"Unsere Radikalität ist keine theoretische Radikalität..."
Interview mit Salah Teiar von der französischen Papierlosen-Bewegung
Um die Jahreswende 1996/97 haben sich in Frankreich Zehntausende gegen die Verschärfung der rassistische Ausländergesetze (das Gesetz Debré) gewehrt. Ausgegangen war die Bewegung von zwei Kirchenbesetzungen in Paris, wohin sich 300 papierlose und von Abschiebung bedrohte Afrikaner geflüchtet hatten.
Von den "Sans Papiers" läßt sich einiges lernen, nicht nur hinsichtlich antirassistischer Politik . Beeindruckend ist auch, wie sie konkrete Forderungen mit Radikalität verbinden: Mit ihrer Forderung nach Legalisierung ihres Aufenthaltsstatus gehen sie über die bürgerlichen Grundrechte nicht hinaus. Und doch macht ihre Organisationsform einer aus Basiskollektiven bestehenden Bewegung ohne offizielle SprecherInnen jede reformistische Vermittlung dieser Forderungen nahezu unmöglich. Die "Sans-Papiers" sind eine soziale Bewegung von unten, die ohne jeden radikalen Gestus auftritt und trotzdem die Verhältnisse viel grundsätzlicher in Frage stellt als viele, die ständig das Wort "Revolution" im Mund führen.
Salah Teiar ist als ein Vertreter der "Sans Papiers" im Sommer 1997 in Deutschland unterwegs gewesen.
Wie schätzt du die Bedeutung der Migration in der französischen Gesellschaft ein?
Also zunächst mal: Immigration spielt in Frankreich schon seit dem 18.Jahrhundert eine wesentliche Rolle beim Aufbau der französischen Ökonomie. Nach offiziellen Statistiken stammen 20% der französischen Bevölkerung von Einwanderern ab.
Zweitens spielt Migration eine große Rolle, weil sie viel mit der Politik hier zu tun hat. Die Einwanderung in Europa ist eine Folge des Neokolonialismus oder neuerdings Neoliberalismus, das heißt der sozialen Zerstörung, die in den Ländern der Dritten Welt angerichtet wird. Der Neoliberalismus hat die Ökonomien der 3.Welt-Staaten praktisch enthauptet, die Produktion ist in vielen Ländern völlig zum Stillstand gekommen. Davon profitieren wenige Metropolen, während die Peripherie ausgeblutet wird.
Europa versucht sich jetzt die dadurch in Bewegung geratenen Menschen durch Gesetze vom Leib zu halten, aber das wird unmöglich sein. Man kann Menschen, die um ihr Überleben kämpfen, nicht aufhalten. So gesehen befinden wir uns erst in der Vorgeschichte der Migration. Es wird in der Zukunft noch viel größere Migrationsbewegungen geben.
Die Einwanderungsgesetze in Frankreich waren nicht immer so repressiv wie heute?
Ich glaube, daß etwa 1974 eine Verschlechterung der Aufenthaltsbedingungen begann. Das fiel mit der ersten Erdölkrise zusammen. Die OPEC-Länder hatten die Konfrontation mit dem Westen gesucht und einseitig die Ölpreise erhöht. Daraufhin gingen die westlichen Länder und insbesondere Frankreich dazu über, die EinwandererInnen als Verhandlungsmasse gegen die OPEC-Staaten zu benutzen.
Das Gesetz, das das Aufenthaltsrecht von ImmigrantInnen regelt, war vorher von 1945 bis 1974 immer nur leicht modifiziert worden. Von da ab jedoch gab es in sehr kurzen Abständen Veränderungen. Es sind seitdem keine 2 Jahre mehr ohne neue Ausländergesetze vergangen.
Der wichtigste Einschnitt stammt aus der Zeit des Innenministers Pasqua in den 80ern. Unter ihm wurde die gesamte Gesetzgebung umgekrempelt, angefangen von Aufenthaltsbestimmungen bishin zu den Regelungen, die die Staatsbürgerschaft festlegen. Der Aufbau des vereinten Europas hat dabei auch eine wesentliche Rolle gespielt.
Wo siehst du dann den Anfang der Papierlosen-Bewegung in Frankreich? Und wie waren die Reaktionen auf Eure ersten Proteste?
