Bunte Mischung

Über die Wanglungsfähigkeit von Satire

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Satire ist beliebt und hat den Ruf, ein bisschen subversiv oder sogar progressiv zu sein. Dabei war sie ursprünglich nichts weiter als eine bunte Mischung sowie ein in Versen vorgetragenes Plädoyer für die Rückkehr in eine gute alte Zeit...

 

Das Geschrei nach der bunten Mischung

« Die Zeit schreit nach Satire», schrieb Kurt Tucholsky im Jahre 1929 und daran hat sich bis heute nichts Grundlegendes geändert, denn Satire ist ein beliebtes Kunstformat, das als Kabarett sowohl auf der Bühne als auch im Fernsehen hohe Aufmerksamkeit genießt. So gesehen ist das Geschrei der Zeit nach Satire sogar lauter geworden als gegen Ende der Weimarer Republik – fragt sich nur, ob es der Satire möglich ist, dem Geschrei der heutigen Zeit über den Unterhaltungswert hinaus hörbar zu antworten.

Übrigens wurde schon lange vor Tucholsky nach Satire bzw. ihrem Ursprung geschrien – allerdings war das nicht die Zeit insgesamt, die da schrie, sondern nur die besitzende und damit herrschende Elite im alten Rom. Selbige schrie nach der beliebten Satura lanx, woraus allmählich Satira wurde. Diese Bezeichnung galt anfangs aber noch nicht einem Event des kulturellen Überbaus, sondern einer bunten Mischung von Früchten in einer Schale.

 

Auf konservativen Pfaden

Das Wort Satira wurde allmählich auf alle möglichen bunten Mischungen angewandt – auch auf die der Dichtkunst. Das galt besonders für einen wilden Haufen witziger Verse mit hohem Unterhaltungswert aus der Feder eines Gaius Lucilius, der im 2. Jahrhundert vor unserer Zeit lebte. Sein Spott galt ganz besonders politischen Newcomern, Personen des öffentlichen Lebens ohne altehrwürdigen Stammbaum sowie Angehörigen der römischen Geschäftswelt, die er alle für die von ihm beobachteten Niedergangstendenzen verantwortlich machte. Um letztere aufzuhalten, empfahl er wortreich und kurzweilig die Wiedererweckung der traditionellen Werte, was ihm übrigens jede Menge zustimmendes Geschrei seitens der alten Senatsfamilien einbrachte.

Horaz als Nachfolger des Lucilius wandelte mit seiner satirischen Dichtung weiterhin auf konservativen Pfaden, und auch im Mittelalter sahen die Schreiber*innen bunter Mischungen ihre Aufgabe in erster Linie darin, sich für die gottgegebene Ständeordnung einzusetzen. Ihr Spott galt hauptsächlich Bäuer*innen und Bürger*innen, die sich gegenüber der heiligen Obrigkeit nicht untertänig genug verhielten. Sie bekamen den belehrenden Spiegel vorgehalten, womit die mittelalterliche Satire zum Bestandteil christlicher Didaktik wurde, was sich besonders in Deutschland auch im Zeitalter der Renaissance nicht änderte.

  

Eulenspiegel und die kleinen Spießer*innen

Beispielhaft dafür sind die mittelniederdeutschen Eulenspiegel-Geschichten, die ein unbekannter Autor des 14. Jahrhunderts aufgeschrieben haben soll. Bisher ist allerdings unklar, ob das überhaupt stimmt oder ob sie von dem Drucker Johannes Grüninger, der sie 1510 auf den Markt brachte, erfunden wurden. Möglicherweise stand ihm der Mönch und Satiriker Thomas Murner hilfreich zur Seite im Bemühen, einen der größten Bestseller der Weltliteratur auszuschwitzen.

Das gelang mit deftigen Episoden, in denen es allerdings nie einem hohen Herren an den Kragen ging und wenn es mal einen Von und Zu erwischte, gammelte der auf den untersten Stufen der Hierarchie vor sich hin. Stattdessen standen im Fokus dieser Spottattacken überwiegend kleine Spießbürger*innen, denen keineswegs nur ein Spiegel vorgehalten werden sollte, denn Eulenspiegel hat nur auf der einen Seite etwas mit einer Eule und einem Spiegel zu tun. Die andere Bedeutung eröffnet sich mit Blick auf die niederdeutsche Herkunft des Namens, der dort Ulenspeegel lautete. Ulen heißt aber nicht nur mehrere Eulen, sondern wischen und ein Speegel war seinerzeit nicht nur ein Ding zum Hineingucken, sondern vor allem der blanke Hintern. So wurde den Verspotteten möglicherweise zunächst ein Spiegel vorgehalten, anschließend jedoch «Wisch mir den Hintern!» zugerufen.

