Quo vadis, Blockupy?

Rück- und Ausblick auf eine Kampagne gegen das europäische Krisen- und Grenzregime

DruckversionEinem Freund oder einer Freundin senden

Blockupy ist ein für die Linke bedeutsamer Prozess. Nachfolgend werden der Wert von Blockupy skizziert, ein umstrittener Aktionsvorschlag vorgestellt und weitere konkrete Perspektiven aufgezeigt. Mit dem Text wird versucht, einen Diskussionsraum – auch innerhalb der Interventionistischen Linken – wieder zu öffnen. Entstanden ist der Text im Januar 2016 vor dem Blockupy-Ratschlag und nach verschiedenen Gesprächen einiger Genoss*innen der Berliner IL-Krisen AG.

 

… Die Aktionsgruppe Georg Büchner ruft im August 2010 in Frankfurt am Main dazu auf, an einem Werktag im Oktober die Krisenprofiteure zu blockieren, sagt aber vor dem anvisierten Termin die Bankenblockade ab, weil die Mobilisierung hinter den Erwartungen zurückbleibt. …

… Occupy Wall Street besetzt Mitte September 2011 den New Yorker Zuccotti Park in der Nähe der Wall Street. Am 15. Oktober 2011 protestiert die Occupy-Bewegung auch in deutschen Städten mit insgesamt 40 000 Menschen. In Frankfurt am Main errichtet sie vor der Europäischen Zentralbank ein Protestcamp. …

… Für die Tage vom 16. bis 19. Mai 2012 kündigt das politisch breit gefächerte Blockupy-Bündnis europäische Aktionstage in Frankfurt an. Die Stadt reagiert mit einem Totalverbot und die Polizei legt die gesamte Innenstadt lahm. Tausende gehen trotzdem bzw. deswegen auf die Straße. …

… Während der Aktionstage ab Ende Mai 2013 gibt es ein mehrtägiges Camp, Blockaden rund um die Europäische Zentralbank, Aktionen gegen Textilkonzerne, Care-Mob auf der Frankfurter Einkaufsstraße Zeil und vieles mehr. Lokale Blockupy-Bündnisse aus über 24 Städten und Regionen sowie Gruppen aus europäischen Ländern haben dafür mobilisiert. Die Demonstration mit 10 000 Teilnehmer*innen am 1. Juni wird von der Polizei gestoppt und über 900 Personen stundenlang gekesselt. Dagegen demonstrieren am darauffolgenden Wochen-ende 10 000 Frankfurter*innen. …

… Im März 2014 beginnen die monatlichen Zaunspaziergänge am EZB-Neubau in Frankfurt. Im Mai 2014 finden europaweit dezentrale Aktionen und Demonstrationen statt. Während des Blockupy-Festivals vom 20. bis 23. November 2014 in Frankfurt am Main zieht eine Demonstration zur EZB-Baustelle, Aktivist*innen klettern auf das Gelände und bewerfen den Neubau mit Farbbeuteln. …

… Am 18. März 2015, dem Tag der EZB-Eröffnung, bewegen sich bereits am Morgen mehrere Tausend Aktivist*innen rund um den martialisch gesicherten EZB-Neubau. Etwa 1000 von ihnen waren mit einem Blockupy-Sonderzug angereist. Brennende Polizeifahrzeuge sorgen für dunkle Rauchsäulen über der Stadt. Am Abend demonstrieren 20 000 Menschen durch die Innenstadt. Am 3. Juli 2015, zwei Tage vor dem griechischen Referendum, spricht Blockupy auf der Oxi-Kundgebung auf dem überfüllten Syntagma-Platz in Athen. …

 

Blockupy ist zu einem wichtigen und handlungsfähigen europäischen Akteur geworden, der aus den Bewegungen kommt und die richtigen Fragen stellt: zu Austerität und Krise, zu Flucht und Migration, zu Macht und Herrschaft in Europa. Damit ist Blockupy mehr als ein jahrelanger Prozess, mehr als die über 20 lokalen Blockupy-Gruppen, mehr als ein transnationales Bündnis, mehr als eine äußerst kreative europäische Kampagne, die gesellschaftliche Konflikte aufgreift, und auch viel mehr als eine Veranstaltung, an der Yanis Varoufakis teilnimmt.

Blockupy ist eine Idee, die alle anspricht, aber auch immer wieder aktiviert und gefüllt werden muss. Zuletzt hatte Blockupy anlässlich der Eröffnung der Europäischen Zentralbank (EZB) am 18. März 2015 über 20 000 Menschen an einem Werktag auf die Straße gebracht, darunter ein breites gesellschaftliches Spektrum, das von der radikalen Linken bis zu Streikenden von Amazon reichte. Sowohl rote Gewerkschaftskäppis als auch schwarze Kapuzenpullis waren auf dieser Demo sichtbar. Es ist eine Herausforderung, diese Spannung aufrecht zu erhalten. Blockupy wird inzwischen von Menschen adressiert und angefragt, die keine Hoffnung mehr in die etablierte Politik setzen, aber Blockupy beispielsweise zutrauten, während des Sommers der Migration auf europäischer Ebene für und mit Flüchtlingen handlungsfähig zu sein. Das zeigt: Blockupy ist anschlussfähig und hat eine Dimension erreicht, die keine der Blockupy-Bündnisgruppen allein jemals erreicht hatte. Ein vergleichbares Projekt ist derzeit an unserem politischen Horizont nicht sichtbar.

