Imperialer Multilateralismus in der Krise

Zum „Formtief “ von IWF, WTO und G8

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Im Zuge der ökonomischen Globalisierung wurden die großen multilateralen Institutionen – IWF, Weltbank, WTO, OECD, BIZ 1, NATO – zu einem Verbund integriert, der das neoliberale Projekt auf politischer Ebene flankierte. Wie die Spinne im Netz sollte die G8 dafür als informelle Schalt- und Koordinationsstelle fungieren. Das System war nicht perfekt. Aber es zeichnete sich so etwas wie eine real existierende global governance ab: ein Flechtwerk, herrschaftsförmig und hierarchisch strukturiert, mit imperialem Charakter, das die Geschicke des Planeten zu bestimmen schien.

Die UNO wurde in dieser Weltordnung immer weiter an den Rand gedrängt. Dort wo es in das strategische Design des Imperiums passte, wurde der Sicherheitsrat einbezogen und, wie im Fall des Kriegs in Afghanistan, instrumentalisiert. Ansonsten war sie für weiche Themen wie Entwicklung und Armutsbekämpfung zuständig. Angesichts ihrer realpolitischen Machtlosigkeit musste sie sich dabei weitgehend auf Rhetorik beschränken.
Aktuell mehren sich allerdings die Anzeichen, dass der imperiale Multilateralismus zunehmend in Schwierigkeiten gerät. Die Frage ist: Handelt es sich um ein vorübergehendes Formtief oder um einen tiefer gehenden, strukturellen Umbruch? Ist die Krise der Institutionen die Vorbotin einer neuen Epoche, in der die machtpolitischen Karten neu gemischt werden?

WTO und IWF angeschlagen

Dass die Welthandelsorganisation (WTO) in der Krise steckt, ist seit Seattle weithin sichtbar geworden. Die Doha-Runde und damit der Versuch einer weiteren Liberalisierung des Welthandels sind vorerst gescheitert. Beim einstigen Flaggschiff der neoliberalen Globalisierung scheint die Parole der Protestbewegung Shrink or Sink sich in Richtung des Sinkens zu erfüllen. Die großen Spieler in der Handelspolitik sind inzwischen alle dabei, auf bilaterale Handels- und Investitionsabkommen auszuweichen.

Mehrere Faktoren haben zum Scheitern der WTO beigetragen:

1. Die Rivalitäten zwischen den handelspolitischen Giganten EU und USA haben bereits in Seattle zu Blockaden geführt. Ob Agrarpolitik, Industriesubventionen oder Liberalisierung beim audiovisuellen Sektor, die Rivalitäten nehmen eher zu als dass sie abnehmen. Die Handelspolitik ist zudem das einzige Terrain, auf dem die EU den USA ebenbürtig ist.

2. Die Emerging Markets, vorne weg China, Indien und Brasilien sind zu handelspolitischen Schwergewichten aufgestiegen. Sie verfolgen dabei nicht nur zielstrebig ihre eigenen Interessen, sondern haben sich kollektiv organisiert. Die Bildung der informellen Gruppe der 20 (G20) bei der Konferenz in Cancún ist Ausdruck davon.

3. Auch die anderen Entwicklungsländer haben seit Seattle begonnen, ihre Interessen selbstbewusster zu vertreten. So haben sich die afrikanischen Staaten zu einer Gruppe zusammengeschlossen. Auch wenn ihre handelpolitische Verhandlungsmacht begrenzt ist, konnten sie zumindest in der Agrarpolitik dazu beitragen, dass die Industrieländer ihre Agenda nicht durchziehen konnten.

4. Schließlich haben die weltweiten Proteste und die damit einhergehende Delegitimierung der WTO in der Weltöffentlichkeit zur Akzeptanzkrise des Neoliberalismus im Allgemeinen und der Krise der neoliberalen Institutionen im Besonderen beigetragen. Diese Faktoren wirken über die WTO hinaus auch auf die anderen Institutionen und insgesamt auf den Gang der Weltgeschichte.

Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) hat ernste Probleme. Nach der Asienkrise hatten sich bereits Malaysia und einige andere asiatische Emerging Markets mit der Einführung von Kapitalverkehrskontrollen von der reinen Lehre des Washington Konsenses verabschiedet. China und Indien hatten sich gar nicht erst darauf eingelassen. Als Brasilien und Argentinien vorfristig ihre Schulden beim Fonds zurückzahlten und sich damit der Abhängigkeit und den daraus resultierenden Strukturanpassungsauflagen entzogen, brach am Washingtoner Sitz des Fonds nicht nur eine Identitätskrise, sondern sogar eine Haushaltskrise aus. Ohne Zinsen und Gebühren von großen Schuldnern schrumpft das IWF-Budget nämlich schmerzhaft. Selbst Indonesien, der letzte Großschuldner, hat angekündigt, seine Verbindlichkeiten binnen zweier Jahre zu tilgen. Die Einnahmen sanken 2006 um mehr als die Hälfte auf 1,39 Mrd. US-Dollar. Für 2009 wird sogar nur noch mit 635 Mio. US-Dollar gerechnet. Hatte der Fonds zwei Jahrzehnte eine Hauptrolle als Präzeptor der Weltwirtschaft gespielt, riskiert er jetzt zum Kleindarsteller zu werden.
Die Kritik am IWF reicht bis weit in den Mainstream hinein. So stellt ein Bericht über die strategische Überprüfung des Internationalen Währungsfonds, den der Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments 2006 erstellt hat (Hamon-Report) fest, dass der Fonds in den letzten 20 Jahren weitgehend versagt hat. Die Strukturen seien veraltet und verkrustet. Die Kommission fordert eine strikte Einschränkung auf das Kernmandat, d.h. Wechselkursschwankungen zu stabilisieren und Ländern mit gravierenden Zahlungsbilanzproblemen Überbrückungshilfen zu gewähren. Gleichzeitig werden Veränderungen der Stimmrechtsverhältnisse angemahnt, vor allem eine Erhöhung des Gewichts der Europäer. Selbst IWFChef Rodrigo Rato, Nachfolger von Horst Köhler, spricht inzwischen von der Notwendigkeit von Reformen.

G8 – ein Auslaufmodell

Auch die Weltbank, die bei den großen Leitlinien der Politik dem Fonds schon immer nachgeordnet war, wird davon betroffen sein. Von einer regelrechten Krise kann zwar nicht die Rede sein, aber der gegenwärtige Kurs ist strategisch diffus. Einerseits hält man – mit einigen rhetorischen Zugeständnissen – am neoliberalen Leitbild fest, andererseits sind die katastrophalen Ergebnisse von 15 Jahren Washington-Konsens zu offensichtlich, als dass man noch einfach business as usual betreiben könnte. Die Probleme der Bretton-Woods-Zwillinge sind in erster Linie die Probleme der USA. Denn nach wie vor gilt Zbigniew Brzezinskis Einschätzung: „Offiziell vertreten der Internationale Währungsfonds und die Weltbank globale Interessen und tragen weltweit Verantwortung. In Wirklichkeit werden sie jedoch von den USA dominiert.“
Auch bei der G8 stellt sich die Frage, ob das Konstrukt noch eine Existenzberechtigung hat. Vor dem Gipfel 2006 in Russland warf Tony Blair den Vorschlag in die Runde, aus der G8 doch eine G12 zu machen, d.h. China, Indien, Brasilien und Südafrika aufzunehmen. Gegenwärtig repräsentieren die G8 gerade mal 13% der Weltbevölkerung. Eine G12 brächte es auf über 50%, womit zumindest arithmetisch eine gewisse Repräsentativität entstünde. Doch das Problem der G8 ist nicht nur ihr Demokratiedefizit. Nach Ende des Kalten Krieges haben in der Gemengelage von Kooperation und Konflikt die zentrifugalen Tendenzen stark zugenommen. Die Blockdisziplin war entfallen, so dass vor allem die EuropäerInnen eigene Interessen stärker artikulierten. Auf der anderen Seite haben der Unilateralismus der Bush-Administration und ihr Kreuzzug gegen den Terrorismus die Divergenzen vertieft. Höhepunkt in dieser Entwicklung war der Irakkrieg. Auch die Aufnahme Russlands hat sich in den letzten Jahren eher als Belastung erwiesen. Während Boris Jelzin ein gefügiger Hintersasse des Westens war, versucht Wladimir Putin ein Comeback Russlands als eigenständige Großmacht. Er setzt dabei auf den Status als atomare Supermacht und den strategischen Einsatz der Reichtümer an Öl und Erdgas. Auch im Umgang mit dem Iran, beim jüngsten Libanonkrieg und in der so genannten Sicherheitspolitik klaffen deutlich Differenzen. In seiner aufsehenerregenden Rede bei der jüngsten Münchener Sicherheitskonferenz hat Putin hierzu Klartext geredet.