 

Hofnarren als Vorläufer der Kabarettisten*innen?

Nun mag die Gestalt des mittelalterlichen Hofnarren scheinbar einen anderen Typus von Satire, gar die frühe Vorläuferin des politischen Kabaretts darstellen. Sie tritt immer vor Publikum auf, verspottet die Obrigkeit, parodiert gar deren Angehörige bis hin zum Feudalherrentum, in dessen Diensten sie steht. Doch letzteres zeigt, dass ihr Platz im gesellschaftlichen Gefüge ein ganz anderer ist als der heutiger Kabarettist*innen. Während diese zumindest bei uns und in ähnlich strukturierten Gesellschaften formal frei und unabhängig in ihrer Berufsausübung sind, konnte die mittelalterliche närrische Freiheit nur so lange ausgeübt werden, wie es der Herr erlaubte. Durch dessen gefürchtete Ungnade konnte nicht nur der Job, sondern im schlimmsten Fall auch der Kopf verloren sein. Das kann allerdings auch heutigen Kabarettist*innen passieren – zumindest in Ländern, wo entsprechende Despot*innen an der Macht sind oder gerade dorthin gelangen wollen.

 

Satire als Kritik und Dienstleistung

Die italienische Renaissance produzierte neues Geschrei – aber nicht nur nach Satire, sondern auch nach deren umfassender Erneuerung. Die Satire bzw. deren Produzent*innen antworteten lautstark und rücksichtslos sowohl mit der Abkehr von der konservativen Ausrichtung wie mit der Politisierung ihres Genres. Allerdings wurde die Satire in dieser Zeit, die als Schule des Lästerns in die Geschichte eingegangen ist, auch zur bezahlten Dienstleistung.

Autor*innen wie Pietro Aretino (1492 – 1556), dessen Witz allgemein gefürchtet war, begnügten sich nicht mehr damit, kleine Spießer*innen fertig zu machen. Jetzt gerieten auch Fürsten, Kaiser und Papst ins Visier der Spötter, die sich keineswegs scheuten, ordentlich auf die Pauke zu hauen. Freilich war das nicht ganz ungefährlich, was auch Aretino zu spüren bekam. Bezahlte Mörder und Attentäter waren ihm ständig auf den Fersen, und er musste immer wieder seinen Aufenthaltsort wechseln oder sich gar unter den Schutz einer Obrigkeit stellen, um sein Leben zu retten. Er nutzte allerdings auch die Feindschaft zwischen den Feudalherren für seine Zwecke, spielte sie sowohl literarisch wie finanziell erfolgreich gegeneinander aus und wurde manchmal von einem der Feudalherren sogar dafür bezahlt, einen gegnerischen Fürsten mit den Mitteln der Satire in die Pfanne zu hauen.

Bezogen auf sein gesamtes Schaffen war Aretino ein sehr widersprüchlicher Mensch. Einerseits hatte er gegen den Papst polemisiert, was ihm die Zuneigung der Oberschicht von Venedig einbrachte. Andererseits stammen aus seiner Feder auch Lobhudeleien gegenüber dem Papst, und am Ende verfasste er gar Heiligenviten, denn im Kampf gegen die Reformation schien ein Markt dafür vorhanden zu sein. Ohnehin ist davon auszugehen, dass Aretino bei seinem Schaffen äußerst wirtschaftlich dachte und damit ein durchaus dickes Vermögen anhäufen konnte. Der Wunsch, am Ende seines Lebens Kardinal zu werden, blieb ihm jedoch unerfüllt. Dafür landete sein gesamtes Werk nach seinem Tod auf der Liste der verbotenen Bücher.

Nun war Pietro Aretino keineswegs das einzige Lästermaul der italienischen Renaissance, die eine ganze Gilde dieser Scharfzungen hervorgebracht hatte wie beispielsweise Teofilo Folengo. Aretino aber war einer der pointiertesten, mit Sicherheit der erfolgreichste und was die Langzeitwirkung betrifft, der nachhaltigste.

 

Glasbrenner und die Revolution

In Deutschland ging alles ein bisschen langsamer voran als im Italien der Renaissance, und das traf auch auf die Satire zu. Hier schrie die Zeit besonders laut erst im 19. Jahrhundert nach ihr und die auf progressiven Bahnen bis dahin wenig erfahrene deutsche Satire musste sich sofort mit der aufkommenden Revolution befassen. Selbige hatte nämlich durchaus Bedarf an scharfzüngigen Schreiber*innen und ein gewisser Adolf Glasbrenner aus Berlin dachte nicht lange nach und ging mit spitzer Feder gegen die preußische Obrigkeit und deren polizeiliche Büttel los. Glasbrenner war damit zu erfolgreich für den dünnhäutigen preußischen Staat, der die verschiedenen Publikationen des Satirikers immer wieder verbot und ihn wegen aktiver Beteiligung an der – gescheiterten – 1848er Revolution gar des Landes verwies. Allerdings machten ihn die Repressionen noch populärer, und als Erfinder der Berliner Schnauze wurde er geradezu unsterblich.

