"Kampf der Geschlechter" in den Israel Defence Forces

Mythos und Realität der 'integrated army'

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Aufgrund seiner spezifisch egalitären Komponente setzte sich das von der modernen zionistischen Bewegung getragene Projekt der Etablierung eines eigenen jüdischen Staates gegenüber dem europäisch- nationalistischen Denken ab. Mit der gesetzlichen Verankerung des Militärdienstes für Männer und Frauen im Zuge der Ausrufung des Staates Israel fand dieser charakteristische Wesenszug Eingang in den offiziellen Gründungsethos. Ungeachtet dessen charakterisierte von Anfang an jene für das Militär als traditionell männerbündischer Organisation typische binäre Aufteilung der Geschlechterrollen auch die Israel Defense Forces (IDF). Der Ausschluss von Frauen aus Kampfpositionen bildete dabei lange Zeit eines der wesentlichen Prinzipien des mit dem Defense Service Law von 1949 geschaffenen rechtlichen Rahmens. Beruhend auf der den Frauen zugewiesenen primären Mutter-Rolle, blieben die Tätigkeitsfelder von Soldatinnen trotz kontinuierlicher Erweiterung stets deren eigentlichem Zweck untergeordnet: männliche Soldaten für den Kampf freizustellen. Entsprechend unterschiedlich gestalteten sich daher die Dauer und Bedingungen des Militärdienstes weiblicher und männlicher Wehrdienstleistender sowie - als Konsequenz dessen - die Chance, hochrangige militärische wie gesellschaftliche Positionen zu besetzen.

Obgleich Frauen mit der Abschaffung des Kampftruppenverbots im Jahr 2000 theoretisch in allen Funktionen außer der Infanterie eingesetzt werden können, sind sie in Bereichen mit höheren Kampfkomponenten nach wie vor kaum präsent. Insbesondere mediale Inszenierungen israelischer Soldatinnen als ‚echte Kämpferinnen’ tragen jedoch dazu bei, dass sich der mit der Staatsgründung institutionalisierte Mythos der IDF als ‚integrated army’ bis heute aufrecht hält. Zwar sind die sich seit Mitte der 1990er Jahre vollziehenden rechtlichen und strukturellen Veränderungen, die die vollständige Integration von Frauen in die israelische Armee zum Ziel haben, Ergebnis feministischer Bestrebungen zugunsten geschlechtergerechter Verhältnisse. Die Annahme, dass es angesichts der wesentlichen Bedeutung der israelischen Streitkräfte für die Existenz des gesellschaftlichen Kollektivs dazu notwendig der gleichen Beteiligung von Frauen am Militär bedarf, erweist sich dabei jedoch selbst innerhalb der israelisch-feministischen Debatte als „heiß umkämpftes Terrain“.

Die Idee der israelischen ‚People’s Army’

Gemäß dem israelischen Verteidigungsgesetz von 1949 werden sowohl jüdische Männer als auch jüdische Frauen im Alter von 18 Jahren wehrpflichtig. Von den nichtjüdischen Bevölkerungsgruppen sind (männliche) Drusen ebenfalls verpflichtet, im Militär zu dienen, während arabischen Beduinen und Christen die Entscheidung freigestellt bleibt. Die große Mehrheit der arabischen, nämlich moslemisch-palästinensischen Bevölkerung ist vom Wehrdienst ausgeschlossen. Aktuell beträgt die Wehrdienstzeit 24 Monate für Frauen und 32 Monate für Männer. Frauen sind bis zum 24. Lebensjahr – in einigen wenigen Tätigkeitsbereichen bis zum 34. Lebensjahr – oder bis zur Geburt des ersten Kindes zum Reservedienst verpflichtet, werden jedoch kaum dazu herangezogen. Männer unterliegen der Reservedienstpflicht je nach Einheit bis zu einem Alter von etwa 45 Jahren. Verheiratete Frauen, Mütter, schwangere Frauen und Frauen, die eine christliche oder muslimische Religionszugehörigkeit besitzen, werden nicht zum Wehrdienst einberufen. Religiöse jüdische Frauen können sich auf Antrag von der Wehrpflicht befreien lassen, wobei das alleinige Bekenntnis der Religiosität ausreicht. Jüdisch-orthodoxe Männer hingegen müssen an einer Jeshiva (Thora-Schule) eingeschrieben sein, um nicht zum Wehrdienst herangezogen zu werden.

