Hoffnung Koka

Drogen- und Kokapolitik in Bolivien

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Ohne Koka hätten sie das wohl nicht durchgehalten. Über dreißig Stunden braucht der kleine voll bepackte Bus für die knapp 600 km über die schlammige Schotterpiste von der brasilianischen Grenze bis nach Santa Cruz, im Osten Boliviens.1 Sechsmal zischt der Hinterreifen des Busses, Zeichen für die Passagiere auszusteigen und dem Busfahrerteam zuzuschauen, das mit von Kokablättern gefüllten Backe, geduldig immer wieder den Mantel von der Felge zieht, ihn näht und den Schlauch flickt.

Die Tradition der Kokapflanze

Das Blatt des Kokastrauches besitzt in der Geschichte der Andenvölker eine jahrtausende alte Tradition. Der Koka-Anbau gehört bis heute zu einem der Hauptwirtschaftszweige des hauptsächlich agrarisch funktionierenden Landes, vor allem in den Regionen Yungas und Chapare. Dem bolivianischen Präsidenten Evo Morales zufolge “hat das Kauen von Cocablättern den Menschen im Hochland von Bolivien (...) zur Zeit des Kolonialismus und bis in die Gegenwart erst ermöglicht, das entbehrungsreiche Leben und die Strapazen der Arbeit in den Zinn- und Silberminen in 4000 m Höhe auszuhalten.“2
Auch die an wirtschaftlicher Ausbeutung interessierten Kolonialisten erkannten die Vorzüge kokakauender Arbeitskräfte. Die Kokasteuer wurde zu einem wichtigen Pfeiler ihrer Herrschaft. Bis hinein ins 20. Jahrhundert blieb Koka ein unabdingbarer Lohnbestandteil der andinen Arbeitskräfte, obwohl die katholische Kirche die Pflanze und deren Gebrauch, in dem sie das „effizienteste Instrument der Kommunikation mit dem Teufel“ sahen, bereits in den 1550ern mit dem Bann belegte. Der wirtschaftliche Nutzen und der breite Konsum des Kokablattes, dem die indigenen Völker übernatürliche Kräfte beimaßen, wog die Ablehnung des katholischen Klerus auf. Bis weit in das 19. Jahrhundert wurde Koka auch von den spanischen Großgrundbesitzern vertrieben und der Konsum der Blätter stimuliert.3 Die pharmakologischen und ernährungsphysiologischen Eigenschaften des Koka waren den „Callawaya“-Wanderheilern schon zu Inkazeiten bekannt. Für sie war Koka ein Allheilmittel gegen Wunden und Tumore, gegen Kopfschmerzen und Erkältungskrankheiten, vorbeugend gegen Karies, Durchfall, Hämorriden, Nasenbluten, zur Regulierung der Fettverbrennung und der körpereigenen Insulinausschüttung etc. In ihren Ritualen spielen die Kokablätter als Opfergabe für „Pachamama“ (Mutter Erde) und für Prophezeiungen eine große Rolle. 1860 isolierte der deutsche Arzt Albert Niemann erstmals das Kokain-Alkaloid. Das weiße Pulver rief in Europa große Begeisterung hervor. Athleten erlangten mit Unterstützung des Kokains Höchstleistungen und Sigmund Freud nutzte die Droge als Antidepressivum.

Die verbotene Pflanze

Im Zuge der Prohibition setzten die USA alles daran, die Kokapflanze ins internationale Drogenabkommen der UNO aufzunehmen, was ihnen 1961 im Einheitsabkommen über Betäubungsmittel schließlich gelang. Die Andenländer erhielten die Aufforderung, den Anbau der Kokapflanze innerhalb der folgenden 25 Jahre einzustellen.
Aber das weltweite Verbot konnte die internationale Entwicklung des Drogenmarktes nicht aufhalten. Seit der Militärdiktatur Hugo Banzers Ende der 1970er Jahre wuchsen der Anbau der Kokapflanze und die Produktion des Kokains in Bolivien. Laut Theo Ronken von Accion Andina, gewann die Produktion der Droge Bedeutung für das Einkommen des Landes: „Trennt man die Kultivierung des Kokablattes vom Rest, so ist sie sehr breit in der Verteilung des Gewinnes. Der andere Teil, Pasta Base, Kokain ist viel vertikaler. Nur wenige verdienen.“4 1986 wurde die größte Kokain produzierende Fabrik in der Nähe von Santa Cruz aufgedeckt. „Dort arbeiteten Piloten aus den USA. Der Handel war international. Später schafften sich Bolivianer in den Machtpositionen größere Unabhängigkeit von Ausländern. Sie organisierten sich eigene Routen – nach Mexiko, später nach Brasilien. Das half einem Wachstum des Kokains in Bolivien.“
Die USA reagierten auf diese Entwicklungen mit verschärften Repressionen. Sie forcierten den „War on Drugs“. Die gesamte Logistik zur Drogenbekämpfung sowie die Ausbildungs- und Fortbildungsprogramme werden bis heute von den USA gestellt. Der bolivianischen Armee und verschiedenen privaten US-amerikanischen Söldnerfirmen wie Dyncorp wurden in Folge ihres harten Vorgehens massive Menschenrechtsverletzunge n zur Last gelegt.5 Zu den anhaltenden Gerüchten über die Beteiligung und das Nutznießen der Repressionsorgane am Drogenhandel, allen voran des US-amerikanischen Staates, kann nur spekuliert werden. „Es war immer klar, dass die Drogenpolizei einen Teil des Handels bildete. Sie gebrauchen ihren Einfluss, um selber zu verdienen. Ob die USA drinhängen? Dafür gibt’s keine Beweise. Und wenn’s welche gibt, verschwinden die Zeugen. Zumindest kann gesagt werden, dass Geheimdienste die Drogenbekämpfung anderen Interessen unterordnen, ob aus nationalen oder aus ökonomischen Interessen“, so Theo Ronken. So arbeitete der CIA in der Vergangenheit nachweisbar mit Gruppen in Afghanistan und mit der Contra in Nicaragua zusammen, die im Drogenhandel involviert waren. Mit massiver finanzieller Unterstützung der USA erlangte Hugo Banzer Ende der 1980er die Macht. Er schmückte sich mit seiner erfolgreichen Politik gegen die Drogenproduktion.

