Editorial

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Das Schnabeltier, das Schnabeltier
vollzieht den Schritt vom Ich zum Wir.
Es spricht nicht mehr nur noch von sich,
es sagt nicht mehr: „Dies Bier will ich!“
Es sagt: „Dies Bier,
das wollen wir!“.
Wir wollen es, das Schnabeltier.

(Robert Gernhart) 

 

Liebe Leser*innen und von Organisierung Betroffene,

wir sind fusioniert. Als wir anfingen, an dieser Ausgabe zu arbeiten, waren wir noch Teil von FelS – Für eine linke Strömung. Inzwischen schreiben und denken wir als Berliner Ortsgruppe der Interventionistischen Linken (IL Berlin).

Um dieses Zusammenwachsen zu reflektieren, haben wir im vorliegenden Heft Beiträge versammelt, die sich aus verschiedensten Perspektiven mit politischer Organisierung auseinandersetzen. Das ist ein relativ zeitloses Thema innerhalb der radikalen Linken – für manche geradezu abschreckend, müffelt es doch nach grauer Vereinsmeierei und den ewig-gleichen Grabenkämpfen über allgemeingültige Lösungen und Patentrezepte. Doch es zeigt sich, dass die Facetten, Probleme und Fragen politischer Organisierung  höchst lebendig, bunt und spannend sind, wenn wir sie uns nur im konkreten Hier und Jetzt stellen.

Ein Hauptaugenmerk dieser Ausgabe liegt auf dem erwähnten Zusammenschluss verschiedener postautonomer Gruppen der radikalen Linken  zur Interventionistischen Linken (IL). Diese Gruppen haben in den letzten zehn Jahren in bundesweiten Bündnissen wie Dresden nazifrei, Castor schottern oder den G8-Protesten in Heiligendamm erfolgreich gemeinsam Politik gemacht. Der Wunsch nach einer stärkeren, verbindlicheren Kooperation im politischen Alltag führte und führt zu einem Fusionsprozess. Dieser hat in den letzten drei Jahren immer mehr an Fahrt aufgenommen und in Berlin seinen vorläufigen Höhepunkt in der Verschmelzung von Avanti, FelS und Teilen der ALB gefunden.

Die bisherige gemeinsame Verständigung über den Organisierungsprozess im deutschssprachigen Raum wurde im Oktober 2014 in einem „Zwischenstandspapier“ veröffentlicht. Einige der Beiträge beziehen sich darauf und folgen der im Papier geäußerten Einladung zur Debatte.

Doch auch wenn Politgruppen eine Welt für sich sind, ist die Welt deshalb noch lange keine Politgruppe. In the bigger picture gewinnt das Thema seine Aktualität durch die jüngsten Entwicklungen in Griechenland und Spanien, quasi den Epizentren der emanzipatorischen europäischen Krisenproteste, wo linke Parteien neueren Typs die Bühne der parlamentarischen Demokratie betreten haben. Die horizontalen Kräfte der Platzbesetzungen und basisdemokratischen Initiativen vor Ort haben sich transformiert, institutionalisiert oder um vertikalere Strukturen erweitert. Über ihr Potential und die Bewertung der Situation lässt sich wunderbar streiten. Relativ unbestritten ist dagegen, dass Syriza und Podemos linken Positionen eine Sichtbarkeit und Popularität verliehen haben, von der vor einigen Jahren kaum jemand zu träumen gewagt hätte.

Inmitten all dieser rasanten Veränderungen – und um Sinn und Zweck von Organisierung nicht aus den Augen zu verlieren – wollen wir mit dieser Ausgabe einen Moment innehalten und grundsätzlichen Fragen, konkreten Berichten, begeisterten und entgeisterten Stimmen Raum geben. Ohne uns von Zweifeln oder Sorgen lähmen zu lassen und ohne Angst vor Dissens und Kontroverse, fragen wir voran. 

Die Beiträge in diesem Heft zeigen deutlich, wie facettenreich das Thema Organisierung ist.  Dennoch fanden wir es spannend zu sehen, dass neben den vielen Tiermetaphern einige Themenstränge in den verschiedenen Beiträgen immer wieder auftauchen:

Für einige Autor*innen steht die Frage im Vordergrund, wie und inwiefern linksradikale Organisierung eine Antwort auf die Bedürfnisse und Lebensbedingungen derer geben soll, die mitmachen oder mitmachen wollen. Was habe ich eigentlich davon organisiert zu sein?

Andere Autor*innen beschäftigen sich damit, wie sich linke Organisierung in real stattfindenden sozialen Auseinandersetzungen verhalten soll. Dabei geht es darum, vom hohen linksradikalen Pferd hinab- in Lernprozesse einzusteigen und dabei die Perspektive einer radikalen gesellschaftlichen Veränderung zu stärken.

Schließlich thematisieren einige Texte den Umgang mit Unterschiedlichkeiten innerhalb der eigenen Gruppe. Erfahrungen, Positionen, oftmals nicht sichtbare strukturelle Machtverhältnisse und Ausschlüsse prägen die politische Praxis. Sie sichtbar zu machen und zu bearbeiten ist notwendiger Teil von Organisierungsprozessen.

Auch wir als Zeitschriftenprojekt innerhalb einer sich verändernden Gruppe müssen unsere Rolle nun überdenken. Ein Beitrag aus den Reihen der Redaktion nimmt dies zum Anlass und fragt nach dem Zusammenhang von Zeitung und Organisation. Was ist ein Organ? Sind wir ein Organ, und wenn ja, wie viele?

In diesem ersten Teil unserer geplanten Doppelausgabe zu diesem Schwerpunkt haben wir unterschiedliche Beiträge zu ebendiesen Fragen und darüber hinaus versammelt. Für das nachfolgende Heft warten wir daher auch gespannt auf Antworten und Beiträge eurerseits!

Bevor wir jetzt viel Spaß beim Lesen wünschen, bedanken wir uns herzlich bei den Autor*innen und Saskia Rudies für die Illustrationen und Mirjana für das Layout! 

Eure arranca!-Redaktion

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Erschienen in arranca! #48