Anders erzählen
Das Kollektiv Enmedio aus Barcelona im Interview
Da ihnen die Verbindungen zwischen Kunst und politischer Aktion fehlten, gründeten Campa, Leo, Mario und Oriana zusammen mit weiteren Personen das Kollektiv Enmedio (Barcelona). Enmedio möchte das Transformationspotential von Bildern und Erzählungen erkunden. Neben vielen anderen Aktionen hat das Kollektiv die Statue von Christopher Columbus in Barcelona gehackt und eine Bildkampagne für die Demonstrationen der PAH (Plattform der durch Hypotheken Betroffenen) erstellt.
Amador Fdez-Savater: Ein physischer Ort in Barcelona, ein Künstler*innenkollektiv, ein Aktionsbündnis…? Was genau ist Enmedio?
Leo: Der Name sagt viel («En medio» heißt «inmitten» auf Spanisch). Enmedio ist durch einen Bruch entstanden. Wir haben alle Berufe, in denen wir Bilder herstellen - Designer*innen, Filmemacher*innen, Künstler*innen, etc. Wir sind aus unseren üblichen Arbeitsbereichen ausgestiegen, weil wir in den für uns vorgesehenen Arbeitsplätzen keinen Sinn gefunden haben: Kunstakademien, Werbeagenturen, Produktionsfirmen …. Also sind wir gegangen und haben uns entschieden, einen neuen Ort für uns zu gründen, an dem wir machen können, was wir wollen. Ein etwas unbequemer, schwieriger Ort im Niemandsland.
Campa: Kunstzentren sind nicht politisch (sie politisieren höchstens!) und politische Projekte sind nicht besonders interessiert an Ästhetik. Wir wollten einen dritten Ort schaffen, inmitten von Kunst und Politik.
Mario: Die Arbeit mit Bildern birgt eine Macht, die wir weiter erkunden wollen, weil es unsere Tätigkeit ist; es ist das, worin wir gut sind, es ist unser Weg mit der Welt zu interagieren. Aber wir müssen unsere Arbeit an andere Orte bringen und sie mit anderen Dingen vermischen. Enmedio bezieht sich auf diesen unbekannten Ort, von dem aus wir arbeiten wollen, der etwas zu tun hat mit Fotografie und Video, aber nicht allein nur das ist, auch wenn er es ist – verstehst du?
Oriana: Wir haben dieses Feld für zehn oder zwölf Jahre ergründet. Einige von uns waren vorher in Kollektiven wie etwa Las Agencias, Yomango, V de Vivienda etc. Einige waren aktiv in Hausbesetzer*innen-, Anti-Globalisierungs- oder Lateinamerika-Bewegungen wie dem Zapatismus. Andere wiederum haben keinerlei politischen Hintergrund oder haben mit den jetzigen Bewegungen begonnen, wie 15-M, etc. Dieser Mix aus verschiedenen kreativen und politischen Hintergründen erlaubt es uns, unsere Rollen abzulegen, wenn wir miteinander arbeiten und führt zu unvorhersehbaren Effekten. Das macht vielleicht die Stärke unserer Arbeit aus.
¿Was ist der Sinn von politischer Intervention im Bereich des Symbolischen in Zeiten wie diesen, inmitten einer Krise, die Menschen ganz real in ihrer materiellen Existenz betrifft (Wohnen, Löhne, und so weiter)?
Campa: Der Kapitalismus bringt uns diese Armut, die Zwangsräumungen und dieses Leiden, und er greift dabei auf Bilder und Narrative zurück. Er ist ein großer Geschichtenerzähler, der eine starke Faszination auslöst. Viele Menschen haben Hypotheken aufgenommen, weil sie die Erzählung geglaubt haben, die uns die Banken und die Werbung täglich durch Narrative und Bilder erzählten. Werbung kreiert Bilder von einer ersehnten Welt, und dieses Bild erzeugt dann wirtschaftliche Paradigmen und soziale Verhältnisse.