Die Sans-Papiers waren nicht die ersten unter den ImmigrantInnen, die den institutionalisierten Rassismus bekämpft haben. Aber wir waren die ersten, die umfassende Forderungen aufgestellt und das Problem politisch benannt haben.
Es ist kein Zufall, daß wir uns als "Papierlose" und nicht als "Illegale" oder so was bezeichnen. Wir akzeptieren nicht, daß wir aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden. Das heißt, wir akzeptieren die herrschende Terminologie nicht. Um ein System zu bekämpfen, muß man auch die Definitionen ablehnen, die dieses System hervorbringt. Man muß eine eigene Sprache der Bewegung schaffen.
Die Politisierung des Konflikts hat vielen Organisationen nicht gefallen. Es ist ja üblich, daß Aufenthaltsgenehmigungen als humanitäre Einzelfallprobleme betrachtet und behandelt werden.
Als 1996 die 300 Afrikaner die Kirche St. Bernard in Paris besetzten, waren deswegen auch sofort eine Reihe Feuerwehrleute zur Stelle. Zahlreiche Vereinigungen tauchten auf und versprachen den 300 Afrikanern sich für die Prüfung ihrer Fälle einzusetzen. Aber Achtung: Außer diesen 300 sollten keine weiteren Fälle dazukommen.
Diese Hilfsverbände hatten allerdings nicht daran gedacht, daß alle dieser 300 Afrikaner bereits 3 oder 4 behördliche Vorgänge eingereicht und nirgends eine positive Antwort erhalten hatten. Für die meisten gab eigentlich nur noch die Alternative, verrückt zu werden oder zu radikalen Mitteln zu greifen.
Die rechte Regierung hat dann auch noch eine Menge wirklich schwachsinniger Fehler begangen. Der erste war, die Vermittler nicht anzuerkennen. Der zweite uns zu zeigen, daß wir nichts besseres zu erwarten haben, wenn wir uns ruhig verhalten. Sobald die Kirche geräumt war, wurden 40 von uns abgeschoben. Das war noch mal ein Beweis, daß diejenigen, die das große Geld besitzen, uns im Untergrund haben wollen, als unsichtbare Gestalten und daß wir keine andere Wahl haben als dagegen zu kämpfen.
Du sagst selbst, daß die Besetzung der St.Bernard-Kirche in Paris das Problem von Einzelfällen auf ein politische Ebene bringen sollte. Was wolltet Ihr thematisieren?
Den Sklavenstatus, den wir in der französischen oder europäischen Gesellschaft innehaben. Manche Papierlose wurden angezeigt, weil sie ihre Kinder in der Schule angemeldet haben oder gesundheitliche Probleme hatten. Das heißt, wir besitzen alle Pflichten, aber keine Rechte. Wir sind wie moderne Sklaven. Wir sind die Arbeiter, die beim Bau der großen Gebäude schuften: bei der neuen Staatsbibliothek, dem Verteidigungsministerium, den Autobahnen usw. Überall dort wurden die Aufträge an Subunternehmen weitergereicht, die versuchten, das absoulte Minimum zu zahlen und sich deshalb Papierlose anheuerten. Und obwohl wir deshalb längst Bestandteil der französischen Gesellschaft sind, dürfen wir an ihr nicht teilhaben. Das war unsere Hauptargumentation.
Tatsächlich ist es uns damit gelungen, mit den Gewerkschaften in Berührung zu kommen und der Zivilgesellschaft zu erklären, was ein Papierloser überhaupt ist. Aus der juristische Kategorie des "Illegalen" sind Menschen aus Fleisch und Blut geworden. Wir sind viele der Eigenschaften losgeworden, die man uns anhängen wollte. Wir haben gezeigt, daß wir weder Kriminelle noch geistige Spätentwickler noch sonst irgendetwas Absonderliches sind. Die meisten von uns kommen auf dem frankophonen Sprachraum, das heißt der einzige Unterschied zwischen uns und den anderen ist, daß wir dunklere, schwarze oder gelbe Haut haben. Und das als einen Unterschied zu bezeichnen, ist das Kriterium eines Faschisten.
Außerdem haben wir gezeigt, daß es der Staat ist, der uns marginalisieren will. Der uns in dieser Rolle behalten möchte und der das damit rechtfertigte, daß es die Front National und den Rassismus gibt. Uns wurde gesagt: "Haltet den Mund, sonst schlachtet die Front National das Thema wieder aus." Das heißt ein Staat, der sich selbst als republikanisch bezeichnet, akzeptiert eine faschistische Partei und daß diese ihr die Bedingungen diktiert.
