Was kommt, nachdem wir aufgegeben haben?
Thesen zum Ugang mit dem Gefühl der Resignation
In den sozialen Bewegungen erleben wir einen Bruch. Die Hoffnung in Aufklärung und Informationen, in Mobilisierung und Einmischen in demokratische Diskurse, das «Hoch, Hoch die soziale Gerechtigkeit!» - all das wirkt ausgeleiert. Wie eine Blockflöte, die nicht mitbekommen hat, dass es mp3s gibt. Sie klingt schön und gegen sie ist nichts einzuwenden, aber sie weckt bei den wenigsten unserer Generation tatsächlich eine Sehnsucht. Wie konnte es soweit kommen?
Es ist das Gefühl, verloren zu haben. Das Gefühl, bei aller Anstrengung und jedem noch so großen Erfolgserlebnis am Ende doch den Wellengang der Machtspiele nicht beeinflussen zu können, in einer apokalyptischen Zeit.
In den siebziger Jahren hatte es schon einmal das kollektive Gefühl des Untergangs gegeben. Der Club of Rome hatte in seinem Bericht «Die Grenzen des Wachstums» ausgerechnet, wie die Natur durch Menschenhand zerstört wird. Und heute stehen wir wieder da, in einem Meer von Hiobsbotschaften. Wir schauen auf einen global wachsenden Neonationalismus, Geheimdienste dieser Welt werden schrankenlos mächtiger, es sind so viele Menschen auf der Flucht wie nie zuvor, das globale Klima macht sich für die Apokalypse warm, und kein Staat der Welt ist bereit weniger Öl ins Fegefeuer der Welterwärmung zu gießen. Wir fragen uns: Was kommt, nachdem wir aufgegeben haben?
Bitte entschuldigt dieses ständige Wir, es ist ohnehin nur vermeintlich: Wir, die als vermeintlich linke, vermeintliche Bewegung einen vermeintlichen Kampf verloren haben. Wir, die nicht benennen können, was es heißen könnte zu gewinnen. Wir, die mit einer Gesinnungsethik den moralischen Zeigefinger erheben können, die auch die Analyse leisten können, was an Nation, Kapital und Religion alles scheiße ist.
Die schöne Idee eines «Globalen» passt nicht mehr in diese Welt, und alle haben es schon bemerkt. Beim neoliberalen Versprechen der Globalisierung sollten mehr Menschen mehr Ressourcen verbrauchen können. Doch jetzt sind alle entzaubert, weil es gar nicht so viele Ressourcen gibt. Das Versprechen der Globalisierung war eine Chimäre, die aussortiert, wer Zugang zum Benz bekommt und wer im Mittelmeer ertrinkt.
Das Ziel ist weg. Jetzt brauchen wir neue Strategien.
Wir aber nehmen kein Schlauchboot und ertrinken nicht im Mittelmeer. Wir fliegen easyjet. Doch wenn das alles stimmt, was ich bisher geschrieben habe, fliegen wir alle auf den Abgrund zu, und niemand sitzt im Cockpit. Was bleibt uns da übrig? Einerseits bleibt die Hoffnung, dass der Autopilot schon funktionieren wird, immerhin hat es die letzten 50 Jahre auch geklappt. Andererseits ist da die Angst. Das Gefühl, dass wir es nicht besser könnten. Und dann ist da noch das Wissen. Wir wissen, dass wir das Ziel verloren haben. Dass unser Landeflughafen im Meer falscher Hoffnung untergegangen ist.
Wir befinden uns also im freien Fall. Und wisst ihr was? Lasst es uns genießen! Freier Fall bedeutet Schwerelosigkeit, völlig neue Möglichkeiten. Das Experiment: Anstatt panisch zu werden, legen wir das untrennbare Paar von Angst und Hoffnung für wenige Sekunden ab und dopen uns in eine künstliche Schizophrenie. Die Schizophrenie des Marketings und der argumentativen Selbstbestimmung.
Selbstbestimmung durch gezielte Desinformation
Also los, Handbremse rausnehmen und voll aufs Gas treten: massenhaftes Marketing! Aber das Produkt, das verkauft wird, ist Selbstbestimmung. Keine Mission, kein gehobener Zeigefinger und ubiquitäre Informationen - wir sagen den Menschen nicht, was sie denken oder kaufen sollen. Nein, wir ballern sie zu mit Desinformationen, die leicht verdaulich und irritierend sind, wir zerstören die Normalität.
