Editorial

Am Anfang: Worte wie Weihrausch für die LeserInnen

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Tausende blockieren die Zufahrtsstraßen von Heiligendamm (Juni), Menschen stehen unter Terrorverdacht (Juli), weil sie bestimmte Begriffe kennen, die Wiege des alten Europas brennt (August) und FelS macht eine arranca! mit dem Titel „Rausch und Religion“ (Oktober). Was ist das? Der Rückzug ins Private? Saufen und beten?

Zunächst lassen wir uns ungern Themen aufdrücken, auch von Ereignissen nicht. Ansonsten müssen wir zugeben, dass Tagespolitik nicht besonders arranca!-tauglich ist. … Das Internet killt das Printmedium (darüber denken wir oft nach, möglicherweise eines Tages mit Konsequenzen). Um es offensiv zu wenden: Wir machen antizyklische Berichterstattung. Um dem Aktualitätsbedürfnis dennoch ein wenig entgegenzukommen haben wir als FelS eine kleine arranca! extra zum Thema G8 gemacht. In der großen arranca! wenden wir uns lieber Themen zu, die längerbeständig sind. Rausch und Religion – zwei Dauerbrenner des Geistes – und Sozialgeschichte. Die Frage, ob Religion Opium des Volkes ist oder für das Volk dürfte sich in neuerer linker Theorie entschieden haben. Unsere Verwobenheiten in Herrschaftsmechanismen sind augenscheinlich. Ratzinger wäre auch vom „Volk“ zum Papst gewählt worden oder es wäre eigens ein Posten erfunden worden, um ein deutsches Wesen zum Paten im Religionsopiumskartell zu machen.

Auch andere Opiate wie „Deutschland sucht (...)“ müssen nicht ausgeteilt werden, sie werden ausgewählt. Mit der Frage, ob die Menschen sich von der Religion nähren oder die Religion ihre Kinder frisst, beschäftigt sich der Sufimus-Artikel von Frieder Otto Wolf.

Während linker Zorn früher noch viel gegen Kirchenmauern brandete, haben sich die Kirchen als Moralinstanz in neoliberalistischen Zeiten zum kleineren Übel gemausert. Früher war es das Schlimmste, was passieren konnte, dass das eigene Kind auf einmal Erweckungserlebnisse vortäuscht und getauft werden will. Heute ist das immer noch besser, als wenn es nur Lilyfee-Kleidchen tragen will oder den ganzen Tag schwulenfeindlichen HipHop gut findet oder im Studium ein Praktikum an das andere reiht und sich mit Freude vom System rädern lässt bis zum Gehtnichtmehr. Wenigstens schützt Religion vor allzumodischem Aussehen und vor manchesterkapitalistischer Selbstausbeutungsfreude. Zudem braucht der Kapitalismus auch das protestantische Ethos nicht mehr so, da er sich eigene Wertesysteme baut. Punktuell bremst die Religion den Kapitalismus eher aus, wenn es um Sonntagsarbeit oder zu viele Rüstungsexporte in zu schlimme Länder geht. Wenn es drauf ankommt, werden die Religionen aber wohl mitmachen bei allem Übel. Ein Gewissen, was von Steuern lebt, kann nicht funktionieren.

Ob Rausch- oder Religionsmittel: Beides bedeutet Entzug von Systemanforderungen, während die Religion über einen durchdachteren Überbau verfügt als die frei flutende Berauschtheit. Religion und Rausch entziehen sich beide einem alles durchdringenden Verwertbarkeitswahn, der Metaphysik schlecht assimilieren kann. Religiöse Taumler und Haschrebellen sind zwar keine Maschinenstürmer (Opium ist auch Opium des Volkes), machen aber immerhin auch mal Pause beim Arbeiten, um sich mit anderen Dingen zu beschäftigen, für die sie nicht bezahlt werden. Mehr zum Thema Religion und Kapitalismus bitte hier: Seite 20.

In Deutschland hat die SPD die Kirchen in den letzten 15 Jahren außerdem deutlich rechts überholt. Das soziale Gewissen ist nicht mehr in der SPD zuhause, wohl aber noch in der evangelischen Kirche. Zusätzlich braucht die Religion den Rausch als Instrument, der Rausch ist sich aber selbst genug. Myrrhe und Weihrauch, Reden in Zungen, sich geißeln, die Zehn Gebote empfangen, Kreuzigungen durchführen oder Fatwen aussprechen – alles geht berauscht ein bisschen besser. Interessant eigentlich, dass der Islam eifersüchtig Alkohol untersagt. Man muss physiologisch nüchtern sein, um religiöse Ekstasen nicht zu „verwässern“. Du sollst keine anderen Drogen haben neben mir. Mehr zu Islamfeindlichkeit, besonders in Berlin- Pankow, im Artikel der Gruppe Soziale Kämpfe.

Was sonst?

FelS war in Börgerende – ein FelSler berichtet davon. FelS war nicht nur in Börgerende, sondern auch wesentlich an der Block G8-Vorbereitung und Durchführung beteiligt, auch das wird hier ausgewertet. Der Frage, wie weiß der Elfenbeinturm bei uns sein möchte, geht der Artikel auf Seite 42 nach, der sich mit rassistischem Alltag in der Wissenschaft auseinandersetzt. Die so genannten „Neo“-Nazis versuchen noch immer in Halbe ihren seit 60 Jahren toten Nazitoten zu gedenken. Solches Vorhaben ist verhinderungswürdig, was im Artikel der Antifa-AG vorgestellt wird.

Wir freuen uns, dass diese Nummer von zwei Layoutern gestaltet wird, die bei der arranca! und bei FelS mitmachen. Endlich ist die Auflösung der Trennung von Kopf- und Handarbeit wieder gelungen!

Glaubt uns und rauscht!
Wenn Ihr das mit FelS gemeinsam machen wollt, seid Ihr herzlich eingeladen,
mailt uns: arranca[ÄT]lists.nadir.org
Eure arranca!-Redaktion!

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Erschienen in arranca! #37