Antifa heißt ... !

Beginn einer notwendigen Diskussion über antifaschistische Aktionen

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Wenn dumme Parolen auf schwache Strukturen treffen, wenn Nazi-Großveranstaltungen fast unwidersprochen bleiben, wenn schnelles Abenteuer die Diskussion um Inhalte und Strategie antifaschistischer Politik ersetzt, dann ist es Zeit für eine kritische Reflexion. Unserer Meinung nach steckt die linksradikale antifaschistische Bewegung der Bundesrepublik in einer Krise – und das nicht erst seit gestern. Antifaschistische Mobilisierungen können immer weniger Menschen bewegen. Viele Aktionen schwanken zwischen pseudomilitanter Selbstbeweihräucherung und selbstmitleidigem Gejammer und die gesellschaftliche Relevanz scheint uns seit längerem abhanden gekommen zu sein. Was tun? Im Folgenden wollen wir als Kampagne NS-Verherrlichung stoppen! darlegen, welche Entwicklungen wir problematisch finden, was politisch schlichtweg in die falsche Richtung geht und wie unsere Vorstellungen von linker antifaschistischer Politik aussehen. Wir hoffen, damit eine Debatte über Gegenwart und Zukunft des linken Antifaschismus anzuregen – eine Debatte, die unseres Erachtens mehr als überfällig ist.
Anlass der Gründung der Kampagne NSVerherrlichung stoppen! waren die seit 2001 wieder genehmigten Rudolf-Hess- Gedenkmärsche der NationalsozialistInnen. Die Zahl der daran Teilnehmenden hatte sich bis 2003 bereits auf 2500 Nazis aller Lager und Generationen aus ganz Europa erhöht. Die antifaschistische Bewegung war zu diesem Zeitpunkt nicht in der Lage gewesen, dem Aufmarsch politisch oder praktisch etwas entgegenzusetzen.
Langfristiges Ziel der Kampagne war und ist es, die alljährlichen Großereignisse der Naziszene, die neben der Außenwirkung auch eine starke Bindungswirkung nach innen haben, zu verhindern. Zudem wollen wir in öffentliche Debatten intervenieren: Es geht uns auch darum, die herrschende Geschichtspolitik anzugreifen, da sie den Nazis Spielräume eröffnet, die sich beispielsweise in Wunsiedel realisieren. Für diese Einmischung müssen wir einen breiten antifaschistischen Konsens in der Gesellschaft etablieren – unter anderem durch Bündnisund Öffentlichkeitsarbeit. Grundlegende Voraussetzung für diese Intervention bleibt vor allem die Weiterentwicklung des politischen Bewusstseins vieler organisierter und unorganisierter AntifaschistInnen. Im Jahr 2004 wurde seitens der Kampagne zu einer antifaschistischen Kundgebung nach Wunsiedel eingeladen, ein Jahr später gelang es uns mit mehr als 80 Infoveranstaltungen, Flugblättern, Plakaten und Pressearbeit trotz des Verbots des Nazi- Aufmarsches etwa 2000 AntifaschistInnen nach Wunsiedel zu mobilisieren.
Unser Name deutet es an: Wir haben uns nie als Anti-Hess-Kampagne begriffen, sondern richteten unsere Politik von Anfang an gegen jede Form der Verherrlichung des Nationalsozialismus und der Relativierung der deutschen Geschichte. Aus diesem Grund haben wir mit dem Jahr 2006 unsere Kampagne offensiv erweitert und andere neonazistische Großveranstaltungen, auf denen offen Krieg und Nationalsozialismus verherrlicht wird, in unsere Arbeit mit einbezogen. Die Aufmärsche von Dresden und Halbe und das Treffen von Mittenwald zu thematisieren, den Blick der Öffentlichkeit auf diese Ereignisse zu lenken, Menschen zu Protesten zu mobilisieren, war und ist unser Anliegen. Dennoch war es nicht mehr möglich, ähnliches Interesse an einer unserer Aktionen zu schaffen, wie 2005 in Wunsiedel geschehen.