Intensivierung der Kokaproduktion

Doch in der Praxis finden sich Wege zur Drogenherstellung, so dass das Verbot und die Repression nur zu einer Verschiebung der Produktion in Nachbarländer führen, aber die Menge nicht beeinflussen. Jährlich erreichen konstant 300 Tonnen Kokain aus der Andenregion die USA.6 Das Kokaingeschäft setzt in Bolivien jährlich 1,5 bis 2 Mrd.US-Dollar um, davon verbleiben Schätzungen zufolge zwischen 500 und 700 Mio.US-Dollar im Land. Dies entsprach 1997 einem Drittel der legalen Exporte. Die Drogenund Kokawirtschaft schafft angesichts hoher Arbeitslosigkeit, niedriger Löhne und einer verschärften ökonomischen Krise Beschäftigung und Einkommen für einen beachtlichen Teil der Bevölkerung. Der Zusammenbruch des Zinnpreises auf dem Weltmarkt in den 1980ern trug seinen Teil zur Intensivierung der Kokaproduktion bei. Ein großer Teil der 30 000 arbeitslos gewordene „Mineros“ aus den Zinnmienen emigrierten in das Tiefland von Cochabamba, um sich mit Hilfe von Landwirtschaft, allem voran der Anpflanzung von Koka, eine neue Zukunft aufzubauen.
Zwischen 40 und 60 000 Familien (ca. 86 %) in der Region Chapare leben inzwischen vom Kokaanbau. Die Mineros, die die Erfahrungen gewerkschaftlicher Organisierung aus den Zinnminen mitbrachten, bildeten die Grundlage der Organisation, die später zur einflussreichsten Bewegung des Landes anwuchs, dem Movimiento al Socialismo (MAS) und 2005 den ersten indigenen Präsidenten Boliviens, Evo Morales, hervorbrachte.

Die Politik Morales

Mit dem Credo „Koka ist nicht Kokain“ spricht die MAS ihren Anhängern aus der Seele. Seither bemüht sich die neue Regierung um eine Legalisierung und Entkriminalisierung des Kokablattes. Jeder Familie wird der Anbau eines ‚Kato de Koka‘ zugestanden, einer Anbaufläche von 40 m2, die den einzelnen Familien ein Grundeinkommen garantieren soll. Alles, was darüber hinausgeht, soll von den Bauern freiwillig zur Vernichtung preisgegeben werden. Mit öffentlichen Vernichtungsaktionen unter Aufsicht der Bauernorganisation wollen sie Journalisten und Kritiker von ihrer Ernsthaftigkeit überzeugen. Außerdem wurden Förderprogramme zu Gesundheit und Bildung, zur Alphabetisierung, die Aufteilung von dem Staat gehörenden Ländereien im Rahmen einer „Agrarrevolution“, die Versorgung mit Telefonanschlüssen, sogar die kostenlose Übertragung der Fussballweltmeisterschaft in Gang gesetzt, von denen vor allem die Landbevölkerung profitierte. Die Regierung erklärt, zweigleisig operieren zu wollen. Zum einen soll mit starker Unterstützung der USA ein scharfer Kampf gegen den Drogenhandel, die Geldwäsche und die so genannten Vorläuferchemikalien, die man zur Kokainherstellung braucht, geführt werden. Hingegen wollen sie human sein gegenüber den bäuerlichen Produzenten des Kokas, den „schwächsten Gliedern der Kette“. Sie proklamieren weiter, die so genannte Überschussproduktion an Koka, die in die illegale Weiterverarbeitung geht, freiwillig und im Konsens mit der Bauernorganisation zu reduzieren, „zum ersten Mal in der Geschichte Boliviens ohne Gewalt, Menschenrechtsverletzungen und Ungerechtigkeit.“7 Im Hintergrund dieser Drogenpolitik steht jedoch, dass „Koka-Zero“ das Ergebnis des Drucks der USA und Europas war. „Das Problem der Regierung ist zu glauben, dass ein sofortiger Politikwechsel hin zu „Kokain-Zero“ und nicht mehr „Koka-Zero“ auch die Probleme Boliviens bezüglich der Menschenrechte, der nationalen Unabhängigkeit etc. ändern würde und das ist illusorisch. Deswegen ist die Botschaft der Regierung nicht korrekt. Als ob die „Kokain-Zero“ Politik unabhängig von der USA machen würde. Im Gegenteil, es wird die Abhängigkeit bestätigen. Es wäre fairer, wenn die Regierung zugeben würde, dass sie momentan nicht aus der Abhängigkeit heraus kann.“

