Editorial
Schneebedeckte Landschaften im März, ein Wal schwimmt die Themse rauf, der BND lässt international foltern, Angie fällt nicht auf, Müntefering hat sich mit der Riesterrente doch »verrechnet« und alle Vögel sind potenzielle Schläfer. Es ist wieder an der Zeit, linke Perspektiven greifbar zu machen. Das erhoffen wir von FelS uns von der Interventionistischen Linken (IL), einem neuen strategischen Zusammenschluss zahlreicher Gruppen und Einzelpersonen, an dem auch wir beteiligt sind.
Die IL hat sich die Aufgabe gesetzt, die Organisierungsfrage neu anzugehen. Der Ansatz versteht sich als offen und mit einer gewissen politischen Breite. Die IL will eine undogmatische radikale Linke als Strömung gesellschaftlich greifbar machen. Die Handlungsfähigkeit des Zusammenschlusses soll anhand konkreter Projekte unter Beweis gestellt werden. Dazu zählt die Mobilisierung gegen das G8-Treffen 2007 in Heiligendamm und in diesem Zusammenhang das Zeitungsprojekt G8-Xtra (an dem wir auch als arranca! beteiligt sind).
Die Debatten in der IL darüber, wie »die Linke in Deutschland ihre relative Bedeutungslosigkeit überwinden und wieder realen Einfluss auf die Richtung von Politik und Gesellschaft nehmen soll« (G8-Xtra, Nr. 00, Frühjahr 06: 2) bilden die Grundlage für den vorliegenden Themenschwerpunkt. (Nicht nur) in der IL wird im Hinblick auf die zu erreichende gesellschaftliche Relevanz die Formulierung von »Richtungsforderungen« diskutiert. Diesen Ansatz greifen wir im Leitartikel auf, spannen einen Bogen zwischen den Themen und konzentrieren uns auf zwei mögliche Richtungsforderungen: Existenzgeld und Globale Rechte. Diese werden auch in weiteren Schwerpunkbeiträgen aufgegriffen. Sowohl in Form der historischen Dokumentation eines Textes von Paolo Virno zur Existenzgeldforderung, als auch mit eigenen Betrachtungen und einer Positionierung.
Angesichts der Ereignisse in New Orleans, Ceuta/Melilla und der Revolte in den französischen Banlieues ist mehr als deutlich geworden, was in den vergangenen Jahren in diversen Debatten um die Angleichung von Polizei- und Militärstrategien gemeint war. Der Krieg als wesentliches ordnungspolitisches Mittel wendet sich auch nach Innen. Selbst Grundrechte gelten für viele nicht mehr: Wie im römischen Imperium oder in der Kolonialzeit werden »die Anderen« zu Barbaren, Abschaum und Feinden stilisiert, die beschossen, eingesperrt oder ausgewiesen werden müssen. Diese extremen Formen von Entrechtung sind der Ausgangspunkt für den Beitrag über Rechtlichkeit und Staatlichkeit. Hinzu kommen ein Beitrag von »Indymedia estrecho« aus Südspanien zu ihrem Ansatz in der Migrationspolitik und ein weiterer zu den französischen Banlieues.
Eine bedeutende Rolle in unserer Debatte hat auch die in letzter Zeit viel diskutierte These der »Krise des Neoliberalismus« gespielt. Überlegungen dazu sind in den Leitartikel eingeflossen. Wir haben diesbezüglich einen Beitrag zu Europa und ein Interview zu dem Projekt der kontinentalen Integration in Lateinamerika im Heft. Außerhalb des Schwerpunkts finden sich Beiträge zu den aktuellen Entwicklungen im italienischen Susatal, zu Filipinas in Hongkong, ein Artikel zum Stand der Prozesse in Genua und – auch wir entziehen uns nur bedingt der drohenden Fußballflutwelle – ein Beitrag über die mexikanische Stürmerin Marigol.
