Steigende Meere, sinkende Erträge
Wie Klimawandel und Hunger zusammenhängen
Der Klimawandel beherrscht die öffentliche Debatte: Schmelzende Gletscher, heimatlose Eisbären, der Beitrag des Menschen zur Veränderung der globalen Lebensgrundlage. Eine drastische Konsequenz der globalen Erwärmung bleibt jedoch in vielen politischen Kommentaren unterbelichtet: Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Menschen in Entwicklungsländern.
Am 28. März 2008 gab der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen bekannt, dass die Folgen der Erderwärmung das Recht auf Leben in Küstenregionen, kleinen Inselstaaten und anderen Regionen gefährden. Diese Einschätzung beruht auf Untersuchungen des International Panel on Climate Change (IPCC), besser bekannt unter dem Namen Weltklimarat. Demnach werden die Ernten der vom Regen abhängigen Landwirtschaft bis zum Jahr 2020 um bis zu 50 Prozent sinken. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN sind 95 Prozent der Landwirtschaft in Afrika vom Regen abhängig. Es wird klar: Millionen Menschen droht infolge des Klimawandels der Verlust ihrer Ernährungsgrundlage. Das erste UN-Milleniumsziel, die Halbierung des Anteils der Hungernden in der Welt bis 2015, ist nicht zu erreichen.
Die Halbierung des Hungers wäre schon ohne den Klimawandel ein ehrgeiziges Ziel. Sinkende landwirtschaftliche Produktion, eine Zunahme von klimaabhängigen Naturkatastrophen (Wirbelstürme, Überschwemmungen) und Veränderungen beim Anbau der Nahrungsmittel (Beginn, Dauer, Häufigkeit) werden das Nahrungsangebot verringern und damit die weitere Verbreitung chronischen Hungers nach sich ziehen. Eine weitere Folge des Klimawandels: Aufgrund des steigenden Anteils von Kohlenstoff in der Luft wachsen Pflanzen zwar schneller, sind aber weniger proteinreich, so dass der Nährwert sinkt. Soziale Folgen von Nahrungsmittelknappheit nehmen bereits heute zu. In Ägypten, Senegal, Indonesien und vielen anderen Ländern kommt es zu Unruhen, da sich die arme Mehrheit der Bevölkerung ihr Essen nicht mehr leisten kann. Kasachstan hat ein Exportverbot auf Weizen erlassen, damit im Inland das Brot nicht knapp wird, Vietnam verbietet den Export von Reis, Liberia hat generell den Export von Nahrungsmitteln untersagt.
Aufgrund mangelhafter sozioökonomischer Infrastruktur und ihrer geographischen Lage sind Länder wie Mosambik und Bangladesh in besonderer Weise betroffen. Die Böden sind meist nur in der Nähe der Küste oder von Flüssen fruchtbar, deshalb wohnt dort ein Großteil der Bevölkerung. In Mosambik sind circa 80 Prozent der Bevölkerung von der Landwirtschaft abhängig. Diese Menschen leben zum größten Teil in Subsistenz, das heißt, sie können gerade genug Lebensmittel anbauen, um sich selbst und ihre Familien zu ernähren. Und auch dafür reicht es nicht, wenn zu viel oder zu wenig Regen die Ernte beeinträchtigt. In Regionen wie dieser sind die Folgen des Klimawandels besonders zu spüren: Durch den Anstieg des Meeresspiegels könnten zukünftig einige der fruchtbarsten Gebiete in Küstennähe wiederholt oder sogar dauerhaft überschwemmt werden.
Die Bewohner der Küste am Golf von Bengalen in Bangladesh leiden bereits heute unter Überschwemmungen, wenn Wirbelstürme wie SIDR im November 2007 Wasser aus dem Meer auf das Land tragen. Eine der wahrscheinlichsten Folgen des Klimawandels, die Zunahme von Unwettern und Stürmen weltweit, hat hier besonders drastische Auswirkungen. Studien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) aus dem Jahr 2003 führen aus, dass der Anstieg des Meeresspiegels auch den Salzgehalt im Boden ansteigen lässt. Zehntausende Hektar Ackerland würden unbrauchbar. Nachdem SIDR mit den Sunderbarns den besten Schutzschild der Küstenbewohner Bangladeshs weitgehend zerstört hat, sickert jetzt immer mehr Salzwasser in diesen ehemals größten Mangrovenwald der Welt und die dahinter liegenden Reisfelder ein.