Der Schwerpunkt unserer Arbeit liegt auf Information und Aufklärung und wir versuchen, die Mobilisierung an politischen Kriterien zu orientieren. Konkret heißt das: Wir laden Menschen ein, gemeinsam mit uns für ein längerfristig angelegtes, klar umrissenes politisches Ziel zu demonstrieren. Dabei setzen wir vor allem auf eine politische Bestimmung unserer Praxis statt auf eine emotionale. Denn es ist klar, dass eine lediglich auf Be- und Verhinderung des jeweiligen Aufmarsches ausgerichtete Mobilisierung langfristig politisch scheitern muss. Wir wollen vielmehr versuchen, mit unserer Kampagne auf das gesellschaftliche Kräfteverhältnis insgesamt einzuwirken. Dazu ist es notwendig, die antifaschistische Praxis jeweils an der Situation und unserer allgemeinen Zielsetzung auszurichten.
Vor dem Hintergrund der Überzeugung, dass antifaschistische Arbeit auch immer den Blick auf gesellschaftliche Verhältnisse und deren Ursachen wagen muss, fi nden wir die momentane politische Ausrichtung der antifaschistischen Bewegung kritikwürdig. Oft genug zielt die politische Praxis nur darauf ab, sich als „autonome Antifas“ darzustellen. Bestimmte Formen des Protestes werden unabhängig von den Gegebenheiten ewig gleich wiederholt, weil bei vielen offenbar die militante Geste ein Ersatz für politisches Bewusstsein geworden ist.
Eine Betrachtung der antifaschistischen Aktionen und Demonstrationen der letzten Jahre zeigt schnell, welche dieser Aktivitäten mobilisierungsfähig sind und vor allem, wie dazu mobilisiert wird: Selbst Kleinstnaziaufmärsche ziehen – auch über die betroffene Region hinaus – eine erhebliche Anzahl Antifas an, wenn nur die Mobilisierung eine mögliche körperliche Konfrontation verspricht. Dabei kommt es nicht in erster Linie darauf an, dass eine militante Auseinandersetzung tatsächlich geführt wird – ganz im Gegenteil fi nden zielgerichtete, organisierte militante Auseinandersetzungen nur noch äußerst selten statt. Anziehungskraft besitzen vielmehr Aktionen, in denen militante und oft mackerhafte Selbstdarstellung umfassend gewährleistet ist. Oft ist die Mobilisierung zu solchen Ereignissen fast ausschließlich auf die Verhinderung von Naziaktivitäten ausgerichtet und es steht die Verheißung auf einen Tag, an dem „was geht“, im Vordergrund. Dementsprechend auch die Symbolik, die zu solchen Mobilisierungen genutzt wird: Bagger, Superhelden, brennende Mülltonnen und Steine werfende Vermummte. Nicht selten laufen Aktionen dann auch entsprechend ab: Für die Darstellung identitätsfestigender Posen treffen sich Leute mit gleichen Klamotten und gleichen Vorstellungen davon, wogegen sich linksradikaler Antifaschismus alles abzugrenzen hätte. Eine politische Bewegung sollte jedoch mehr leisten können. Peinliche Parolen wie „Ein Baum, ein Strick, ein Nazigenick“ schrecken viele AntifaschistInnen von der Teilnahme an politischen Aktionen ab. Uns geht es nicht darum, bestimmte Dresscodes und Lifestyles zu dissen, sondern wir kritisieren hier die politische und kulturelle Ausrichtung, wie sie sich über Plakate, Slogans und Symbole transportiert – gerade auch von langjährig bestehenden, anerkannten Antifa-Gruppen und Antifa- Zeitschriften. Hinter dieser Ausrichtung, die Antifa immer weniger inhaltlich bestimmt und immer mehr auf symbolische Militanz à la „Nazis wegrocken“ verkürzt, steht offenbar die Hoffnung, zunächst eine große Masse junger Menschen anzusprechen, um diese dann weiter zu politisieren. Dieser zweite Schritt erfolgt allerdings nur selten. Es dürfte auch schwer fallen, jungen Leuten, die zunächst über entpolitisierte „Action“ gewonnen wurden, später klarzumachen, dass in der alltäglichen antifaschistischen Arbeit „Action“ nur eine Nebenrolle spielt. Besonders problematisch ist hierbei, dass es keine gemeinsame Analyse über den verantwortungsvollen Einsatz von Militanz zu geben scheint.