Leo: Es ist nicht so, als hätten wir Fiktion auf der einen Seite und die Realität auf der anderen: Fiktion ist der Kern der Realität. Alles, von einer Demonstration (eine Theateraktion auf der Straße) bis zur Formulierung einer politischen Rede, ist Fiktion. Was zählt sind die Effekte, die eine Fiktion auslösen - ob wir uns die Fiktion wieder aneignen können oder nicht, ob wir sie glauben oder nicht, ob sie uns ermächtigt oder uns ohnmächtig macht. Die Basis für sozialen Wandel ist kulturell: Die Geschichten, die unserem Leben und der Welt, in der wir leben, einen Sinn geben.
Mario: Deshalb arbeiten wir auf zwei Arten und Weisen. Auf der einen Seite durchbrechen wir die dominanten Narrative – die offizielle Deutung der Welt – durch Guerilla-Taktiken der Kommunikation: Poster, Slogans oder Botschaften. Auf der anderen Seite tragen wir zur autonomen Produktion von Bildern bei. Nicht indem wir existierende Narrative dekonstruieren, sondern indem wir alternative schaffen. Das ist die wichtigste und schwierigste Aufgabe: Sich selbst präsentieren, unsere eigene Geschichte erzählen, unsere eigene Deutung dessen, was passiert. Eine Erzählung, in der wir leben können.
¿Lasst uns das genauer besprechen, indem wir uns eure Aktionen anschauen. Wenn ihr wollt, können wir mit der Party im Arbeitsamt, der INEM-Party, anfangen, die ihr 2009 organisiert habt.
Oriana: Das Interessanteste an dieser Aktion war wohl der Zeitpunkt: Die Krise bricht aus, aber nichts passiert auf den Straßen. Die Menschen haben Angst und sind gelähmt. Also haben wir uns entschlossen, einen Ort zu finden, der diese Angst kondensiert und repräsentiert. Wir haben uns für das Arbeitsamt entschieden. Und was gibt es Besseres, als die Angst mit einer Party zu bekämpfen!
Campa: Enmedio funktioniert über Selbst-Repräsentation. Anders gesagt: Es war keine Party für die Arbeitslosen. Auch wir sind arbeitslos, wir leben prekär, etc. Wir erteilen den Menschen keine Lektionen; wir beginnen bei uns selbst und laden jede*n dazu ein, mitzumachen. In dem Video siehst du, wie die Menschen lächeln, mitmachen, klatschen und uns sagen «Ihr habt meinen Tag besser gemacht». Wir gehen auf die Menschen zu, indem wir unsere eigenen Sorgen, Probleme und Unzufriedenheit als Grundlage nehmen.
Leo: Das Video hat eine große Anzahl an Klicks erhalten, als wir es online gestellt haben. Ich glaube, wir haben ein gemeinsames Gefühl berührt: Wenn du mit etwas anfängst, was dich selbst betrifft, kannst du mit anderen kommunizieren. Die intimsten Dinge sind auch die gewöhnlichsten.
Mario: Wir versuchen, unsere Aktionen so zu gestalten, dass sie inspirierend und einladend wirken. Wir konzipieren und gestalten sie wie Samen, die zerstreut werden und woanders keimen können. Nach der 15-M-Mobilisierung, also nach dem Auftakt der Indignado-Proteste am 15. Mai 2011, gab es eine Party in einem Arbeitsamt auf den Kanarischen Inseln und andere ähnliche Aktionen. Wir legen einen Rahmen fest (ästhetisch, politisch, theoretisch), und dann setzen wir auf Partizipation und Aneignung.
¿Was war Discongreso?
Mario: Als Enmedio haben wir uns der 25-S-Mobilisierung angeschlossen, also der Mobilisierung am 25. September 2012 zur Umzingelung des Parlaments: Occupy Congress. Dieser Aufruf stimmte mit dem überein, was wir intern diskutierten. Wir fanden, dass die 15-M-Bewegungen in eine wiederkehrende Trägheit verfallen waren und dass 25-S eine Möglichkeit sein könnte, diese zu durchbrechen. Das Problem war, dass der Aktionsaufruf sehr geschlossen, exklusiv und stark kodifiziert war. Unsere Aufgabe bestand darin, die Kommunikation offener und inkludierender zu gestalten. Wir haben Poster und eine grafische Kampagne erstellt. Und wir haben einen Vorschlag gemacht, den Ort auf eine andere Art und Weise zu besetzen, ein alternatives Narrativ zu generieren, den Aktionsaufruf zu vereinnahmen und ihn attraktiver und offener zu gestalten.