Zudem schädigen Unwetter, Überschwemmungen und steigende Meeresspiegel die Infrastruktur. In Mosambik ist besonders die Umgebung der Hafenstadt Beira gefährdet. Beira liegt sehr tief und hat bereits jetzt mit klimabedingten Schäden zu kämpfen. Dies betrifft auch die im Inneren des Kontinents gelegenen Länder: Diese zweitgrößte Stadt Mosambiks ist der wichtigste Seehafen auch für Simbabwe und Malawi und einer der Hauptumschlagplätze für Nahrungsmittelimporte und -exporte an der afrikanischen Küste des Indischen Ozeans.
In Südasien und dem südlichen Afrika werden Regenfälle seltener, was die Böden im Landesinneren austrocknet. Dürren treten daher immer häufiger auf. Fällt dann aber plötzlich viel Regen, können die Böden die Feuchtigkeit nicht schnell genug aufnehmen. Dann überschwemmen die großen Flüsse (Ganges, Brahmaputra und Meghna in Bangladesch, Sambesi in Mosambik) weite Regionen. Dabei wird gleichzeitig die oberste und fruchtbarste Schicht des Bodens abgetragen, wodurch sich die Qualität des Ackerlandes stetig verschlechtert.
Ein Sambesi-Hochwasser in der vergangenen Regenzeit zwang Tausende Menschen zur Flucht, Hunderttausende verloren ihre Lebensgrundlage. Dieses Mal lief die Überschwemmung noch vergleichsweise glimpflich ab, da Hilfsorganisationen wie das Welternährungsprogramm der UN ausreichende Mittel erhielten, um die notleidende Bevölkerung zu unterstützen. Doch wie lange wird das Geld reichen, wenn der Bedarf steigt?
Neben dem Bedarf werden auch die Preise für Nahrungsmittel weiter anziehen. Der Preis von Reis hat in Bangladesh allein im Jahr 2007 um 70 Prozent zugelegt. Hilfsorganisationen müssen bereits heute ihre Zahlen nahezu monatlich anpassen, da sie mit gleichbleibenden Mitteln immer weniger Menschen in Not erreichen können. Ein Grund für die steigenden Preise ist die wachsende Nachfrage nach Getreide als Nahrungsmittel und für die Fleischproduktion. Deshalb müssen bedürftige Menschen auf billigere, nährstoffarme Nahrung ausweichen oder schlicht die Zahl der Mahlzeiten reduzieren. Das betrifft auch viele Bauern: Geschätzte zwei Drittel aller Bauern in Entwicklungsländern müssen Nahrungsmittel zukaufen, da sie nicht genügend Erträge für sich und ihre Familien produzieren können.
Der Wandel des Klimas stellt also vor dem Hintergrund einer stetig wachsenden Weltbevölkerung für die Nahrungsmittelsicherheit ein großes Problem dar. Hier müssen wichtige Aufgaben angegangen werden: Erstens muss sich die landwirtschaftliche Produktion in Regionen verlagern, in denen Nahrungsmittel dauerhaft und zuverlässig angebaut werden können. Bestehende Anbaugebiete müssen mit deutlich verbesserten, ökologisch verträglichen Bewässerungssystemen ausgestattet werden, andere Gebiete müssen besser vor Überschwemmungen geschützt werden. Zweitens muss die Verteilung der Nahrungsmittel viel besser organisiert werden. Wenn dauerhaft Millionen von Subsistenzbauern in Lateinamerika, Afrika und Asien aufgrund ausbleibender Regenfälle und fortschreitender Bodendegradation ihre Lebensgrundlage verlieren, wird humanitäre Hilfe alleine kaum gegen die zu erwartende Not ankommen. Hinzu kommen die Bewohner städtischer Gebiete, die sich ihr Essen aufgrund steigender Preise nicht mehr leisten können. Da Länder wie Bangladesh oder Mosambik bereits heute große Probleme mit der Ernährung, der Bildung und der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung haben, stellt sie der Klimawandel vor nahezu unlösbare Aufgaben.
Tobias Bauer ist Kommunikationswissenschaftler und arbeitet als freier Journalist in Berlin.
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Erschienen in arranca! #38