Blockupy ist deshalb eine Errungenschaft und ein Gewinn für die Linke – und nicht zuletzt auch für die beteiligten Gruppen im Bündnis und ihren politischen Organisierungsprozess. Um daran anzuknüpfen und Blockupy weiter voranzubringen, braucht es – wie wir aus den vergangenen Blockupy-Jahren wissen – sowohl eine theoretische und praktische Kontinuität als auch neue Inspirationen. Beides hat den besonderen Wert von Blockupy ausgemacht. Blockupy war nie Wiederholung, sondern immer auch ein offener (Selbst-)Transformationsprozess. Jedes Mal war für alle die Möglichkeit greifbar, dass wir unsere gesteckten Ziele erreichen und darüber hinaus einen Möglichkeitshorizont für die Linke öffnen. Dieses Anziehende, Mobilisierende, Prickelnde braucht es auch in Zukunft, wenn wir uns beispielsweise auf Berlins Straßen wieder treffen wollen. Wir stehen also vor der Aufgabe, Blockupy als breites gesellschaftliches, europäisches Projekt weiterzuentwickeln – im bewährten Blockupy-Dreiklang: inhaltliche Diskussionen, Demonstrationen und ungehorsame Aktionen. Kurz: #talk, #dance, #act.

 

Eine zündende und erloschene Idee

Es gab bislang eine Idee für Aktionstage in Berlin, die Anziehungskraft hatte, aber nicht umgesetzt wurde. Wir, die an ihrer Ausarbeitung beteiligt waren, möchten sie in Erinnerung rufen, weil der Blockupy-Prozess wieder an Fahrt aufnimmt und tendenziell alle, die in der IL intensiv an den Diskussionen und der Vorbereitung der Blockupy-Aktivitäten beteiligt waren, sie eine gute Idee fanden.

Wenn Blockupy nach Berlin kommen wird, bietet sich terminlich, so lautete der Vorschlag, das letzte April-Wochenende des Jahres 2016 an. Ein halbes Jahr Mobilisierung zum Wochenende 29./30. April/1. Mai 2016 sei ein guter Anfang für Blockupy in Berlin. Ohnehin seien zu diesem Termin viele Menschen in Berlin. Und der das Wochenende abschließende Tag, der internationale Tag der Arbeiter*innen, sei der richtige Termin für unseren Protest und zugleich ein Gegenentwurf  zu der auch in verschiedenen anderen europäischen Städten bemerkbaren Entpolitisierung und Kommerzialisierung  dieses Tages.

An diesem Wochenende, so der Gedanke, würde Blockupy eigene wichtige Akzente setzen und die Welle des 1. Mai mitnehmen können, statt ganz bei null anzufangen. Der Termin hätte zudem – wie der Tag der EZB-Eröffnung in Frankfurt/Main – einen emotionalen Moment, der Zugkraft hat. Der erste Auftritt von Blockupy in Berlin hätte wie nachfolgend skizziert von uns gestaltet werden können. Beginn am Freitag, dem 29. April, beispielsweise mit morgendlichen ungehorsamen Aktionen im Regierungsviertel und im Anschluss am Nachmittag Blockaden (Care-Mob, social strike) an verschiedenen Stellen des kapitalistischen Normalbetriebs. Am Samstag, dem 30. April, eine Konferenz oder ein Kulturfest und, wie es in einer schriftlichen Fassung des Vorschlags hieß, »thematische Versammlungen, bei denen Aktivist*innen aus verschiedenen Ländern zu Themen wie Recht auf Stadt, Antifaschismus, Feminismus oder Streiks ins Gespräch kommen «. Wir hatten den vermutlich illusorischen Anspruch, damit alle mitzunehmen, auch diejenigen, die Blockupy schon immer kritisch gegenüberstanden.

 

Keine Frage: Die Idee hatte was. Alle haben darüber gesprochen und hatten gleich sehr viele, auch kontroverse Gedanken dazu. Die Internationals fühlten sich angesprochen und auch lokale Blockupy-Bündnisse hatten sich den Termin schon in ihre Kalender geschrieben. Aber aufgrund der Nähe zum 1. Mai gaben einzelne beispielsweise zu bedenken, dass weniger (internationale) Gewerkschafter*innen kommen würden, andere – vor allem Genoss*innen aus der Berliner IL – befürchteten eine Fokussierung auf Szenepolitik und Krawall, die alles andere überlagert. Unsere Einschätzungen hierzu gingen stark auseinander. Anhänger*innen und Kritiker*innen der Idee konnten sich gegenseitig nicht überzeugen: Viele, die am Blockupy-Prozess beteiligt waren, finden die Idee nach wie vor gut und mit unseren vorhandenen Kapazitäten umsetzbar, die Bedenken der anderen sind allerdings auch nach wie vor vorhanden.

