Wie weiß ist der Elfenbeinturm?

Zum Rassismus in der Wissenschaft

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Ein Rechtsstreit zwischen zwei Dozenten am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin eröffnet einen neuen Blick auf einen oft totgeschwiegenen Aspekt des Wissenschaftsbetriebes: Wie Rassismus und Weiße1 Definitionsmacht dafür sorgen, dass unter dem Deckmantel „objektiver“ Wissenschaft kolonialrevisionistische Thesen vertreten und kritische Schwarze Perspektiven zum Schweigen gebracht werden sollen – zur Not vor Gericht.

Wer schafft wessen Wissen und wessen Wissen schafft es nicht in die Wissenschaft? Inwieweit ist Wissenschaft in Deutschland geprägt durch Rassismus und eine Weiße Position, die universelle Gültigkeit beansprucht, ohne sich zu hinterfragen?

Fragen wie diese bilden den Hintergrund eines Prozesses, den der Kläger Privatdozent Dr. Dr. Ulrich van der Heyden vor dem Landgericht Berlin gegen den Diplompolitologen Yonas Endrias anstrengte. Gegenstand der Klage war die Aussage Endrias‘, van der Heyden habe in einer Ausschusssitzung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Berlin- Mitte 2004 ausgeführt, es sei den am Preußischen Hof arbeitenden so genannten „Hofmohren“ besser gegangen als der damaligen arbeitenden deutschen Bevölkerung. Zur Illustration dieser These verwies van der Heyden auf den goldenen Halsring, welcher damals von den Versklavten getragen wurde. Eine mehr als fragwürdige Aussage, bedenkt man den historischen Kontext: Die betreffenden AfrikanerInnen waren im Rahmen des europäischen Sklavenhandels verschleppt worden und dienten am Hof der Zurschaustellung von Macht und Einfluss ihrer Herren – was sich in jenen goldenen Halsbändern ausdrückte, die den realen Sklavenstatus der Verschleppten unmissverständlich deutlich machten und auch den damals schon betriebenen Exotisierungen von AfrikanerInnen in Deutschland geschuldet war. Zwar fand dies an einem Hofe statt, an dem für Ernährung und ärztliche Versorgung gesorgt war – beides allerdings wurde den verschleppten AfrikanerInnen gerade deswegen zuteil, weil sie den preußischen Herrschern „gehörten“. In seiner neuesten Publikation „Allagabo Tim. Der Schicksalsweg eines Afrikaners in Deutschland“2
behauptet van der Heyden sogar, Afrikaner hätten zur Kolonialzeit „mehr oder minder freiwillig“ den Weg nach Europa gefunden und leugnet somit die Lage derer, die ein Leben lang zu exotischen Sklaven degradiert und denen grundlegende Menschenrechte verwehrt wurden. Sklaverei und Kolonialismus werden so verharmlost und beschönigt.

Die Schlüssel zum Elfenbeinturm – umkämpfter Zugang zum Wissenschaftsbetrieb

Zwei Jahre nach der Ausschusssitzung versuchte van der Heyden die Vergabe eines Lehrauftrages an Endrias am Otto-Suhr Institut der Freien Universität Berlin zu verhindern, indem er Endrias’ Seminartext für das Vorlesungsverzeichnis inhaltlich angriff und behauptete, „gravierende“ Fehler gefunden zu haben. So sei Afrika, anders als von Endrias behauptet, gar nicht in Berlin aufgeteilt worden. Auch monierte er, dass Endrias darin die Anerkennung des in Namibia von Deutschen verübten Völkermordes durch Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul als „Meilenstein“ bezeichnet hatte. Die entsprechende Rede sei nicht einmal verschriftlicht worden – sie ist jedoch auf der Website des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung veröffentlicht. Als während der Auseinandersetzung Endrias auf van der Heydens Aussagen vor dem BVV-Ausschuss hinwies, zeigte dieser ihn wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung an und verlangte Widerruf und Schmerzensgeld. Zu vermutender Grund für van der Heydens Kampagne gegen Endrias ist, dass eine Person zu “seinem” Thema Berliner Kolonialgeschichte dozieren sollte, die sich weder auf seine Veröffentlichungen bezieht noch mit ihnen inhaltlich übereinstimmt. An dem Geschehenen zeigt sich, dass der Wissenschaftsbetrieb kein neutraler Raum ist, zu dem es gleichberechtigten Zugang gibt. Konzeptionen von Wissen und Wissenschaft sind eng mit Interessen, Macht und Hegemonie Weißer Autorität verknüpft. Der Grund, warum van der Heydens Diskreditierungen gegenüber Endrias überhaupt einen Raum finden konnten und zunächst auch Erfolg zeigten, geht darauf zurück, dass die Argumentationsmuster sich in einen historisch gewachsenen theoretischen Diskurs einbetten, der People of Colour systematisch disqualifiziert und zu Objekten Weißen Expertentums werden lässt.3 Das zeigt sich zum Beispiel darin, dass die Vergabe des Lehrauftrages an Endrias zunächst zurückgenommen und erst durch vor allem nach außerhalb der Entscheidungsstrukturen geäußeter Kritik wieder erteilt wurde. Endrias reagierte mit einem Schreiben, in dem er sich kritisch mit van der Heyden und seinen Positionen auseinandersetzte. Was folgte, war jedoch nicht eine akademische Auseinandersetzung, sondern besagte Anzeige. Als die am Otto-Suhr- Institut entstandene Initiative Africavenir international e.V. in ihrem Newsletter den Prozesstermin ankündigte, wurde auch ihr mit einer Anzeige gedroht.