Aufstieg der BRICS

Den Vorschlag Blairs für eine G12 hat Angela Merkel vorerst abgelehnt. Die vier Kandidaten sind in Heiligendamm also zunächst noch als Gäste dabei. Die Heterogenität der Gruppe würde mit einer Vollmitgliedschaft der Neuen drastisch zunehmen. Es ist höchst fraglich, ob die Gipfel dann noch den Rahmen abgeben können, in dem der Westen seine Interessen aufgehoben sieht. Auch wenn man gegen die Hysterie immun ist, die um den rasanten ökonomischen, politischen und militärischen Aufstieg Chinas, die Renaissance russischer Großmachtpolitik und die sich abzeichnende Weltmachtrolle Indiens entstanden ist, so ist dennoch klar, dass sich die globale Machtkonfiguration grundlegend verschiebt. Es scheint, dass die Epoche nach dem Kalten Krieg sehr kurz gewesen ist. Nicht einmal zwei Jahrzehnte nachdem das Ende der Geschichte verkündet wurde, erleben wir eine enorme Beschleunigung der Geschichte. Ein tiefer historischer Einschnitt kündigt sich an. Ein halbes Jahrtausend hat der Westen – zuerst Spanien und Portugal, dann England und zuletzt die USA – die Welt beherrscht. Diese Position wird nun durch die Newcomer ernsthaft in Frage gestellt.
Insofern dürfte hinter den Problemen der multilateralen Institutionen mehr stecken als eine Formkrise. Prompt gewinnen Ideen zu einer neuen Blockbildung wie das Projekt einer transatlantischen Partnerschaft wieder an Boden. Eine transatlantische Freihandelszone ergänzt durch engere politische Kooperation wird als mögliche Reaktion gehandelt. Und die NATO gibt es ja schon. Wie realistisch diese Vorstellung ist, sei dahin gestellt. Tatsache ist, dass die Linke sich noch nicht auf die anstehenden Umbrüche eingestellt hat. Wie positioniert man sich gegenüber den neuen Entwicklungen? Einfache Antworten nach der Logik „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ verbieten sich. Weder der chinesische Staatskapitalismus noch Putins autoritäres Regime sind emanzipatorische Veranstaltungen. Und die westliche „Wertegemeinschaft“, von der unsere Kanzlerin schwärmt, kann nicht die Alternative sein. Eine gründliche Debatte steht also an.

Anmerkung

1 Bank für internationalen Zahlungsausgleich. Der Zusammenschluss der Zentralbanken der Industrieländer ist eher unauffällig, spielt aber für das internationale Finanzsystem eine wichtige Rolle.

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Erschienen in arranca! #36

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