Eine andere Idee mit vergleichbarer Ausstrahlung gab es leider nicht. Dass es bislang keinen zweiten Vorschlag gab, sagt letztlich aber auch etwas über die Stärke der Idee aus. Dabei wäre ein Alternativvorschlag so hilfreich. Er würde die Diskussion befördern und die nächsten Schritte für die kommenden ein, zwei Jahre gangbar machen, anstatt – wie geschehen – die Dynamik völlig rauszunehmen.

  

Die kommenden Interventionen und die Suche nach Tag X

Die Machtverhältnisse im Europa der Austerität haben sich in den vergangenen Monaten nicht zum besseren geändert. Griechenland und die Syriza-Regierung werden von Deutscheuropa an der kurzen Leine gehalten. Alle erfahren und wissen das, sowohl in Griechenland, Portugal, Spanien als auch hierzulande. Das ruft die Demokratiefrage in Europa auf. Unser Protest und Widerstand ist am Sitz der dafür hauptverantwortlichen Regierung – in Berlin – richtig, nachvollziehbar und verständlich, gegen Merkel, Schäuble und das deutsche Vormachtstreben in Europa. Der Protest wäre damit ein Ausdruck der Solidarität mit den Kämpfen, die zum Beispiel in Griechenland wieder beginnen und auch in anderen Ländern Südeuropas immer wieder aufflammen.

Blockupy will die Verhältnisse in Deutschland in Bewegung bringen. In Berlin verdichten sich viele Widersprüche des aktuellen Europas, und neben dem Sitz der Bundesregierung bietet die Stadt tausende Institutionen, die für das stehen, was Blockupy kritisiert und zu den Teilen von Berlin gehören, die es verdienten, durch einen Besuch von Blockupy lahmgelegt zu werden. Denn Blockupy bedeutet die Verdichtung von lokaler Arbeit und Kämpfen vor Ort, die beispielsweise den Zusammenhang von Troika und Hartz IV als Austeritätsprogramme aufzeigen, aber seit Sommer 2015 auch vielfältige praktische Solidarität mit Geflüchteten. Auch wegen dieser im Wortsinn sozialen Bewegungen in Europa, die teilweise noch keine politische Artikulation gefunden haben, braucht es Blockupy.

Europa ist in Bewegung und wir mittendrin. Aktivist*innen von Blockupy sind beteiligt an den Solidaritätsstrukturen für Flüchtende, helfen ihnen beim Überwinden von Grenzen und versorgen sie mit dem Nötigsten. In Deutschland entstehen Solidaritätszentren für Geflüchtete wie in Lübeck, »Für Alle« -Bündnisse wie in Frankfurt am Main, Initiativen für ein Social Center wie in Leipzig. Die soziale Frage, die aktuell aus der Willkommensbewegung aufgeworfen wird, die damit verknüpften Aktionen gegen Abschiebungen und die Festung Europa und schließlich die Kämpfe gegen die deutsch-europäische Austeritäts- und Migrationspolitik können und sollten vom Blockupy-Prozess artikuliert und verdichtet werden.

Wenn wir die zwischenzeitlich reale Option, Blockupy zu beenden, nicht wollen, sind wir als Linke gefordert. Bis zu dem noch unbestimmten Tag X, spätestens im Jahr 2017, dem 100. Jahr der Oktoberrevolution und dem Jahr der Bundestagswahl, ist noch allerhand zu tun. Vielleicht ergibt sich in den kommenden Monaten ein passender Termin, um auf europäischer Ebene wieder sichtbar zu werden. Vielleicht bietet sich dafür der G20-Gipfel 2017 in Hamburg an, vielleicht auch der Blockupy-Jahrestag am Samstag, dem 18. März 2017 in Berlin. So oder so: Die Diskussion wird konkret und drängt auf die Tagesordnung. Hierzu müssen wir uns alle langsam Gedanken machen und verschiedene Vorschläge für unsere Gesamtchoreografie der nächsten ein bis zwei Jahre ins Gespräch bringen. Dann kann Blockupy wieder zu einem dynamischen Prozess werden, der neben inhaltlichen Diskussionen auch eine kontinuierliche politische Praxis auf der Straße entwickelt – nicht weniger radikal als die Wirklichkeit und die herrschenden Verhältnisse.

 

Zum weiterlesen:

Interventionistische Linke: Die soziale Frage ist offen. Lassen wir sie nicht rechts liegen!, 2016

interventionistische-linke.org/beitrag/die-soziale-frage-ist-offen-lassen-wir-sie-nicht-rechts-liegen

 

Trackback URL für diesen Artikel

https://arranca.org/trackback/758

Erschienen in arranca! #49

Kommentare

Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.
CAPTCHA
Diese Frage dient dazu, zu testen, ob sie ein Mensch sind. Auf diese Weise werden automatisch generierte Postings (Spam) vermieden.
Image CAPTCHA
Geben Sie die Zeichen ein, die im Bild zu sehen sind.