Kaffe & Revolution
Erfahrungen eines linken Organisierungsversuchs unter Studierenden
Florian Frey
aktiv bei la:iz FU Berlin
Lange galten die Universitäten als linke Hochburgen und Studierende grundsätzlich als links. Das ist heute anders: Linke Wissenschaftler*innen wurden weitgehend aus dem akademischen Apparat verdrängt, und politisches Bewusstsein und linke Einstellungen unter Studierenden sowie die Bereitschaft zum Engagement haben stark abgenommen. Die Schwäche linker Politik an den Universitäten steht im Gegensatz zu deren zunehmender Bedeutung: Die Studierendenzahl ist sowohl absolut (von 1,8 Mio. im Jahr 2000 auf 2,8 Mio. im Jahr 2015) als auch relativ enorm gestiegen. Der Anteil der Studierenden innerhalb eines Jahrgangs stieg von 33,3 Prozent (2000) auf 58 Prozent (2015). Die Studierenden sind viel weniger die Elite von morgen. Ihr wachsender Anteil an den Lohnabhängigen und die zunehmende Prekarisierung zeigen eine Proletarisierung der Akademiker*innen auf – und andersherum eine Akademisierung des Proletariats.
Trotz Entpolitisierung haben Universitäten immer noch Potential für linke Politik, was sich eindrucksvoll in den Bildungsstreiks ab 2009 zeigte. Dies war eine der größten und, mit der Verhinderung und Ächtung von Studiengebühren, auch eine der erfolgreichsten sozialen Bewegung der letzten Jahre. Dieser Text soll zeigen, wie das existierende Potential für linke Politik unter Studierenden auch unabhängig von der stark an Konjunkturen gebundenen Hochschulpolitik von links aktiviert werden kann. Ausgangspunkt sind knapp zwei Jahre Organisierungserfahrungen im Rahmen der linken Unigruppe la:iz an der Freien Universität Berlin (FU).
Theorie und Praxis
Der Aufbau der Gruppe la:iz basierte auf drei Prämissen:
(1) Trotz Entpolitisierung der Studierenden gibt es weiterhin Interesse an linker Politik.
(2) Dieses Interesse stößt auf zu wenig Angebote zum Mitmachen. Insbesondere an der FU gab es ein mangelhaftes Angebot hinsichtlich universitätsweiter, themenübergreifender, nicht subkulturell oder ideologisch abgeschotteter linker Politik.
(3) Der beste Moment um neue Mitstreiter*innen zu gewinnen, ist der Beginn des Wintersemesters, da dann viele Studierende neu an die Uni kommen und die biografischen Umbrüche (Auszug, neue Stadt, neue Freund*innen) oft für eine tendenzielle Öffnung für andere Lebensstile und auch für die Bereitschaft, sich zu organisieren, sorgen.
Die Gruppe la:iz wurde von mehreren Aktivist*innen mit gemeinsamen Organisierungserfahrungen gegründet. Ausgangspunkt war eine Veranstaltung, auf der sich ein handlungsfähiger Kern von acht Personen konstituierte. In der Folge wurde vor allem die Kritische Orientierungswoche an der FU (Korfu) zum Wintersemesterstart organisiert. Diese alternativen Einführungstage sind wichtig, da man bei Studienbeginn am besten neue Mitstreiter*innen gewinnen kann. Mit einem umfangreichen Programm aus Vorträgen, Workshops, Stadtführungen, einem dauerhaften Couchcafé im Mensafoyer, Demobesuchen sowie der obligatorischen Semesterauftaktparty versuchen wir, Erstsemester*innen (und allen anderen Studis) politischen Aktivismus und linke Ideen nahezubringen. Ein während der Korfu breit beworbenes offenes Treffen und viele persönliche Gespräche ermöglichen einen relativ einfachen Übergang zum dauerhafteren Politikmachen im Rahmen der Unigruppe. Dies funktioniert gut, sodass auf den ersten Treffen etwa 50 Interessierte mindestens einmal vorbeischauen. Viele kommen nicht wieder, aber es bildet sich ein fester Kern heraus. Zur Konsolidierung der Gruppe ist eine Klausurtagung wichtig: Einerseits sollen durch die Auseinandersetzung mit politischen Themen Projektideen für die nächsten Monate entwickelt werden, andererseits dient sie der Stiftung sozialen Zusammenhalts.
Die Gruppenpraxis besteht aus dem Dreiklang Bildung, Praxis und Soziales. In der Regel wird sich jede Woche mit inhaltlichen Themen auseinander gesetzt. Während in anderen politischen Zusammenhängen oft inhaltliche Debatten hinter dem drängenden Alltagsgeschäft zurückbleiben, werden diese hier explizit eingefordert. Dieses Bedürfnis nach politischer Selbstbildung ist eine Reaktion auf die Marginalisierung kritischer Lehrinhalte.