Industrialisierung der Koka-Pflanze

Die bolivianische Regierung will durch die Ächtung der Droge Kokain einerseits und die Etablierung und den Ausbau eines legalen Absatzmarktes zur Reduzierung der sozialen Misere der Kleinbauern andererseits die Drogenproduktion bekämpfen. Bereits auf der Weltdrogenkonferenz 2006 in Wien versuchte Evo Morales die Streichung der Kokapflanze von der Liste der verbotenen Substanzen zu erreichen. Doch die Vorurteile gegen die Kokapflanze sind stark. Was der Regierung damals nicht gelang, soll u.a. mit Hilfe der Welternährungsorganisation FAO möglich werden. Diese will die Entwicklung wissenschaftlicher Studien zur Industrialisierung des Koka fördern, um auf diese Weise zur Entkriminalisierung auf dem Weltdrogengipfel 2008 beizutragen. China, Indien und Venezuela hätten bereits Interesse an Kokaprodukten bekundet. Die großen Hoffnungen auf einen wachsenden legalen Absatzmarkt hält Theo Ronken indes für Hirngespinste: „Es gibt große Hoffnung, dass die Entkriminalisierung des Blattes mehr Einkommen für die Produzenten bringt. Der traditionelle Markt(...) könnte einfacher organisiert werden. Er leidet an den Folgen des Verbotes. Für die Alternativprodukte des Koka, Mate, Kekse etc., habe ich nicht soviel Hoffnung, dass sich die ökonomische Situation verändern wird. Weil sich diese Produkte erst einen Markt schaffen müssen, was schwierig sein wird. (...) Logisch wäre der pharmazeutische Markt. Da gibt’s Produkte, die dem Kokain sehr ähnlich sind. Hier müsste man von Produkten, die sich aus dem Kokablatt ableiten, reden. Die Pharmaindustrie wird das kaum akzeptieren.“ Die Regierung verfolgt seit 2006 eine Industrialisierung des Kokablattes mit dem Aufbau dreier Fertigungsanlagen für Koka-Tee, Likör und Kokamehl. Zukünftig soll dies ausgeweitet werden auf Medikamente, Kosmetika, Zahnpasta, Erfrischungsgetränke und Nahrungsmittel.

Anmerkungen

1 Bolivien, infrastrukturell kaum erschlossen und etwa dreimal so groß wie Deutschland, hat nur wenige Asphaltstrassen. Denn obwohl das Land über reichhaltige Bodenschätze verfügt, u. a. dem größten frei ausbeutbaren Erdgasvorkommen Lateinamerikas, gilt es als das ärmste und exportschwächste des Kontinents. Zwei Drittel der circa neun Millionen EinwohnerInnen gehören verschiedenen indigenen Völkern an. Etwa eben so viele leben lediglich von einem Dollar am Tag.

2 http://www.evomorales.net

3 vgl. NZZ Folio 06/95 - Thema: Kokain, Koka, Coke, Kokain, Die wechselvolle Geschichte der Kokapflanze. Von Alex Baur.

4 Interview mit Theo Ronken, März 2006, Cochabamba, Bolivien. Alle Zitate von Theo Ronken stammen aus diesem Interview.

5 DynCorp, eine US-amerikanische private Sicherheits- und Militärfirma, betätigt sich weltweit in zahlreichen Konfliktgebieten und gehört zu den führenden 25 Militärdienstleistern. In der Chapare-Provinz von Bolivien beteiligt sie sich an der Zerstörung von Koka-Feldern. Außerdem soll sie dort auch zur Aufstandsbekämpfung eingesetzt worden sein und am Kokain-Schmuggel verdienen, was allerdings nicht bewiesen werden konnte. 1999 fand eine Untersuchung gegen das Unternehmen heraus, dass „Angestellte und Aufsichtspersonen von DynCorp (...) illegal mit Waffen, Frauen, Kindern und gefälschten Pässen handelten und an unmoralischen Taten teilnahmen.“ vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/DynCorp

6 Interview mit Theo Ronken, März 2006, Cochabamba, Bolivien.

7 Lateinamerika Anders, Nr. 2 2006: Interview mit Felipe Cáceres (Vizeminister) „Ja zum Koka, Nein zum Kokain.“ S.20.

 

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Erschienen in arranca! #37

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