Editorial

Und vor dir Gespenster

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Stell dir vor, es ist Krise und alle reden vom Wetter. Von einer vorrevolutionären Situation keine Spur. Schneechaos und Streugutmangel haben die meisten Menschen in diesem Winter stärker beschäftigt als Bankenpleiten und das Abservieren des Sozialstaats. Das Gespenst einer besseren Gesellschaft, eines noch chimärenhaften Kollektives, taucht hierzulande noch nicht auf.

Anders bei der Autor_innenschaft der arranca!. Die Frage unseres letzten Call for Papers, wie gerade jetzt eine Veränderung aussehen könnte, die mehr sein möchte als Sozialstaatsromantik oder Luftschloss-Utopie, hat eine wahre Lawine an Artikeln ausgelöst. Es geht also weiter. Vor euch liegt die zweite Ausgabe zum Thema Transformationsstrategien.

Diesmal mischt sich auch FelS mit einem Beitrag in die Debatte ein. Dieser analysiert die Altlasten, an denen Kämpfe für eine andere Gesellschaft nicht vorbeikommen werden, Wege, der gegenwärtigen Zeit überhaupt erst wieder eine emanzipatorische Perspektive auf Zukünftiges abzutrotzen, und die Rolle, die Massenschneeballschlachten dabei spielen.

Manche Debatten aus der letzten Ausgabe wurden fortgeführt: Ob alternative ökonomische Praxen und Lebensformen dem Allesfresser Kapitalismus transformationstechnisch was vom Teller ziehen können? Friederike Habermann (er)findet alternative Lebensformen als Halbinseln des Richtigen im falschen Strom, die bereits die Keime des Neuen in sich tragen und Räume für Experimente bieten. Cornelia Möser und Jette Hausotter antworten auf Kathrin Ganz und Do. Gerbigs Beitrag aus der letzten Ausgabe, dass die ökonomischen Alternativprojekte sich ihr emanzipatorisches Potential innerhalb der herrschenden Gesellschaftsordnung erst einmal erkämpfen müssen. Kirschkaugummis in Kommunen schmecken nun einmal ganz anders als Erdbeerkaugummis in der Kleinfamiliensiedlung. Noch konkreter wird es, wenn Bewohner_innen eines Berliner Hausprojekts erklären, wie es sich mit Gemeinschaftskasse solidarisch leben lässt und warum das zwar den Alltag verschönert, aber zur Gesellschaftsveränderung leider nur bedingt beiträgt.

Entgegen unserer Ankündigung wird die Debatte, wie die Interessen der Opel-Beschäftigten in Zeiten des Klimawandels gewahrt werden können, in diesem Heft noch nicht fortgesetzt. Und auch auf die Liaison von Politik und Rausch im letzten Heft folgt bedauerlicherweise eine Leerstelle, die wir aber in der nächsten Ausgabe füllen wollen.

Dafür sitzt Frank John diesmal nicht in der Badewanne, sondern am Brunnen und räsoniert munter-melancholisch über vergangene und zukünftige Kämpfe. Die Gruppe Soziale Kämpfe leuchtet das Potential einer revolutionären Stadtteilpolitik aus. Mario Candeias setzt die Suche nach den Möglichkeiten revolutionärer Realpolitik fort, während uns die FelS Mayday-AG erklärt, warum sie sich erstmal ins Labor zurückzieht.

Im mythopoetischen Labor nebenan hockt das italienische Autorenkollektiv Luther Blisset und sieht sich an, was die misslungene Revolte in Frankenhausen, die in seinem Roman Q beschrieben wurde, mit Genua zu tun hat.

Thomas Seibert kritisiert die kritischen Kritiker_innen von den Junghegelianern bis zur zeitgenössischen Wertkritik, und die Debatte um das emanzipatorische Potential von Kunst findet ihre Fortsetzung in einem Beitrag über den französischen Maler Camille Pissaro, der mit seiner Arbeit die »Gewohnheiten des Sehens« attackiert hat. Last but not least geht es um die Sichtbarkeit der palästinensischen Lesben und Transgender in Israel im Interview mit einer Aktivistin der Gruppe Aswat.

Ein Riesen-Dank gilt unseren Layouter_innen Melanie Fischbach und Stephan König von genauso.und.anders.

Unser Fazit: Am Arsch noch die Räuber, aber vor uns Gespenster. Ganz sicher!
Viel Spaß beim Lesen wünscht Euch

Eure arranca!

 

P.S.: Es lohnt sich, einen Blick auf unsere neu gestaltete Webseite zu werfen. Wir sind gerade dabei, dort alle seit der Null-Nummer 1993 erschienenen arranca!s zugänglich zu machen.

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Erschienen in arranca! #42

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