens“; TRIPS als die Garantie imperialer Herrschaft über die Warenflüsse.
Trotzdem kann die militärische Rationalität nie ganz verhindern, dass das „Übel“ die Herrschenden in die Waden beißt: Der rettende Schlag, der in einer Situation der Unregierbarkeit Ordnung schafft, existiert nicht. Es kann nur darum gehen, die Unordnung zu kanalisieren und in eine Kette von vorhersehbaren Aktionen/Reaktionen zu bringen. Der militärische Schrecken verweist somit auf eine reale Schwierigkeit der Herrschaft: die Unmöglichkeit nämlich, eine andere rationale Begründung für einen Konflikt anzugeben als ihre eigene. Der Naturzustand, vor dem heute die imperiale Souveränität ihre Untertanen mit Kriegen niedriger Intensität beschützt, ist die Unsicherheit des Weltmarkts. Was die Politik der Multitude und das Verhältnis von Krieg und sozialer Bewegung angeht, so gilt hier: Den guten Ratschlägen sind die schlechten Beispiele immer noch vorzuziehen.
Der von Thomas Atzert aus dem Italienischen übersetzte Text ist eine kollektive Produktion der italienischen Zeitschrift POSSE und wurde von der Redaktion stark gekürzt.
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Erschienen in arranca! #36
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