Özgür Gündem. Zeitung machen gegen den Tod
Portrait einer türkisch-kurdischen Zeitung
Wenn mensch die Situation im türkischen Staat betrachtet, entsteht der Eindruck, daß es beim Zeitungsmachen eigentlich nur ein Problem gibt:
Überleben.
Wahrscheinlich hat sich in keinem Land der Welt die Aufstandsbekämpfung derart der Medien angenommen wie in der Türkischen Republik. 16 ermordete JournalistInnen zählten unabhängige Menschenrechtsorganisationen 1992. Als Täter werden offiziell fundamentalistische oder türkisch-nationalistische Terrorgruppen genannt. Es ist aber vielfach nachgewiesen worden, daß hinter den Gruppen, die Namen wie „Türkische Rache-Brigade" oder schlicht „Hizbullah" tragen, eine Allianz von Geheimdiensten, Rechtsextremisten und den Anti-Guerilla-Einheiten der türkischen Armee stehen. Generalstabschef Güres traf denn im Juli den Nagel auch auf den Kopf, als er sagte: „Im totalen Krieg ist die Presse auch ein Bestandteil", wobei er und die neue Premierministerin Tansu Ciller Wert darauf legten, zwischen befreundeten und feindlichen Medien zu unterscheiden. Der Krieg gegen linke Medien und Gegeninformation ist in der Türkei und in Nordkurdistan zur brutalen Überlebensfrage geworden. Besonders betroffen von den Repressionsschlägen ist die türkisch-kurdische Tageszeitung Özgür Gündem, - freie Tagesordnung. Das am 30. Mai 1992 zum ersten Mal erschienene Blatt, das neben der (erst 1993 gegründeten) Aydinlik getrost als einzige linke Tageszeitung im Türkischen Staat bezeichnet werden kann, ist Hauptziel der Angriffe. Sieben JournalistInnen, drei weitere MitarbeiterInnen und sogar ein Verkäufer der Zeitung wurden von Todesschwadronen umgebracht. Die letzten beiden Opfer waren Anfang August der erst 18-jährige Journalist Ferhat Tepe, der in Nordkurdistan entführt wurde, und die Istanbuler Korrespondentin Aysel Malkac.
Dazu kommen Hausdurchsuchungen, Anschläge auf Büros, über 60 Festnahmen gegen RedakteurInnen, inzwischen mehr als 40 Ausgaben, die von staatlichen Stellen beschlagnahmt wurden - Verluste pro beschlagnahmte Nummer laut Özgür Gündem: 175-200 Millionen Türkische Lira, in etwa 30.000 DM.
Es gehört zu den mittleren Wundern, daß die Tageszeitung trotzdem weitergemacht hat. Außer einer dreimonatigen Pause Anfang 1993, die notwendig war, um die Arbeit neu organisieren zu können, hat sich das Blatt keine Atempause gegönnt. Eine Besserung der Verhältnisse ist nicht absehbar. Die Sommermonate 1993 gehörten zu den härtesten überhaupt. Nach der Erklärung des „totalen Kriegs" durch den türkischen Sicherheitsrat, wurde die Zeitung am 14.Juli von einem Istanbuler Gericht vorübergehend verboten, am 17. Juli zwei Redaktionschefs verhaftet, am Monatsende ein Journalist bei einem Anschlag schwer verwundet, Anfang August kam es zu den genannten Morden, gleichzeitig ist die Polizeiüberwachung der Büros verschärft worden.
Der Grund für die Härte, mit der der türkische Staat gegen die Tageszeitung vorgeht, hat damit zu tun, daß Özgür Gündem als einziges Blatt schwerpunktmäßig über den Krieg in Kurdistan berichtet. In den türkischen Medien wird der Konflikt zwischen PKK und den Militärs entpolitisiert als „Terror von Kriminellen gegen die Brüderlichkeit der türkischen Völker“ dargestellt. Und obwohl es Hunderte von kurdischen Dörfern gibt, die von Anti-Guerilla-Einheiten dem Erdboden gleich gemacht und Zehntausende vertrieben wurden, glaubt der überwiegende Teil der Bevölkerung in der Türkei nach wie vor die offizielle Version. Die vielen Jugendlichen, die als Rekruten in Kurdistan verheizt werden, bieten eine gute Grundlage, um den Krieg chauvinistisch zum Nationalitätenkonflikt zu machen.
Das Verbrechen Özgür Gündems besteht darin, sich genau dieser Deutung des Konflikts entgegenzustellen. Die Zeitung, die täglich 40.000 Exemplare verkauft, davon 10.000 im Ausland, ist entgegen anderer Darstellungen kein Hausblatt der PKK. Die Tageszeitung ist ein türkisch-kurdisches Gemeinschaftsprojekt, das sich nach eigenen Worten „sowohl an die türkischen Arbeitenden als auch an das kurdische Volk" richtet. Im Selbstverständnis bezeichnet sich Özgür Gündem als antiimperialistisch, antifaschistisch und antichauvinistisch.
Die Tatsache, daß der Krieg in Kurdistan fast immer auf der Titelseite erscheint und der PKK bzw. der ARGK (die Befreiungsarmee) in jeder Ausgabe mindestens eine Seite gewidmet ist, läßt sich nicht mit einer kurdisch-nationalistischen Position erklären. Der Krieg bestimmt die Realität im türkischen Staat, der kurdische Widerstand ist die einzige ernstzunehmende Opposition in der türkischen Republik. Linke Berichterstattung kann gar nicht daran vorbei, diesen Fragen Platz einzuräumen.
Zumal sich Özgür Gündem nicht auf Kurdistan beschränkt. Gewerkschaften, Studentinnen-, Stadtteil- oder Arbeitskämpfe in der Türkei nehmen in keiner türkischen Tageszeitung so viel Raum ein wie in Özgür Gündem. Auch wenn manche Beiträge sowohl kurdischer als auch türkischer Linker verschwörungstheoretisch wirken, auch wenn RedakteurInnen zu bestimmten Organisationen ein unkritisches Verhältnis haben, ist die Zeitung als solche keine Hauspostille. Sie ist die einzige Stimme der Opposition, eine der wenigen Quellen, um das zu erfahren, was sich in Kurdistan ereignet.
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Erschienen in arranca! #2
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