Die Entscheidung der provisorischen Regierung des 1948 neu ausgerufenen Staates, auch Frauen in die Armee aufzunehmen, wurde neben jener säkularen Auffassung von der Frau als gleichberechtigter Staatsbürgerin nicht zuletzt durch die damaligen historischen Gegebenheiten beeinflusst. Für den Charakter und das Selbstverständnis der Zahal (Armee zur Verteidigung Israels) war nicht unwesentlich, dass sich Israel mit seinen arabischen Nachbarn – die die Existenz Israels nicht akzeptierten - lediglich im Waffenstillstand befand. Im Hinblick auf den zu erwartenden langwierigen Kampf zugunsten der Verteidigung des Landes kam dem Einzug von Männern und Frauen gleichermaßen umfassende symbolische Bedeutung zu. In der Konstituierung – und bis heute andauernden Propagierung der IDF als ‚people’s army’ fand die Idee Ausdruck, dass militärische Erfordernisse und die Gewährleistung der Sicherheit des Landes alle betreffen. Zum anderen sprach der damalige Mangel an Ressourcen für einen für alle verpflichtenden Wehrdienst sowie eine kleine Berufsarmee, zu deren Unterstützung im Verteidigungsfall Reserveeinheiten herangezogen werden konnten. Über die Form der Integration von Frauen in die israelische Armee herrschten jedoch von Anfang an unterschiedliche Vorstellungen. Die politische Entscheidung, jüdische Frauen ungeachtet ihres aktiven Beitrags während des Unabhängigkeitskrieges aus Kampfeinheiten auszuschließen, sie aber dennoch an der Waffe und für Kampfeinsätze auszubilden, fiel als Zugeständnis an die religiösen Parteien, die für eine völlige Schließung des Militärs für Frauen votiert hatten.

Die Institutionalisierung von Geschlechterungleichheit durch die IDF

Somit wies auch die israelische Armee seit Anbeginn ihres Bestehens klar definierte Strukturen geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung auf, welche die überwiegende Mehrheit der Soldatinnen auf sogenannte pink collar-Positionen wie Lehrtätigkeiten, Kommunikation, Büroarbeit und paramedizinische Arbeiten begrenzte. 1998 dienten Frauen in 330 von 551 ihnen zugänglichen Positionen. 187 Funktionen waren ihnen aufgrund deren Nähe zu Kampftätigkeiten oder religiösen Diensteinheiten verwehrt. 1976 noch beschränkte sich der Wehrdienst von Frauen auf lediglich 210 von insgesamt 709 existierenden Positionen, 70 Prozent kamen damals in Verwaltungstätigkeiten zum Einsatz. Heute verbringt ‚nur’ noch jede vierte Soldatin ihren Dienst mit administrativen Aufgaben. Dennoch wurden 2005 gerade mal 2,5 Prozent der kampfbezogenen Rollen von weiblichen Wehrdienstleistenden eingenommen. Die IDF gestalten sich damit bis heute als „gendered structure of power“ (Ben-Ari/ Levy-Schreiber), da für den Zugang zu leitenden militärischen Positionen ungeachtet der technologischen Entwicklungen auf dem Gebiet der Kriegsführung weiterhin das Ausmaß der Kampferfahrung und weniger die tatsächliche Eignung und Kompetenz der BewerberInnen ausschlaggebend sind.

Mit dem andauernden Ausschluss von Frauen aus Kampfpositionen wird somit zum einen deren Machtpotential und folglich ihr Einwirken auf die Situation von Frauen in der israelischen Armee begrenzt und gleichzeitig gerechtfertigt. Zum anderen hat das Bild des männlichen Kämpfers und damit die zentrale Vorstellung vom Mann als Beschützer auf diese Weise weiterhin Bestand. Somit erklärt sich auch die Prestigeträchtigkeit israelischer militärischer Eliteeinheiten, die mit jener Stilisierung des Kampfes als dem eigentlichen Sinn einer militärischen Organisation zu tun hat. Der Beweis ein guter Soldat zu sein, kann angesichts der kontinuierlich von Krieg und Konflikt geprägten gesellschaftlichen Verhältnisse nur im Kampf erbracht werden. Der Soldat in Gestalt des männlichen Kampfsoldaten wird dabei nicht nur zum absoluten militärischen Ideal erhoben, sondern repräsentiert aufgrund dem von ihm qua seiner Position symbolisierten höchsten Maß an Loyalität gegenüber der Gesellschaft zugleich den idealen israelischen Staatsbürger.

Angesichts der zentralen Bedeutung der Wehrhaftigkeit für die israelische Gesellschaft bestimmt der Eintritt in die israelische Armee aber nicht nur über den Ein- oder Ausschluss ins nationale Kollektiv, sondern verschafft seinen Mitgliedern darüber hinaus bedeutendes soziales und symbolisches Kapital, das eine wesentliche Bedingung für den Zugang zu zahlreichen politischen und ökonomischen Funktionen darstellt. Aufgrund ihrer kürzeren Wehrdienstzeit sowie den mangels Kampferfahrung eingeschränkten Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb der militärischen Hierarchie sind Frauen hinsichtlich des Aufbaus eines entsprechenden sozialen Netzwerkes benachteiligt. Zudem wird dem Militärdienst von Frauen auch von Seiten der Gesellschaft sowie durch das Militär selbst weniger Bedeutung beigemessen. Gerade 15 Prozent der Frauen absolvieren die gesetzlich vorgeschriebene Wehrdienstzeit, die meisten werden vorzeitig entlassen. Bei den Männern beträgt der Anteil der ordnungsgemäßen Absolventen 80 Prozent.