Umkämpfte Geschichte: Umbenennung der Mohrenstraße

Um die politische Tragweite dieses Vorganges zu verstehen, ist ein Rückgriff in die jüngere und ältere Berliner Geschichte notwendig: Yonas Endrias, langjähriger Aktivist der Black Community und Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, hatte 2004 eine Kampagne organisiert, um die Umbenennung der Mohrenstraße und eine Auseinandersetzung mit dem brandenburgisch- preußischen Sklavenhandel zu erwirken. Neben dem erwähnten historischen Hintergrund wurden dabei auch etymologische Argumente angeführt, die die rassistischen Implikationen des von einigen Wissenschaftlern gern als „neutral“ bezeichneten Wortes „Mohr“ belegen: Die Verbindung der griechischen Wortwurzel morus (töricht, einfältig, dumm, und auch gottlos ) mit dem lateinischen maurus (schwarz, dunkel, bzw. afrikanisch) zeigt, wie afrikanische Menschen sprachlich mit rassistischen Zuschreibungen versehen wurden – eine nicht nur im Fall der Mohrenstraße bis heute ungebrochene Tradition.
Um die Entscheidungsfindung in der Kontroverse um die Mohrenstraße zu erleichtern, berief der zuständige BVVUnterausschuss 2004 zwei Sitzungen ein, auf denen van der Heyden als Experte geladen war – wohingegen Politikwissenschaftler und Menschenrechtler wie Yonas Endrias sowie Judy Gummich als Vertreterin der Schwarzen Community lediglich als „Betroffene“ anwesend sein durften. Dass van der Heyden während dieser Sitzung tatsächlich den strittigen Vergleich gezogen hatte, bezeugten im späteren Gerichtsverfahren neben Gummich auch weitere Anwesende.
Dass sich alle Berliner Schwarzen und afrikanischen Vereine in einer gemeinsamen Erklärung für die Umbenennung der Mohrenstraße ausgesprochen hatten und in ihrem Anliegen von AfrikawissenschaftlerInnen wie Susan Arndt unterstützt wurden, schien weder die geladenen Experten noch den Unterausschuss und die BVV sonderlich zu beeindrucken. Hier werden die politischen Konsequenzen der Einteilung in angeblich emotional agierende Betroffene und „rationale Experten“ deutlich. Drei Jahre nach der Protestaktion ist der Straßenname unverändert, eine öffentliche Diskussion über die geschichtlichen Hintergründe hat nicht stattgefunden, Entscheidungsträger des Bezirkes Mitte fühlten sich auch nicht bemüßigt, mit einer Plakette der verschleppten und versklavten AfrikanerInnen zu gedenken, die in der nach einer rassistischen Fremdbezeichnung benannten Straße untergebracht waren.

Profiteure des Weißen Diskurses

Der Kontrast zwischen Weißen Experten und Schwarzen „Betroffenen“ wurde nicht nur in der genannten Ausschusssitzung, sondern auch von einigen Zeugen während des Prozesses konstruiert. Die Einteilung schlägt sich nicht nur in der deutschen Wissenschaftslandschaft, sondern auch in alltäglichen Diskussionen um Rassismus und Diskriminierung nieder. Dieser Dualismus ist jedoch Teil eines kolonial geprägten Weißen Diskurses, der Schwarze Perspektiven systematisch marginalisiert und diskreditiert. Wie in der Kritischen Weiß-Seins-Forschung dargelegt, gilt Weißes Wissen allgemein als neutral, objektiv und universell, während Schwarze Perspektiven als subjektiv, emotional oder irrational abgewertet werden. Die Perspektive der Betroffenen wird entwertet und es wird unterstellt, sie seien nicht in der Lage, analytisch-wissenschaftlich zu denken oder Faktenwissen sachlich zu nutzen. Ein Blick auf die Lücken dieses Argumentationsmusters entlarvt seine Profi teure: Weiße, die so als TäterInnen aus Kolonialgeschichte und aktueller Rassismusdebatte ausgeblendet werden, da sie vorgeblich nicht betroffen sind und daher eine angemessene Distanz zum Thema haben. Daraus wird wahlweise das Privileg abgeleitet, sich nicht damit befassen zu müssen oder eben als sachlich-objektiver Experte die Sachverhalte zu analysieren. Hier manifestiert sich das grundlegende Weiße Privileg, von einer Geschichte der Kolonialaggression und von gegenwärtigen rassistischen Verhältnissen zu profi tieren und deren Existenz gleichzeitig leugnen zu können. Betroffen sind alle – doch die ausübenden Profi teure verorten das Problem ausschließlich bei den Opfern.
Der Prozess wurde so zur Bühne revisionistischer Geschichtsauffassungen und passte sich ein in die Art und Weise, wie Kolonialismus in Deutschland aufgearbeitet wird: Nämlich fast gar nicht. Die deutsche Kolonialamnesie, eine über bloßes Vergessen weit hinausreichende Verdrängung und „Entinnerung“ deutscher Kolonialverbrechen sowie der daraus erwachsenden gegenwärtigen Konsequenzen für ehemals Kolonisierte und Nachfahren der Kolonisierenden, wurde auch hier deutlich. Doch im Prozess ging es letztlich nicht um die Bewertung von Geschichtsauffassungen, sondern nur um die Frage, ob van der Heyden tatsächlich behauptet habe, es sei den sogenannten „Hofmohren“ besser gegangen als „der arbeitenden deutschen Bevölkerung“. Nach Vernehmung der Zeugen entschied der Richter zugunsten von Endrias, der van der Heyden nun unwidersprochen vorwerfen darf, eine rassistische Position vertreten zu haben.