Seit Mitte des Jahres gibt es eine Mittel-Links-Regierung unter Jospin. Werden sich damit die Bedingungen für die Sans-Papiers verbessern?
Wir haben keine großen Illusionen. Obwohl die Linke uns eigentlich dankbar sein müßte, denn die Niederlage der Rechten bei den letzten Wahlen hat viel mit der Papierlosen-Bewegung zu tun gehabt. Wir durften zwar nicht wählen, aber wir haben die Gesellschaft mit unserem Widerstand darüber sensibiliert, was die Rechtsregierung wirklich vertritt. Als das Debré-Gesetz präsentiert wurde, das alle französischen Staatsbürger zu Denunzianten machen sollte, haben Hunderte von Intellektuellen vom zivilen Ungehorsam aufgerufen; Zehntausende waren auf der Straße. Das war eine sehr wichtige Bewegung.
Was jetzt die Linke bringen wird, bleibt abzuwarten, aber in den Programmen der "Parteien der Mehrheit" (PSF, PCF, Bürgerbewegung, Radikale und Grüne, Anm.d.R.) steht vieles, war für uns einen Fortschritt darstellen würde. Das Problem ist nur, daß zwischen diesen Programmen und ihrer Verwirklichung eine große Kluft liegt. Es gab bisher auch keine ernsthaften Gespräche mit der Regierung (Juli 1997). Unmittelbar nach dem Wahlsieg kam zwar ein Konvoy von Papierlosen aus Angouleme nach Paris, der dann auch von einem Berater Jospins empfangen wurde, aber das war eine reine Höflichkeitsmaßnahme, kein politisches Treffen.
Das heißt, die Bewegung muß jetzt weitermachen, um die neue Regierung zur Durchsetzung unserer Forderungen zu zwingen. Das wird nicht einfach. Ein Beispiel: Die Regierung Jospin hat zwar versprochen die Gesetzesverschärfungen Pasqua, Debré etc. zurückzunehmen, aber sie ist nicht bereit, ein Abschiebungsmoratorium zu verhängen. Das heißt, die Leute, die auf der Grundlage der bisherigen Gesetze festgenommen werden, können auch weiterhin abgeschoben worden. Ein zweites Beispiel: die Regierung Jospin hat Einzelfallprüfungen angeboten, die wir aber grundsätzlich ablehnen. Wir wollen die Legalisierung von allen, nicht nur Begünstigungen für ein paar Tausend.
Es ist also möglich, daß wir die Jospin-Regierung ebenso bekämpfen müssen wie zuvor die Regierung Juppé.
In Deutschland ist es sehr selten, daß sich MigrantInnen organisieren, um die Situation hier zum Thema zu machen. Die meisten Migrantenorganisationen arbeiten zu Kurdistan, Türkei, Palästina, also zu den jeweiligen "Heimat"-Staaten, auch wenn diese Länder schon lange nicht mehr ihre Heimat sind. Wie ist es in Frankreich möglich gewesen, daß bei den Kirchenbesetzungen vergangenes Jahr eine breite MigrantInnen-Bewegung entstand?
Die afrikanischen Leute, die die erste Kirchenbesetzung gemacht haben vorher schon zusammmen in Unterkünften in der Banlieue von Paris zusammengelebt. Sie kamen ungefähr aus der gleichen Region in Afrika und sprachen die gleiche Sprache. Man kann also sagen, daß es eine gemeinsame afrikanische Identität gab, die die Bewegung ermöglichte.
Die Leute haben in ihrer eigenen Gemeinschaft außerhalb der französischen Gesellschaft gelebt und miterleben müssen, wie ständig Bekannte abgeschoben wurden. Sie haben darüber geredet und dadurch auch ihre eigene Situation thematisiert. Nachdem ihre Fälle ohne jedes Ergebnis bei 3 oder 4 verschiedenen Behörden herumgelegen hatten, überlegten sie sich andere Sachen. Und so kam die Idee der Kirchenbesetzung zustande.
