Editorial

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Liebe Leser*innen,

Form follows function: Organisierung hat sich den historischen Aufgaben zu stellen.

Die derzeitigen Flucht- und Migrationsbewegungen sowie das Scheitern von Syriza in Griechenland fordern eine praktische Überprüfung der politischen Konzepte. Vor diesem Hintergrund komplettieren wir mit der arranca!-Ausgabe #49 die Doppelausgabe zur Organisierungsfrage. In unserer Einladung zum Mitmachen hatten wir festgehalten, dass es darum geht, vom Stand der aktuellen Kämpfe aus zu denken. Wir hatten euch deshalb gefragt, wie eine politische Praxis aussieht, die unsereKritik gesellschaftlich wirksam werden lässt. Auch diesmal haben wir verschiedene Antworten bekommen:

Da ist die Erfahrung einer IL-Aktivistin aus der Unterstützung von Geflüchteten in Lübeck. Mit viel Power und gemeinsamen Grundsätzen wurden dort spürbare Erfolge erzielt und die eigene Organisation ein Stück weit transformiert, ohne vorher groß Konzepte zu schmieden. Ein Plädoyer für eine populare Strategie kommt aus Berlin – die dort geforderte experimentelle Praxis mag (wenn's gut läuft) ähnlich aussehen wie die aus Lübeck, die damit verbundene, explizit geforderte Theoriebildung setzt die Hürden allerdings höher. Demgegenüber kritisiert der Zweite Mai den in der IL oft anzutreffenden Organisations-Overkill und plädiert für eine kontinuierliche Basisorganisierung im Stadtteil. In eine ähnliche Richtung weist der Bericht von BASTA! aus ihrer Erwerbslosen-Selbst organisierung in Berlin. Ganz anders argumentiert der Text von Tina und ihr Trupp über Organisierungserfahrungen in Ostdeutschland, der die Bedeutung des gesamtgesellschaftlichen Anspruchs der IL betont.

Auch international sind die Einschätzungen unterschiedlich: Andreas Karitzis, ehemaliges Mitglied des Zentralkomitees und des politischen Sekretariats von Syriza, fordert den Aufbau von autonomen Netzwerken, um der Macht der Kredit geber*innen gesellschaftliche Gegenmacht entgegensetzen zu können. 

Aus Berlin wird hingegen im Rahmen von Blockupy für neue symbolische Aktionen im «Herzen der Bestie» argumentiert. Zum Projekt Podemos gibt es in der spanischen Linken viele kritische Stimmen, und in den USA verbinden sich bei der Organisierung an der Uni Ansätze des lateinamerikanischen Anarchismus mit Leninschen Konzepten. Aus Berlin dokumentieren wir ein Gespräch über gemeinsame Organisierungsansätze von Geflüchteten mit Nicht-Geflüchteten, und aus Graz wird von Erfahrungen rund um das Refugee Protest Camp berichtet. Eine Bestandsaufnahme zu Lebensweisen und Care-Arbeit mit Ergebnissen aus 300 Gesprächen macht die queerfeministische Perspektive auf Organisierung stark. Ähnliche Themen, aber andere Schwerpunkte setzt ein Gespräch über alternative Familien und Beziehungsmodelle. In einer Collage beantworten uns einige Genoss*innen die Frage, in welchem Verhältnis ihre akademische Lohnarbeit zu ihrem politischen Aktivismus steht.

Ein Fazit dieser verschiedenen Debattenstränge ist schwer zu ziehen – für uns zeigt sich jedenfalls die Wichtigkeit einer produktiven Verbindung von Theorie und Praxis, bei der theoretische Positionen in der alltäglichen Auseinandersetzung auf ihre Brauchbarkeit überprüft werden. Wir betrachten die Diskussion um die politische Organisierung deshalb nicht als beendet. In der Tat hat sie Kontinuität. Wir freuen uns aber, mit zwei sehr fruchtbaren Ausgaben zum Thema und zum Gelingen des Organisierungsprozesses der Interventionistischen Linken beigetragen zu haben.

Eine Fortsetzung wird die Debatte kurz nach dem Erscheinen dieser Ausgabe auf einer Strategiekonferenz der IL finden. Manche wollen dort über kommende Aufstände sprechen, andere über die Rolle der IL in einer gesellschaftlichen Linken – zusammen ergibt sich eine spannende Mischung. Beiträge von der Konferenz findet ihr demnächst online.

Ganz herzlich bedanken wir uns bei den diesmaligen Gestalterinnen Hanna und Lotte für den Satz und das wunderbare Layout – das so nie zustande gekommen wäre, gäbe es nicht die Genoss*innen von 123comics. Sie protokollierten mittels Graphic Recording unsere Podiumsdiskussion in der Vierten Welt in Berlin anlässlich der Veröffentlichung der ersten Organisierungs- Ausgabe #48 im September 2015. Die Resultate findet ihr häppchenweise in dieser Ausgabe und komplett, mit Audiomitschnitt.

Auch wir müssen kontinuierlich an unseren Organisierungsfragen arbeiten und an dieser Stelle eingestehen, dass wir diesmal erst viel zu spät auf ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis im Heft geachtet haben. In den kommenden Ausgaben wollen wir weniger Artikel von cis-männlichen Autoren bringen. 

Zum Schluss ein Blick in die Zukunft: Die nächste Ausgabe der arranca! erscheint im Herbst 2016. Im Fokus steht das Verhältnis von Kultur und Politik – eine Einladung zur Mitarbeit (Call for Participation) mit einer genaueren Darstellung von Konzept und Ideen findet ihr demnächst auf unserer Homepage.

Doch jetzt erst einmal, viel Spaß beim Lesen!

Liebe Leser*innen,

 

 

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Erschienen in arranca! #49

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