Aus eigenem Hause stammen der Beitrag zu antifaschistischer Bündnispolitik in Halbe und eine Replik auf den in der letzten Nummer erschienenen Artikel »Befreiung der Körper«. Ein Artikel zur parlamentarischen Linken in Palästina und ein Interview mit der US-amerikanischen Transgender-Künstlerin Breedlove runden die Nummer ab.
Tausend Dank an Mattias Kåks fürs Layout und an Åsa Franck (asafranck[at]yahoo.com), die sämtliche Fotos in dieser Ausgabe gemacht hat. Tusen tack till Mattias Kåks för layouten och till Åsa Franck som har tagit samtliga foton i detta nummer.
Wir begrüßen wieder eine Neue bei FelS, diesmal bei der arranca!. Maya Lin wurde im Dezember 2005 geboren. Passend zum Schwerpunkt der vergangenen arranca!, »Andere Umstände – zwischen Rebellion und Rente«, stellen wir fest, dass die Kinderschar der Gruppe mittlerweile ausreichen würde, um eine Vorfeldorganisation (die Kieselsteine?) für Ein- bis Sechsjährige zu gründen (doch wie erklären wir den Kindern, dass Chicken Little ein gefährlicher Massenmörder ist…?).
Wir können auch schon einige Themenschwerpunkte der nächsten Hefte ankündigen. In einer langen Diskussion in der Gesamtgruppe FelS (von der die Themenschwerpunkte festgelegt werden) haben sich drei konkrete Vorschläge herauskristallisiert. Angesichts der zahlreichen europäischen Initiativen, die in den letzten Jahren entstanden sind (u.a. Mayday Parade und europäisches Prekarisiertennetzwerk), scheint uns die Zeit reif für eine neue »Europanummer« (nach der gemeinsam mit der italienischen Zeitschrift DeriveApprodi entstandenen arranca! 25 im Winter 2002/03). In der Ausgabe wollen wir uns den Entwicklungen in Europa der vergangenen Jahre widmen, uns nahe stehende Praktiken diskutieren und die Rolle Deutschlands in der EU und der EU in der Welt analysieren.
Ein weiterer Vorschlag heißt: »Theorie & Praxis / hier & jetzt«. Darin sollen u.a. die Kampagnen und Initiativen beleuchtet werden, die von der FelS Sozial-AG angestoßen oder mitorganisiert wurden, wie Berlin Umsonst, Pinker Punkt, Die Überflüssigen und die Mayday Parade. Wir wünschen uns eine Fortführung der bereits in dieser Nummer angeschnittenen Diskussion zu Perspektive und Praxis der Antifa und viele Beiträge zu den diversen Arbeitskämpfen der letzten (und hoffentlich auch der kommenden) Zeit, die sich jenseits der Gewerkschaften entwickelt haben (z.B. Opel/Bochum, Gate Gourmet u.a.). Als dritter Vorschlag steht das Thema »Geld« im Raum: Vom persönlichen Umgang mit Geld über die Frage der Finanzierung von Projekten bis zu Finanz- und Geldpolitik.
In welcher Reihenfolge die Schwerpunkte kommen werden, können wir noch nicht sagen. Nicht zuletzt wird es auch davon abhängig sein, wie viele Artikelvorschläge und Diskussionsbeiträge uns von unseren LeserInnen und AktivistInnen erreichen. Ihr seid aufgefordert, Euch zu melden und die arranca! als Diskussionsforum zu nutzen (und bitte nicht böse sein, wenn unsere Antworten manchmal auf sich warten lassen).
Schreiben ist allerdings nicht die einzige Möglichkeit, sich zu beteiligen. Die arranca! ist wie FelS eine offene Gruppe. Wer Interesse hat, mitzumachen meldet sich einfach über Mail: fels[at]mail.nadir.org oder arranca[at]lists.nadir.org
Für eine linke Strömung!
Für eine interventionistische Linke!
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Erschienen in arranca! #34