Die Besetzer wurden zunächst in der Kirche aufgenommen, aber schon am 4.Tag erklärte der katholische Kardinal, daß wenn die Besetzung auf 300 Personen angestiegen sei, daß es sich dann um eine Aktion der extremen Linken handeln müsse, und beantragte bei der Polizei die Räumung der Kirche. Danach wurde das Thema erst richtig groß.
Als was würdest du die Sans Papiers bezeichnen: Eine eher politische Bewegung, die die gesellschaftlichen Verhältnisse insgesamt verändern will, oder eine soziale Bewegung, die konkrete Minimalforderungen aufstellt?
Die Sans Papiers sind eine Bewegung, die für ganz konkrete Ziele sehr radikal eintritt. Wir haben festgestellt, daß wir die Gesetzgebung des französischen Staates angreifen müssen, um hier überleben zu können. Wenn man so will, ist unsere Radikalität keine theoretische Radikalität, die sich gegen das System richtet, keine, die etwas mit der Linken oder der Arbeiterklasse zu tun hat; es ist eine ganz praktische, unmittelbare Radikalität. Unser Widerstand richtet sich gegen die Rassendefinition der französischen Gesetzgebung.
Mit den Positionen der extremen Linken in Frankreich haben wir nichts zu tun, auch wenn unsere Beziehungen zu diesen Gruppen von Anfang an gut waren. Wir sind immer am Gespräch mit ihnen interessiert gewesen, genauso wie wir auch mit der politischen Mitte geredet haben. Aber die Sans Papiers haben an sich einen ganz anderen Charakter. Wir sind kein Verband, keine Organisation, wir sind eine völlig autonome Bewegung, die sich von niemandem Entscheidungen diktieren läßt und die sich auf einige wenige Forderungen beschränkt: erstens Regularisierung des Aufenthalts aller MigrantInnen; zweitens Stopp der Abschiebungen und Rückkehr der bereits Abgeschobenen; drittens Freilassung der wegen unvollständiger Papiere Festgenommenen und viertens natürlich die Streichung aller rassistischen Gesetze.
Siehst du eine Gefahr, daß sich die Sans Papiers ähnlich wie z.B. SOS Racisme institutionalisieren und ihren Bewegungscharakter verlieren könnten?
Die Struktur der Sans Papiers macht eine solche Entwicklung fast unmöglich. Wir bestehen nur aus selbständigen Kollektiven, die die obengenannten Forderungen tragen und vertreten. Darüberhinaus besitzen wir keine Infrastruktur, wir haben keine offiziellen Sprecher. Vielleicht würde so eine Entwicklung eintreten, wenn wir die Legalisierung des Aufenthalts für alle erreicht hätten. Dann würde sich möglicherweise eine neue Funktionsweise und Struktur der Sans Papiers ergeben, aber bisher sind wir nichts anderes als ein Netzwerk von Basiskollektiven.
Wo kommen die Leute in der Bewegung her?
Die meisten aus französischsprachigen Ländern in Afrika und Asien, aber es gibt auch eine Menge Leute aus der chinesischen, türkischen, kurdischen, armenischen oder osteuropäischen Community. Darüber wie viele es sind, haben wir keine Zahlen. Es ist interessant: Manchmal finden Treffen auf drei Sprachen statt, alles dauert dadurch natürlich viel länger, aber trotzdem gibt es eine gemeinsame Diskussion.
In Frankreich gilt die Gesetzgebung als sehr hart, aber in der Praxis gibt es weniger Razzien als z.B. in Deutschland. Woran liegt das?
Es liegt mit Sicherheit nicht daran, daß die Verwaltung bei uns lascher wäre. Die französischen Behörden sind noch schärfer als die Gesetzgeber. Es liegt eher daran, daß massive Abschiebungen zu sehr an die Massendeportationen von Juden erinnern würden und deswegen innenpolitisch nicht durchzusetzen sind. Deswegen nehmen sie lieber beständig in kleiner Zahl Leute fest und schieben sie dann ab als große Razzien zu organisieren.
Die faschistische FN ist in Frankreich zwar stärker als vergleichbare Parteien in Deutschland, aber der Rassismus hier scheint trotzdem militanter zu sein als bei Euch. Erstens: Stimmt der Eindruck überhaupt? Und zweitens: Gibt es eine antirassistische Gegenwehr von MigrantInnen in Frankreich, wenn Nazigruppen Leute überfallen?