Oriana: Das Design unserer Kampagne war ganz simpel. Wir haben Occupy Congress durch Kongress umzingeln ersetzt, weil wir die Mobilisierung nicht als einen Versuch der Machtübernahme gesehen haben, sondern der Entmachtung. Wir haben noch etwas hinzugefügt: «Am 25-S werden wir den Kongress umzingeln, bis sie zurücktreten. Punkt.» Das Poster bestand aus vielen farbigen Punkten, die die Diversität der Gesellschaft repräsentierten und um einen zentralen Punkt herum angeordnet waren.
Campa: Diese Punkte wurden Fotos. Wir haben einen Fotoaufruf organisiert. Wir haben alle Menschen dazu eingeladen, sich mit einem Schild fotografieren zu lassen, auf dem geschrieben steht, warum sie an der Aktion 25-S teilnehmen. Wir haben diesen Aufruf in den Straßen verbreitet und über soziale Netzwerke, um die Leute zu ermuntern, ihr Foto mit ihrem Grund zu machen. Die Idee dahinter war, Diversität zu schaffen und ein Event, das ursprünglich exklusiv war, zu öffnen.
Leo: Und diese Punkte sind schlussendlich fliegende Frisbees geworden, auf denen die Menschen ihre Forderungen aufschrieben. Wir haben die Punkte auf den Kongress über die Polizeiabsperrung, die am 25. September vor Ort war, fliegen lassen. Es gab keinen Weg, in den Kongress hineinzukommen und gehört zu werden, also haben wir es über die Luft gemacht.
¿Hat eure Arbeit zwischen Bildern und Sozialem, Kunst und Politik einen bestimmten Bezug oder ist sie durch etwas beeinflusst?
Oriana: Zapatismus, weil ich ihn selbst gelebt habe und wegen dem, wofür er steht: Nach der Frivolität und der Verdrossenheit der 1990er Jahre war es ein neuer Weg, Politik zu machen und zu kommunizieren. Die Bedeutung von Wörtern und Symbolen in den härtesten Lebensverhältnissen. Sich auf die realen Lebenswelten der Menschen zu beziehen, mit denen du arbeitest und die du erreichen möchtest. Das Zentrale der Prozesse selbst und nicht nur der Ergebnisse.
Mario: Popmusik. Ich sehe meine Arbeit vor allem aus der Perspektive des Pop, der populären Kultur. Der Wunsch mit der ganzen Gesellschaft zu kommunizieren, Menschen durch Emotionen und Wünsche zu erreichen, erfreuliche Darstellungen zu generieren, in denen du dich selbst widerspiegeln kannst, die dich dazu bringen zu partizipieren, die dich bewegen - physisch und geistig.
Leo: Die Yippies, eine gegenkulturelle Gruppe im Amerika der 1960er Jahre, die die Hippiebewegung politisch radikalisieren wollte. Yippies sahen sozialen Wandel als einen Kampf um Bilder. In ihren Aktivitäten konzentrierten sie sich vor allem darauf, Mythen, Gerüchte und Fiktionen zu kreieren, die die dominanten Narrative durchbrechen und neue autonome Bilder einfließen lassen sollten. In einem sehr anderen Kontext denke ich wie sie.
Campa: In meinem Fall, da Zapatismus schon genannt wurde, würde ich sagen Punk. Nicht so sehr auf musikalischer oder ästhetischer Ebene, sondern aufgrund der Einstellung: die Unverschämtheit, die Unmittelbarkeit, die Nicht-Konformität, die Do-it-yourself-Mentalität, die Intensität eines Drei-Minuten-Songs. Ich denke, dass sich das sehr gut mit dem verbindet, was wir bei Enmedio machen.
arranca!: Wie hat sich Eure Arbeitsweise als Enmedio über die Jahre verändert?