Als Momentaufnahme des Möglichen. Als massentaugliche Überraschung, als Illusion: Sei es, dass Strom und Wasser der US-Basis in Ramstein abgestellt werden oder sich die Mitarbeiter*innen von Aldi und Lidl mit geklauten Waren den Lohn aufstocken. Es wird bekannt, dass die Deutsche Bank keinen Zugriff mehr auf ihre Server hat und ein Virus alle Waffen- und Essens-bezogenen Finanzmarktspekulationen an der Börse eingefroren hat. Diese Illusion muss mindestens drei Minuten weltweit bestehen bleiben, das reicht um die Aktien zittern und die Phantasie beben zu lassen. Wenn der Boden unter den Füßen der Gewohnheit zerfließt, müssen sich alle positionieren.
Wir brauchen Momente, in denen Diskurslogik bricht und hegemoniale Gewissheiten zusammenbrechen. Solche Momente können wir strategisch erschaffen, um dann so richtig fies manipulativ einzugreifen - mit schön linken Werten, die die Menschheit retten. Nationen, Kapital und Religionen weiter in Frage stellen, Reichtum und Zugang zu Macht kompromisslos umverteilen, und und und ...
All das wäre reine Symbolik, ziviler Ungehorsam in einem direktdemokratischen Diskurs. Doch es würde Justiz und Moral ein bisschen aufrütteln, sich zu positionieren. Keine wirkliche Bedrohung, nur ein Hinweis. Und mit einer guten Webdesignerin und hübschen Texten wäre es sogar ein kleines Medienspektakel. Und natürlich ein weiterer Eintrag im Verfassungsschutzbericht (Straftaten im Bereich «Politisch motivierte Kriminalität - links»: 9.605).
Wenn Angst und Hoffnung wieder erwachen und miteinander verschmelzen, erwächst der Mut. Mut, Änderungen zu riskieren. Sich der Ungewissheit auszusetzen, mit kosmopolitischer sozialer Gerechtigkeit als Ziel. Auch wenn man Familie hat. Auch wenn man eine Festanstellung hat, studieren durfte oder einen europäischen Pass hat. Oder eben gerade dann. Schon die Französische Revolution war ein Aufbegehren der Privilegierten. Nur geht es diesmal nicht um eine Nation, sondern um eine ganze Welt.
Peng!
Jean Peters ist Teil des Kollektivs Peng!, das mit seiner Aktionskunst immer wieder erhebliche mediale Aufmerksamkeit erzeugt. Im Sommer 2015, auf dem Höhepunkt des Sommers der Migration, forderten sie in der Kampagne Fluchthelfer.in mit Plakaten dazu auf, Flüchtende auf dem Weg vom Urlaub nach Hause im eigenen Auto mitzunehmen. Im Februar 2016 verantworteten sie einen der berühmtesten Tortenwürfe der Bundesrepublik. Auf einer Zusammenkunft der AfD in Kassel im Februar 2016 platzierte Jean Peters zielsicher eine Sahnetorte im Gesicht von Beatrix von Storch. Das mittlerweile ikonographische Bild schmückte beispielsweise Plakate, die für eine Mobilisierung gegen den so genannten 1000-Kreuze-Marsch werben. Im November 2015 gab es eine Gegenaktion zu einer aufwändigen Bundeswehr-Werbe-Kampagne. Die Webseite machwaszaehlt.de, deren Adresse der eigentlichen Armee-Seite ähnelte, klärte darüber auf, dass es bei der Bundeswehr nicht ums Helfen, sondern ums Töten geht und nicht Menschenrechte, sondern Profitinteressen verteidigt werden. Um eine Auseinandersetzung mit Geheimdiensten ging es bei Intelexit. Ein als «Hintertür zu Demokratie» gelabeltes Aussteiger-Programm forderte Geheimdienstler*innen zu einem beruflichen Ausstieg und einer gesellschaftlichen «Resozialisierung» auf. Call a Spy, das aktuellste Projekt, knüpft an das Thema Geheimdienste / Intelexit an. In einer Mitmach-Performance wurden mit angeblich echten, aufwändig recherchierten Nummern, Mitarbeiter*innen des Bundesverfassungsschutzes oder BNDs sowie US-amerikanische, britische und französische Geheimdienst-Pendants angerufen. Ziel war, diese so lange wie möglich in ein Gespräch zu verwickeln, zum Lachen, zum Fluchen oder sogar zum Nachdenken zu bringen und so die Leute kennenzulernen, die über uns alle so viel wissen.
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Erschienen in arranca! #50
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