Natürlich kann Militanz ein Mittel zur Bekämpfung von Nazis sein – aber das setzt voraus, dass mensch sich ernsthaft Gedanken über Möglichkeiten, Ziele und Folgen macht und dass diese Form von Militanz so praktiziert wird, dass sie auch in solidarischen Bündnissen mit anderen gesellschaftlichen Kräften und anderen Aktionsformen funktionieren kann. So wie sie zurzeit vom Großteil der Szene praktiziert wird, ist Militanz aber zur bloßen Symbolik verkommen, die einerseits keine ernsthafte Gefahr für die Aktivitäten der Nazis darstellt, andererseits aber eine politische Intervention von vornherein ausschließt. Kommen wir aber noch einmal zurück zu unserer Kampagnenarbeit: Wir denken, dass sowohl der eingangs erwähnte Interessenrückgang als auch der eben beschriebene Militanz- Symbolismus Ausdrucksformen der Defizite unserer Bewegung sind.

Als Reaktion auf den Antifaschistischen Aktionstag in Wunsiedel im Jahr 2005 hörten wir zwar, dass dieser politisch richtig gewesen sei, aber es wurde auch Unzufriedenheit darüber geäußert, an einem Ort zu sein, während Nazis woanders ihre Aktion durchführen. Schon begann eine Diskussion darüber, ob man Nazis nicht besser hinterherfahren sollte, anstatt eine eigene politische Veranstaltung zu machen. Diese Diskussion ist alles andere als neu und führte schon in den 1990er-Jahren zu einem desaströsen antifaschistischen Politik verständnis, bei dem ein kleiner Haufen hochtechnisierter Antifas einem ähnlich kleinen Haufen Neonazis auf deutschen und europäischen Autobahnen hinterher jagte, wofür sich der Rest der Welt einen Scheißdreck interessierte. Die erlebnisorientierte antifaschistische Bewegung tendiert zu dem Ort, an dem sich das Feindbild materialisiert – das ist nicht immer verkehrt, manchmal aber kurzsichtig. Da antifaschistische Mobilisierungen jedoch nicht im luftleeren Raum funk tionieren, hatten wir versucht, unser politisches Vor gehen in Wunsiedel 2006 den Gegebenheiten anzupassen. Das führte in ein strategisches Dilemma: Wir entschieden uns gegen eine Veranstaltung vor Ort, sollte der Aufmarsch dort verboten werden. Eine Drei-Optionen-Mobilisierung wurde gestartet: Wenn die Nazis in Wunsiedel sind, fahren wir dorthin. Wenn sie zentral zu einem anderen Ort mobilisieren, verlegen wir unsere Veranstaltung. Wenn sie dezentral agieren, sagen wir unserer Mobilisierung seitens der Kampagne zu Gunsten regionaler antifaschistischer Strukturen ab. Wie gesagt, das war mobilisierungsstrategisch eine wackelige Angelegenheit und genau das wurde als Argument gegen unser Vorgehen vorgebracht. Bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt, an dem längst nicht klar war, ob es eine erlaubte zentrale Nazidemonstration geben würde, war zu erkennen, dass eine große antifaschistische Mobilisierung wie 2005 nicht gelingen konnte. Fast nirgendwo war die dafür nötige Infrastruktur entstanden. Wir konnten die abwehrende Haltung der meisten Gruppen: „Noch mal fahren wir da nicht hin, wenn da keine Nazi sind“ nicht durchdringen. Es ist offensichtlich, zu welchen Anlässen Interesse geweckt werden kann und vor allem wodurch – gemeinsame politische Vorstellungen und Ziele sind das oftmals nicht. Und hier sind wir eben wieder an dem Punkt einer entpolitisierten Antifa-Bewegung, die nach sehr persönlichen Kriterien über das eigene Partizipieren entscheidet.

Bezeichnend für diese Tendenz war ebenfalls die antifaschistische Reaktion auf den Bundesparteitag der NPD im November 2006 in Berlin, die schlichtweg nicht stattfand. Es gab keine organisierten antifaschistischen Aktivitäten und es kamen weniger Leute als zu mittelmäßigen Infoveranstaltungen oder schlecht beworbenen Soliparties. Zum Berliner NPD-Landesparteitag im Februar 2007 gab es zwar einen Aufruf, eine breite Mobilisierung gelang jedoch auch hier nicht. Die politische Bedeutung eines Parteitags der größten und aktivsten Nazi-Organisation der Bundesrepublik und der damit einhergehende faktische öffentlichen Bewegungsspielraum ist offenbar vielen nicht bewusst – weder organisierten AntifaschistInnen noch deren (subkulturellem) Umfeld.
Die oben beschriebenen Probleme wirken sich derzeit noch nicht existentiell auf die Mobilisierungsfähigkeit der antifaschistischen Bewegung aus, dennoch führen sie langfristig zu einer Einbuße an politischer Interventionsfähigkeit. Daher ist es Zeit für eine bundesweit breite Diskussion darüber, auf Basis welcher Analyse und mit welcher Zielrichtung wir in der Zukunft antifaschistische Arbeit gestalten wollen. Dabei ist es wichtig, die sehr guten Recherchen und Analysen, die in den letzten Jahrzehnten in der Antifa-Szene gemacht wurden, ernst zu nehmen. Wir müssen bereit sein, auch lieb gewonnene Traditionen und Selbstverständnisse zu hinterfragen und gegebenenfalls aufzugeben.

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Erschienen in arranca! #37

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