Es gibt in Frankreich längst nicht nur die Front National, sondern sehr viele gewalttätige faschistische Gruppen. Ständig kommt es rassistischen Angriffen, die in den Zeitungen nur Randnotizen bleiben. Ich glaube deswegen nicht, daß es in Deutschland und Frankreich zwei verschiedene Klassen von Gewalt gibt, daß die extreme Rechte bei Euch gewalttätiger ist.
Das Problem ist, wenn Staaten anfangen, solche rassistischen Angriffen zu akzeptieren. Der Staat ist per Definition für alle da, die in einer Gesellschaft leben. Ich kann damit leben, daß der staatlicher Schutz auch für Rassisten gilt, aber ich kann nicht akzeptieren, daß der Ausländer dieses Recht nicht besitzt.
Zum zweiten Teil deiner Frage: Es gibt in ganz Frankreich antifaschistische Komitees und wenn es drauf ankommt, haben die Leute auch keine Angst, es den Faschisten zu geben.
Unterstützer von Flüchtlingen in Deutschland weisen immer wieder darauf hin, wie schwer es ist, mit Papierlosen politisch zu arbeiten. Die Alltagsprobleme – keine Wohnung, Angst vor der Polizei, unsichere Arbeitsverhältnissen – wachsen den Leuten einfach über den Kopf.
Ich kann das nicht mehr hören. Man darf die Geduld nicht verlieren. Wenn man etwas sät, dauert es auch ein paar Monate, bis du etwas ernten kannst.
Mich stört es richtig, wenn jemand sagt: Die Papierlosen sind so oder so, die haben Angst, sie trauen sich nicht. Ich lebe seit Jahren in dieser Situation. Ich bin immer noch Opfer von ständigen Kontrollen und zwar nur wegen meinem Aussehen.
Seit eineinhalb Jahren kümmere ich mich kaum um meine Familie, sondern kämpfe auf der Straße. Aber wenn es niemanden gibt, der sich für die Sache engagiert, dann wird sich an der Situation auch nie etwas ändern. Wir haben also gar keine andere Wahl, und deswegen find ich es Quatsch, so zu argumentieren. Man muß die Leute anschieben, man muß ihnen die Wichtigkeit dieses Kampfs erklären. Daß sie am Anfang Angst haben, ist normal und legitim. Aber sie müssen das überwinden und sie müssen langen Atem haben. Unsere Angelegenheit klären wir nicht in ein paar Wochen.
Es hat Übertritte von kommunistischen Gemeinderäten und Bürgermeistern zur FN gegeben. Sind das Einzelfälle gewesen, die man der PCF nicht vorwerfen kann, oder hat das auch mit einem nationalistischen und rassistischen Diskurs der Kommunisten zu tun gehabt?
Es gibt zumindest unter vielen Linken eine völlige Verharmlosung des Rassismus. Alles wird entschuldigt: Man redet von der Arbeitslosigkeit und den katastrophalen Verhältnissen in der Banlieue, die die FN stark machen. Das heißt, alles wird auf die sozialen Probleme geschoben und die Rassisten tauchen gar nicht mehr auf.
Ein weiteres Beispiel: Ein kommunistischer Bürgermeister hat in der Peripherie von Paris ein Wohnheim, das hauptsächlich von ausländischen Arbeitern bewohnt wurde, abreißen lassen, weil es, so seine Argumentation, nicht den Normen entspreche. Das gleiche Grundstück ist inzwischen fünf Mal gekauft und wieder verkauft worden, d.h. es gab eine gigantische Bodenspekulation um dieses Objekt. Der selbe Bürgermeister hat dann eine Delegation der Sans-Papiers zu einer offiziellen Zeremonie für die Illegalen in der Gemeinde eingeladen. Vielleicht ist er kein Rassist, aber in der Frage des Wohnblocks hat er sich wie einer verhalten.
Also man kann sagen, daß es in der französischen Gesellschaft insgesamt keine klare Abgrenzung gegen den Rassismus gibt. Es gibt in allen Parteien Leute, die beim Thema Einwanderung mehr oder weniger zur extremen Rechten gehören, ohne insgesamt rechtsextremistische Positionen zu vertreten. Die FN hat der französischen Gesellschaft ganz einfach ihre Ideologie des "Frankreich zuerst" inzwischen aufgezwungen. Und das geht auch den Sozialisten oder den Kommunisten nicht vorbei.
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Erschienen in arranca! #13