Verdammt lang quer

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“Solidarität ist politisch, nicht erst als Solidarität mit Politischen, sondern als Wei-gerung, nur unter dem Büttel des Wertgesetzes, nur unter dem Aspekt von Tauschwert zu handeln. Solidarität ist ihrem Wesen nach herrschaftsfreies Handeln, als solches immer Widerstand gegen den Einfluss der herrschenden Klasse auf die Beziehungen der Menschen zueinander [...]. Im Sinne des Systems sind Leute, deren Handlungen sich nicht an den Erfolgskriterien des Systems orientieren, Ausgeflippte und Trottel oder Versager .[...] Jede politische Arbeit ist auf Solidarität angewiesen.“

Solidarität – allgemein

Der Fremdwörterduden erklärt Solidarität als „Zusammengehörigkeitsgefühl, Kameradschaftsgeist, Übereinstimmung“. Aber wenn Solidarität nur ein Gefühl wäre, wäre sie unreflektiert, vielleicht gar dumpf. Kameradschaftsgeist findet sich bei Soldaten, Bullen und Nazis. Und wäre Solidarität nur Übereinstimmung, wäre sie unkritisch. Linke Solidarität beruht auf gegenseitigem Respekt und einem Verhältnis zwischen Subjekten –, nicht zu Objekten, die artig Danke sagen. Diese politische Solidarität steht gegen die egoistische Konkurrenz aller gegen aller, dagegen, dass nur die Fitten und Reichen gut wegkommen, gegen die Kumpanei von Männerbünden, gegen den Nationalismus, der Flüchtlinge und Nicht-Bio-Deutsche ausschließt und verfolgt, gegen Sozialdarwinismus, der „Behinderten“ ein Lebensrecht in der Gesellschaft abspricht. Alle, die auf Zusammenarbeit und Organisierung angewiesen sind, um überhaupt eine Chance auf Veränderung ihrer Lage zu bekommen, brauchen Solidarität. Die Solidarität mit politischen Gefangenen, die einer unfairen, gesteuerten Justiz und miesen, wenn nicht folterähnlichen Haftbedingungen ausgesetzt sind, spielte immer eine wichtige Rolle, da das, was sich als Verfolgung einer „politischen Straftat“ geriert, tatsächlich jedes vertrauensvolle solidarische Leben, Arbeiten und Kämpfen außerhalb der staatlich gesetzten Grenzen des Protestes beenden und das so eigennützige wie ängstliche bürgerliche Individuum wieder herstellen soll.

Solidarität – konkret

Im September 2011 wurden Sonja Suder (79) und Christian Gauger (70) nach 33 Jahren im Exil von Frankreich an Deutschland ausgeliefert, Christian in einem Krankenwagen liegend. Obwohl er nach einem Herzstillstand seit 1997 auf ständige Betreuung angewiesen ist, wurde er erst nach über einem Monat von der Haft verschont. Sonja sitzt im Knast Frankfurt-Preungesheim und dürfte die älteste Untersuchungsgefangene Europas sein. Die Staatsanwaltschaft will ihnen 2012 den Prozess machen.
Sonja und Christian werden zwei Anti-Atom-Anschläge der Stadtguerillagruppe Revolutionäre Zellen (RZ) vorgeworfen: Der vom August 1977 richtete sich gegen den deutschen Konzern MAN wegen dessen Hilfe bei der Herstellung von Atombomben des Apartheidregimes in Südafrika. Der zweite richtete sich gegen die KSB AG, den damals weltweit größten Pumpenhersteller für AKWs. Außerdem sollen Sonja und Christian im Mai 1978 an einem Brandanschlag auf das Heidelberger Schloss beteiligt gewesen sein, der den Widerspruch zwischen der schicken Touristenfassade Heidelbergs und der profitorientierten Abrisspolitik ganzer Stadtviertel beleuchten sollte. Bei diesen Vorwürfen stützt sich die Anklage auf angebliche Aussagen von Hermann F. Auf seinen Knien explodierte im Sommer 1978 ein Sprengsatz – angeblich für eine RZ-Aktion bestimmt. Hermann verlor seine Augen, beide Beine und erlitt schwere Verbrennungen. Unter starken Schmerz- und Beruhigungsmitteln wurde er in einem Krankenhaus, später einer Polizeikaserne, völlig isoliert. Seine einzigen „Bezugspersonen“ waren Staatsschutzbullen und Staatsanwälte. Hermann blieb 18 Wochen lang in dieser Situation absoluter Hilflosigkeit. Nachdem er der Isolation entkommen war, wies er alle „Aussagen“ zurück.
Im Herbst 1978, inmitten der staatlichen Jagd auf Linksradikale, bemerkten Sonja und Christian, dass sie observiert werden, und verreisten mit unbekanntem Ziel. 22 Jahre nach ihrem Verschwinden, im Jahr 2000, wurden sie in Paris festgenommen. Inzwischen, 1999, war dem Kronzeugen Hans Joachim Klein nach 24 Jahren eingefallen, Sonja hätte 1975 Waffen für die Aktion eines palästinensisch-deutschen Kommandos gegen die OPEC-Konferenz der Erölminister nach Wien gebracht. Das Landgericht Frankfurt hatte diese Aussage Kleins bereits in einem anderen Verfahren als unglaubwürdig abgewiesen, aber im Haftbefehl und in der Anklage gegen Sonja wurde und wird sie weiterhin aufgeführt. Dennoch lehnte ein französisches Gericht im Jahr 2000 den deutschen Auslieferungsantrag ab, die beiden konnten gegen eine Kaution von ein paar hundert Euro in Frankreich bleiben. 2007 beantragte die deutsche Justiz auf Anregung des Pariser BKA-Residenten einen nun juristisch möglichen europäischen Haftbefehl. 2010 stimmte die französische Justiz der Auslieferung zu.
Der Prozess gegen sie wird nur deshalb so hartnäckig betrieben, weil sie sich geweigert haben, mit der Staatsschutzjustiz zusammenzu-
arbeiten: Das Angebot einer Bewährungsstrafe bei freiwilliger Rückkehr nach Deutschland und Ablegen eines Geständnisses lehnten sie ab.

Wie bei allen politischen Anklagen soll legitimer Widerstand kriminalisiert werden. Ein Verbrechen war aber die Aufrüstung eines Rassistenregimes und nicht der militante Widerstand dagegen, ein Verbrechen war und ist die Zerstörung lebenswerter und bezahl-barer Stadtteile, nicht der Protest gegen die Gentrifizierung, und ein Verbrechen ist das Atomprogramm, nicht der Anti-AKW-Widerstand. Während die BRD Atomexporte bis heute unterstützt und kein Konzern wegen Unterstützung des Apartheidregimes belangt wurde, soll Sonja und Christian wegen Aktionen gegen diese Verbrechen der Prozess gemacht werden.
Der Lebensweg der beiden zeigt, dass ein Leben ohne bürgerliche Karriere und Anpassung an das herrschende System möglich war und ist. „68er“ wie sie wurden nicht zu Grünen Opportunisten oder machtgierigen Politikern. Also: Solidarität mit Sonja und Christian!

www.verdammtlangquer.org

PS: Das Zitat über diesem Artikel ist übrigens aus einem RAF-Text von 1972.

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Erschienen in arranca! #45

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