Frauen im Militär – ein Konflikt im Konflikt

Sechzig Jahre nach Staatsgründung sind offiziell nahezu alle militärischen Positionen auch Frauen zugänglich. Dennoch bietet die Frage, ob und in welcher Weise Frauen ihren nationalen Beitrag auch als Soldatinnen leisten sollten, immer wieder Anlass für Diskussionen. Betont wird in diesem Zusammenhang stets die besondere gesellschaftliche Rolle weiblicher Mutterschaft, die aufgrund ihrer zentralen Bedeutung für den Fortbestand des gesellschaftlichen Kollektivs im Rahmen der nationalen Verteidigung eines besonderen Schutzes bedarf. Begründet mit der drohenden Vergewaltigung durch den Feind, bleibt IDF-Soldatinnen, die während ihres Wehrdienstes in Kampfpositionen ausgebildet wurden, bis heute der Einsatz im aktuellen Kriegsfall verwehrt. Von anderer Seite untermauert wird diese ‚Schutzargumentation’ dadurch, dass Soldatinnen, die im Krieg sterben oder in Gefangenschaft geraten und dort der Misshandlung durch den Feind ausgeliefert wären, zur Demoralisierung der gesamten Gesellschaft führen und somit als Druckmittel vom Gegner instrumentalisiert werden könnten. Daneben tauchen die israelischen Soldatinnen in der gesellschaftlichen Debatte immer wieder als Statussymbole (es ist ein offenes Geheimnis, dass die hübschesten Soldatinnen den ranghöchsten Generälen zur Seite gestellt oder besonders prestigeträchtigen Einheiten zugewiesen werden) und moralische Instanz auf, die als personifizierte kollektive Ehefrau/ Mutter einen „Hauch von Zuhause“ in den harten, kalten Armeealltag bringen.

Innerhalb der feministischen Diskussion stehen sich im Wesentlichen zwei widerstreitende Argumentationen gegenüber. Die gleichstellungspolitisch motivierte, liberalfeministische Strömung kritisiert dabei in erster Linie die mit den verschiedenen militärischen Rollen verbundenen ungleichen gesellschaftlichen Partizipationschancen von Frauen und Männern. Ein weiterer Teil des die Integration von Frauen in die israelische Armee befürwortenden feministischen Flügels widmet sich vor allem der Frage der Geschlechtergleichheit. Exemplarisch dafür steht die anhaltende Debatte um die Beteiligung und den Einsatz israelischer Soldatinnen in Kampfeinheiten. Demgegenüber betonen radikal-feministisch dekonstruktivistisch orientierte Ansätze die durch die bloße Beteiligung von Frauen an männerdominierten Organisationen wie dem Militär eingegangene ‚Komplizenschaft’ an der dort stattfindenden Konstruktion und Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Geschlechterarrangements und der damit verbundenen Unterdrückungsmechanismen.

Soldat-Sein heißt männlich sein

Aktuelle Untersuchungen, die subjektive Erfahrungen israelischer Soldatinnen während ihres Militärdienstes berücksichtigen, bestätigen in der Tat die ungeachtet der innerhalb der IDF vonstatten gehenden vermeintlichen Gender-Reform anhaltende unterschiedliche Bewertung der männlichen und weiblichen Rolle für die Verteidigung der israelischen Nation. Dass sich auch in Israel der Militärdienst weiterhin als ‚rite-de-passage’ zur Männlichkeit erweist, zeigt sich in negativer Konsequenz insbesondere an der unter Soldatinnen in jenen bislang Männern vorbehaltenen kampfbezogenen Positionen ausgeprägten androzentrischen bzw. misogynen Haltung. Derartige abwertende Einstellungen anderen weiblichen Soldatinnen gegenüber erweisen sich als Konsequenz des Bemühens, dem mit diesen Positionen assoziierten Männlichkeitsideal so gut wie möglich zu entsprechen. Dies bedeutet zugleich, sich von jeglichen tradierten Vorstellungen von Weiblichkeit zu distanzieren.

Zum Weiterlesen

Susanne Friedel: Konstituierungsprozesse von Geschlecht im israelischen Militär, Magisterarbeit, 2008, online unter http://www.claudia-neusuess.com/ uploads/MA_final_version.doc

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Erschienen in arranca! #39

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