Auf der praktischen Ebene wird versucht, politische Konflikte an der Universität zu thematisieren und dort auszutragen. Zu Beginn gab es teils die Einschätzung, dass vor allem Themen relevant sind, die die Eigeninteressen der Studierenden betreffen, also Studien-, Wohn- und Finanzierungsfragen. Am erfolgreichsten war aber eine Kampagne zum Thema Flucht und Migration, konkret: für den Hochschulzugang von Geflüchteten sowie die Bereitstellung leer stehender Unigebäude als Unterkunft. Gesamtgesellschaftliche Polarisierung überträgt sich also auf die politische Stimmung an der Uni. Dazu gibt es natürlich die gemeinsame Teilnahme an Demos, Aktionen etc. und die leider wenig umgesetzte Idee, zeitnah mit Veranstaltungen an der Uni von links auf aktuelle Themen zu reagieren und damit auch Studis jenseits der linken Szene zu erreichen. Sowohl nach außen als auch nach innen ist wichtig, dass es ein pluralistisches Verständnis von links gibt, ohne ideologische Scheuklappen.
Mit dem Sozialen als dritte Säule ist das meist informell und jenseits der Gruppentreffen stattfindende gemeinsame Heiß- und Kaltgetränketrinken, Feierngehen und Zeitverbringen gemeint. Auch wenn eine Politgruppe mehr als ein Freundeskreis mit politischem Anstrich sein soll, ist eine sympathisch-freundschaftliche Atmosphäre von außerordentlicher Bedeutung. Um neue Genoss*innen zu gewinnen, muss man bereit sein, sich auf diese als Persönlichkeiten einzulassen und einen empathischen Bezug zu entwickeln. Dieser Aspekt lässt sich kaum als abstrakte oder technische Aufgabe klären und erfordert es als „Altkader“, seine Komfortzone zu verlassen. Alte Debatten müssen erneut geführt werden, Treffen laufen nicht nach eingespielten Rhythmen ab und bestimmte Dinge, die in der radikalen Linken doch eigentlich schon allen klar sind, sind es hier nicht unbedingt. Dieses Erfordernis eines aktiven und offenen Zugehens auf unbekannte Menschen teils ohne politische Erfahrung stellt sich auch und gerade während der Korfu.
La:iz besteht an der FU neben den selbstorganisierten, oft linken Fachschaftsinitiativen (FSI). Diese bieten angesichts vieler hochschulpolitischer Aufgaben wenig Raum für allgemeinpolitische Themen. Der uniweite Ansatz von la:iz soll ein Angebot für Studis ohne das Glück einer (linken) FSI an ihrem Institut sein. Das Verhältnis ist aber kooperativ, und viele beteiligen sich über Asta und FSI an der studentischen Selbstverwaltung.
Kontinuität und Fluktuation
Das Ergebnis von knapp zwei Jahren Organisierungsbemühungen ist eine Gruppe mit etwa 25 Aktiven, verteilt über die gesamte Uni, allerdings mit Schwerpunkt auf Geistes- und Sozialwissenschaften, Tendenz (hoffentlich) steigend. Es werden regelmäßig Veranstaltungen und Aktionen an der Universität organisiert, und über die Verbindung zu anderen politischen Gruppen wird auch die Politik in anderen Feldern in organisierter Form unterstützt.
Trotz einer bis jetzt sehr kontinuierlichen Gruppenpraxis ergibt sich aber das Problem einer hohen Fluktuation. Nach 6 bis 18 Monaten verlassen viele die Gruppe. Im Idealfall organisieren sie sich woanders, im schlechtesten Fall war linkes Engagement nur vorübergehend. Wissenstransfer und Verantwortungsübergabe bleiben also eine permanente Herausforderung. Eine weitere liegt im Erfolg selbst begründet. Ab einer bestimmten Größe werden Treffen dysfunktional. Der Versuch mit dauerhaften Arbeitsgruppen funktionierte nicht, da diese sich nicht selbst getragen haben. Bei weiterem Wachstum wird sich so die oft zähe Frage nach anderen Organisationsstrukturen stellen.
Als Fazit lässt sich festhalten, dass sich politische Handlungsfähigkeit über einen strategischen Zugang zu Studierenden aufbauen lässt. Wichtig ist, ein attraktives und offenes Angebot für politisches Engagement zu schaffen, das auf die Bedürfnisse von linken Studierenden eingeht. Der Kern davon ist der Dreiklang aus Bildung, Praxis und Sozialem und ein angenehmer Umgang in der Gruppe. Es gibt viele Menschen mit Interesse an linker Politik, man muss sie nur einladen.
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Erschienen in arranca! #49
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