Editorial

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Diese Ausgabe der arranca! ist eine Jubiläumsausgabe. Inzwischen 40 (in Worten: vierzig) Mal haben wir uns ein neues Thema ausgedacht und versucht, unsere LeserInnen und uns selbst dazu zu bewegen, den ein oder anderen passenden Artikel beizusteuern. Seit 1993 haben wir, mal am Puls der Bewegung und hin und wieder auch daneben, linke Theorie und Praxis diskutierbar gemacht. Vierzigmal haben wir als Redaktion Ebben in der Gruppenkasse getrotzt. Wir haben Partys gemacht, um die Kosten zu decken (und uns gepflegt betrunken), wir haben sehr gute und manchmal auch nicht ganz so gute Artikel veröffentlicht, unsere Layouter_innen haben mit verschiedenen Layouts experimentiert und wir haben unzählige Artikel gelesen, diskutiert und redigiert und dabei schließlich immer etwas gelernt. So auch dieses Mal.

Passend zu diesem Ereignis wird diese Ausgabe von Rebecca und Gaston gestaltet, die das Erscheinungsbild der arranca! über Jahre hinweg geprägt haben. Seit wir im Vorfeld jeder neuen Nummer einen Call for Papers verbreiten (unsere beste Entscheidung seit langem), sind die Artikelvorschläge zahlreicher, bunter und oft pointierter geworden. Kein Wunder, denn ein Artikel schreibt sich leichter, wenn der Kontext abgezirkelt ist. Dennoch: als wir diese vielleicht etwas experimentellere Nummer zum Thema »Scheitern« angingen, waren wir wirklich gespannt, ob unseren Leser_innen zum Thema überhaupt etwas einfallen würde. Und als wenige Tage vor Ablauf der Deadline noch nicht ein einziger Vorschlag da war, verlängerten wir die Deadline und scharrten etwas nervös mit den Hufen. Glücklicherweise waren unsere Autor_innen einfach nur keine Streber_innen und schickten zwar spät, dafür aber Substantielles. Wir freuen uns, dass wir in dieser Ausgabe eine ganze Reihe hervorragender Artikel präsentieren können, die das Thema Scheitern aus sehr unterschiedlichen Perspektiven aufgenommen haben. Denn Scheitern lässt sich auf vielerlei Arten an vielerlei Orten.

Mit Heulen und Zähneklappern, mit Knall, Rauch und Funkenschlag aber auch leise und heimlich, quasi im Vorbeigehen. Bewegungen, Revolutionen, Lebensentwürfe und Träume können scheitern, aber eben auch Herrschaftsprojekte, Produktionsweisen oder gewaltförmige, autoritäre Unterdrückungsverhältnisse. Die Angst vorm Scheitern und manchmal auch das Scheitern selbst - das haben uns die eingesendeten Artikel deutlich gemacht -, treibt uns alle um, sowohl als organisierte Linke als auch als Individuen. In der Bundesrepublik Teil der radikalen Linken zu sein, heißt immer und von Anfang an, schon gescheitert zu sein: Gescheitert an der Aufarbeitung der ebenso langen wie verkorksten linken Bewegungsgeschichte; gescheitert daran relevant zu sein was Theorie und Praxis angeht und gescheitert selbst an einem vernünftigen Umgang mit dem Scheitern. Und auch als Individuen stehen wir alle fast täglich vor dem Spiegel und ringen mit dem, was uns von dort aus anspringen könnte.

Was immer den neuen Menschen in einer befreiten Gesellschaft auszeichnen mag, wir selber stehen nur allzu oft allein vor einem Berg an Herausforderungen und fragen uns, wo der ganze Dreck wohl herkommen könnte. Wir scheitern in der Liebe oder daran, uns selbst gut/schön/begehrenswert zu finden. Wir scheitern daran, uns in der Welt einzurichten und sie gleichzeitig noch verändern zu wollen. Wir scheitern daran, inmitten kapitalistischer Konkurrenz bessere und mutigere Genoss_innen zu sein und manchmal auch einfach nur daran, dass wir nicht wissen, wo der Einstieg für eine neue Runde bei »Nicht den Boden berühren« ist. Gleichzeitig muss der radikalen Linken attestiert werden, dass dort, wo sich ein paar Starrköpfe damit durchgesetzt haben, nicht am permanenten Scheitern zu scheitern, tatsächlich Bewegung in die Sache gekommen ist. Wir wollen unsere Erfolge nicht kleinreden. Es gibt sie wieder, die Linken, die sich geweigert haben, mit dem Älterwerden auch für immer zu gehen. Oder die, die einfach drauf scheißen und sich nicht mit ihrem Kinderwagen ins Ghetto der Kleinfamilie abdrängen lassen.

Oder die, die aus den Ruinen der Ökobewegung auftauchen, um mitten im Kautschuk-Gummistiefelwald die Frage nach kapitalistischer Wachstumslogik und ihren Alternativen zu stellen. Verloren haben wir alle schon mehr als einmal, und ohne Prophet_innen zu sein, können wir auch weitere fiese Touch-Downs prognostizieren. Wir von FelS werden, ebenso wie andere mit uns, sicher immer wieder scheitern. Und mal ganz im Ernst: wir haben auch ein Recht darauf, mit unseren Ideen baden zu gehen. Wir dürfen scheitern und wir dürfen dabei sogar richtig scheiße aussehen. Aber jenseits dümmlicher Durchhalteparolen gibt es dennoch so etwas wie eine kreative Spannung, die aus solchen Situationen erwachsen kann (nicht muss): Manchmal schimmert eben doch, irgendwo hinter dem Horizont, eine Perspektive auf, die nur zu erkennen ist, wenn man mit der Nase im Matsch liegt und Sand zwischen den Zähnen hat. In diesem Sinne schließen wir einmal - ein einziges Mal - mit den Worten des Dichters: »Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne ...« Ein besonderer Zauber wohnt übrigens unserem neuesten Anfang inne: Welcome, Nick! Viel Spaß und Erfolg mit dieser Nummer, Eure arranca!

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Erschienen in arranca! #40

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