 

Teffy und die Bolschewiki

Während Glasbrenners Wirken den Eindruck eines festen Bündnisses zwischen Satire und Revolution vermittelt, zeigt das Beispiel der russischen Satirikerin Teffy, wie brüchig dasselbe sein kann. Das Geschrei nach ihren grotesken Stories und Feuilletons, die unter anderem in der berühmten Zeitschrift Satiricon erschienen, war im vorrevolutionären Russland so gewaltig, dass sie zum ersten weiblichen Superstar des Genres wurde und sowohl Lenin wie den Zaren zu ihren glühenden Fans zählen konnte. Ab 1905 war sie Mitarbeiterin der bolschewistischen Zeitschrift Das neue Leben – doch nach dem Sieg der Oktoberrevolution geriet sie in den Clinch mit den Bolschewiki, die ganz allgemein keinen Bock hatten auf Satire, die alles darf. Betroffen davon war aber nicht nur Teffy, die ihrerseits ein zwiespältiges Verhältnis zur Revolution hatte, sondern die Gilde der Spötter*innen insgesamt. Ab 1930 gab es nur noch das Krokodil als Satireblatt, das jedoch lediglich die vom Politbüro definierten Feinde – beispielsweise Trotzki – beißen durfte. Witze über die Sowjetmacht hätten zumindest zu Zeiten Stalins tödlich für die Witzemachenden enden können.

 

Spaßmacher*innen, Spötter*innen und radikale Linke

Nun ließe sich daraus schlussfolgern, dass Revolutionär*innen und Satiriker*innen nur vor dem Sieg der Revolution einigermaßen miteinander können. Sie haben möglicherweise dieselben Gegner*innen – aber nicht unbedingt die gleichen Ziele. So gehen auch heutzutage radikale Linke meist von der Notwendigkeit einer Revolution aus und einige Satiriker*innen mögen diese Auffassung durchaus teilen. Insgesamt aber bewegen sich die von Franz Josef Degenhardt um 1970 angesprochenen «Spaßmacher, Spötter und Kabarettisten» im Rahmen der gegebenen Gesellschaft und haben eventuell nur «ein paar kleine Spießer verarscht».

 

Auch wenn Degenhardts pessimistische Sicht nicht unbedingt geteilt werden muss, ist andererseits kaum zu erwarten, dass ein gewisser Dieter Nuhr zur Revolution aufruft. Auch Oliver Welke, der höchst gekonnt das Abwatschen politischer Vorturner zelebriert, führt keineswegs den Umsturz im Schilde, sondern will in erster Linie das begeisterte Geschrei des Publikums hören. Davon lebt der Mann schließlich und der Erfolg sei ihm ebenso gegönnt wie einer Gerburg Jahnke, die mit ihren gut platzierten Sticheleien gegen alltägliche Auswüchse des Männlichkeitswahns natürlich nicht gleich den Sprung in den Sozialismus propagiert. Dafür aber hat sie seit den glorreichen Tagen der unvergesslichen Missfits dem arg männerlastigen deutschen Kabarett endlich mal wieder eine weiblich inspirierte Frischzellenkur verpasst und sich damit als legitime Nachfolgerin der legendären Lore Lorentz präsentiert.

 

«Und überhaupt», um mit Tucholsky zu sprechen...

…ist es höchst unterhaltend, wenn die oben genannten oder weitere wie etwa Carolin Kebekus oder Gernot Hassknecht hochnäsigen Politiker*innen oder kleinen Spießer*innen mal wieder ordentlich eins verpassen. Damit werden die gesellschaftlichen Machtverhältnisse gewiss nicht ins Wanken gebracht, und eventuell ist das kollektive Ablachen auch nur ein Ventil, um den angestauten Frust über die kleinkarierte Borniertheit sämtlicher Amts-, Würden- und Sonstwasträger*innen davon flattern zu lassen. Andererseits scheinen einige dieser sogenannten Spitzen der Gesellschaft so dünnhäutig zu sein, dass sie beim kleinsten Witz über ihre ach so werte Person nicht nach Satire, sondern nach der Staatsanwaltschaft schreien.

Satire scheint also durchaus Wirkung zu zeigen bei den ausgesuchten Zielpersonen. Aber kann sie damit am Ende auch politisch wirksam werden? Und hat sie womöglich gar progressives Potential? Fragen, auf die vielleicht nur die Zeit eine Antwort geben kann – jene Zeit, die immer wieder nach Satire schreit…

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Erschienen in arranca! #50

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