Weiße Privilegien und Schwarze Perspektiven

Van der Heyden hat zwar den Prozess verloren, profi tiert aber als habilitierter Wissenschaftler weiter von der Lehrfreiheit, um neuen Studierenden generationen seine Positionen als wissenschaftliche Fakten zu präsentieren. Zwei Studierenden, die seine Relativierung des deutschen Kolonialismus – die sich unter anderem in seiner Gleichsetzung der deutschen Wiedervereinigung mit Kolonialismus, seiner apologetischen Darstellung der Situation Schwarzer Menschen im Deutschen Reich und seiner Position in der Mohrenstraßen- Diskussion widerspiegelt – kritisierten, warf er vor, keine Ahnung zu haben, was Kolonialismus überhaupt sei und sich vor den Karren einer Diffamierungskampagnen gegen ihn spannen zu lassen. Die beiden Studierenden mussten sich fragen lassen, weshalb sie sich als Weiße denn überhaupt betroffen fühlten. Van der Heyden stellt sich als Opfer einer Verschwörung dar, mithilfe derer er als einer der wenigen weiterhin im Wissenschaftsbetrieb tätigen Ostdeutschen mundtot gemacht werden soll. Er versteht sich selbst als antikolonialen Anti- Rassisten und kann die Vorwürfe deshalb nur als diffamierenden Angriff auf seine Person, seine ostdeutsche Biographie und sein Lebenswerk begreifen.
Van der Heyden agiert jedoch nicht als marginalisierter ostdeutscher Wissenschaftler, sondern als Repräsentant des Weißen Akademiker-Mainstreams, der sich über geschlossene Netzwerke und Disqualifi zierung „anderer“ Perspektiven stetig reproduziert. Machtpositionen werden ausgenutzt, um kritische Ansätze aus dem Wissenschaftsbetrieb fernzuhalten. So spiegeln sich auch in der „objektiven“ Wissenschaft die aktuellen, rassistisch geprägten Machtverhältnisse wider. Weiße Privilegien bestimmen auch heute noch den deutschen Wissenschaftsbetrieb, in dem People of Colour sich oft nicht als WissenschaftlerInnen oder handelnde Subjekte, sondern als Objekte Weißer und offensichtlich nicht allzu objektiver Analyse wiederfi nden. Dies gilt es bei der Bewertung Weißer ExpertInnenmeinungen zu beachten. Im Interesse einer Wissenschaft, die ihrem Anspruch gerecht wird, müssen Strukturen eingefordert werden, die gewährleisten, dass Perspektiven von People of Colour als gleichwertig anerkannt und als wichtiges Korrektiv von bis dato eindimensionalen Betrachtungen aufgefasst werden. Denn nur das Einbeziehen unterschiedlicher Perspektiven schafft neues Wissen.

Anmerkungen

1 Wir verwenden die Großschreibung der Begriffe wie „Weiße“ und „Schwarze“, um die soziale Konstruktion dieser Kategorien zu unterstreichen.

2 Heyden, Ulrich van der und Gnettner, Horst (Hrsg): Allagabo Tim. Der Schicksalsweg eines Afrikaners in Deutschland. Dargestellt in Briefen zweier deutscher Afrikaforscher, Berlin 2007.

3 vgl. Kilomba, Grada (2007): Africans in the Academy: Diversity in Adversity: http://africavenir.com/news/2007/06/1397/africans-in-the-academia-diversity- in-adversity (abgerufen am 24.07.07).

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Erschienen in arranca! #37

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