Leo und Anja: Seit dem wir vor vielen Jahren die Reise als Enmedio begonnen haben, hat sich unsere Arbeitsweise nicht verändert, wir definieren sie als kollektive Produktion. Das heißt, jede und jeder trägt das in unser Projekt, was im Rahmen ihrer und seiner Möglichkeiten machbar ist, und was er und sie am besten kann - das vermischt sich dann mit dem, was die anderen beitragen. So machen wir es mit allem, von den Interventionen im öffentlichen Raum bis hin zu den Texten. Man könnte sagen, dass Enmedio ein Kollektiv ist, in dem das Einzigartige oder das Spezifische der Mitglieder in Kontakt mit den anderen tritt und sich vermischt bis etwas Gemeinsames entsteht, ohne dass die Einzigartigkeit der einzelnen verloren geht. In Gemeinschaft gebrachte Einzigartigkeit könnte eine passende Umschreibung für unseren Ansatz sein. Diese Arbeitsweise wird natürlich parallel vom technologischen Fortschritt in den Kommunikationsmedien, beispielsweise Social Media, begleitet und hier verändern sich dann auch die Möglichkeiten der Werkzeuge, der Kommunikationsformen und Interventionsformate.
¿Welche Schlussfolgerungen habt ihr aus euren Erfahrungen gezogen?
Leo und Anja: Unsere Erfahrungen zeigen uns, dass ein Bild nicht einfach nur ein Bild ist, das für sich steht. Die Bedeutung eines Bildes verweist auf sein «Vorher» und «Nachher». In anderen Worten, es bezieht sich auf die Fragen «Wie wurde es realisiert?» und «Wofür?». In diesen beiden Bereichen, also dem Vorraum eines Bildes und dem Raum in dem danach etwas passiert, gilt es, kreative Energie einzusetzen. Eine Energie, die unserer Meinung nach sowohl die Hervorbringenden als auch die Empfänger*innen gleichermaßen einbezieht. Unsere Arbeit hat uns gelehrt, dass je näher diese beiden Gruppen zueinander in Kontakt treten, umso wahrscheinlicher ein Projekt Begegnungen eröffnet, die sozialgesellschaftlich effektiv und zugleich auch am schönsten sind.
¿Was habt Ihr selbst dadurch gelernt?
Leo und Anja: Wir wissen jetzt, dass Kategorien wie «politische Kunst», «aktivistische Kunst» oder Kategorien in ähnlichem Stil nur dazu dienen, unsere Praktiken der institutionellen Logik der Kunstwelt anzupassen, also schlussendlich dem Markt. Wir haben gelernt, dieses Feld zu verlassen, davor zu flüchten, dass Namen und Bezeichnungen die Erfahrungen, die wir machen, begrenzen. Wir haben gelernt, uns wertzuschätzen und unsere Arbeit von einem Ort aus zu beurteilen, der von uns selbst gebildet wurde, von unseren Bedürfnissen und Wünschen aus, fernab von Bewertungs-Maßstäben der Universitäten, Institutionen oder dem Betriebssystem Kunst. Wir haben gelernt, die Bereiche in denen wir leben zu bewohnen und Wege dorthin zu konstruieren, wo vorher keine waren, wir durchschreiten das Dazwischen von allem, überall und nirgends zugleich. Enmedio.
¿Woran arbeitet ihr gerade? Und was kommt als nächstes?
Leo und Anja: Diesen September eröffnen wir unseren neuen Raum in Gràcia, einem Stadtteil von Barcelona. Es wird ein Ort, an dem wir Aktivitäten wie Workshops, Kurse und Präsentationen planen. Ein Ort, an dem wir, mit der Kunst als Möglichkeit sozial zu intervenieren, experimentieren. Eines der aktuellen Projekte, dem wir momentan den Titel Fence-World geben, handelt von kreativen Interventionen an Grenzen und Mauern auf der ganzen Welt. Im Aufbau befindet sich das Enmedio-Lab, ein internationales Kunstlaboratorium zu Aktivismus und kritischem Denken.
Interview von Amador Fdez-Savater für Diario.es vom 07. Juni 2013, übersetzt von der arranca!-Redaktion. Die letzten vier Fragen gestellt von der arranca!-Redaktion 2016, beantwortet von Leo und Anja.
Zum weiterlesen
enmedio.info
Trackback URL für diesen Artikel
Erschienen in arranca! #50
Kommentare
Kommentar hinzufügen