taz und Radio 100
Interview mit Anton von Ex-Radio 100 und Imma, Ex-taz
Radio 100 ging am 1. März 1987 zum ersten Mal auf Sendung. Das Radio wurde zur Stimme für fast alle irgendwie oppositionellen Kräfte in der Stadt von den Immigrantinnen über Alternative zur popkulturellen Linken, von Kulturfreaks, Lesben und Schwulen bishin zur linksradikalen "Szene". Gleichzeitig begonnen die internen Auseinandersetzungen um die politische Linie des Radios, und die Geldprobleme. Nach mehreren harten Finanzkrisen war das Radio 1991 praktisch pleite. Durch eine Soli-Kampagne und einen neuen Finanzierungsplan konnte der Zusammenbruch jedoch abgewendet werden, bis in einem —eigentlich schon gar nicht mehr kritischen Augenblick- der Geschäftsführer Timme Konkurs anmeldete. Dahinter stand die Differenz Timmes zu dem seiner Meinung nach zu linken Konzept des Senders. Wenige Wochen danach erhielt das französische Unternehmen NRJ für einen neuen Sender „Energy" die Frequenz. Seitdem ist Berlin weitgehend radiofrei, Hitparaden beherrschen den Äther.
Die taz dagegen überlebte zwar, aber änderte deutlich ihr Gesicht. Die Zeitung, die als Basisprojekt für eine links-grün-alternative Sammelbewegung entstand, geriet schnell an die Grenzen des Betroffenenjournalismus. Die basisorientierten Strukturen - lokale Unterstützergruppen sollten noch dem anfänglichen Konzept die Berichterstattung aus den Städten machen und als politisches Korrektiv dienen - funktionierten nicht. Berichte waren schlecht geschrieben, kamen zu spät oder gar nicht. Aufgrund dieser Erfahrungen mit der politischen Basis, aber auch als Ausdruck politischer Veränderungen strebte eine sich institutionalisierende Redaktion nach rechts. 1984 schließlich verbannte das Zeitungsprojekt konsequent-linke Inhalte weitgehend aus ihren Seiten. Zwar war das Blatt nie so eindeutig links, wie es im Rückblick erscheint - die soziale Frage besaß für die taz beispielsweise nie soviel Bedeutung wie die eher mittelstandsorientierten sozialen Bewegungen -, aber ein Rechtsruck ist dennoch unverkennbar.
Anton war von 1987 bis zum Konkurs 1991 wesentlich am Berliner Alternativsender Radio 100 beteiligt. Imma gehörte von 1981 bis 1993 auf unterschiedlichsten Posten - von der Redaktion bis zur Aboabteilung - zur taz. Beide waren in ihren Medienprojekten nicht einfach nur Mitarbeiterinnen, sondern traten oft als linke „Wortführerinnen" auf. Umso überraschter waren wir zu sehen, wie unscharf die Position der beiden hinsichtlich der Entwicklung ihrer Projekte war. Vieles im Gespräch blieb allgemein. Entwicklungen wurden geradezu naturgesetzlich erklärt. Andere Punkte waren widersprüchlich.
Das Gespräch erscheint uns ein Ausdruck davon zu sein, daß zwar Abgrenzungen gegenüber der taz stattgefunden haben, daß es aber kaum Analysen gibt, warum sich linke Massenmedienprojekte bisher in der BRD nicht halten konnten. Ohne behaupten zu wollen, daß wir praktische Antworten darauf hätten, war es schon einigermaßen erstaunlich, wie wenig konkrete Schlußfolgerungen aus den Erfahrungen bisher gezogen werden konnten. Selbst die (ehemaligen) Macherinnen können nicht so richtig erklären, was eigentlich passiert ist. Um realisierbare Konsequenz für zukünftige Medienarbeit drückt man sich herum.
arranca! (a!): Laßt uns erst einmal mit einem Rückblick anfangen. Was waren die Sternstunden bzw. die schwärzesten Momente Eurer Projekte?
ANTON: Da fällt mir nichts ein...
a!: Wieso, hatte Radio 100 keine Sternstunden?
ANTON: Na ja, es gab so ein paar Tage, wo man das Gefühl hatte, etwas in Bewegung gesetzt zu haben. Wenn das Radio überhaupt eine Wirkung hatte, dann in Augenblicken, in denen es darum ging, einen bestimmten Informationsstand herzustellen. Aber auch dann hat sich das auf den Teil von Leuten beschränkt, die sich schon dazugehörig gefühlt haben. Es ist selten darüber hinaus gegangen. Ich finde, daß selbst die taz da noch mehr geleistet hat als Radio 100.
a!: Wenn ich mich an den Golfkrieg erinnere, glaube ich schon, daß die Anti-Kriegsproteste in Berlin ohne Radio 100 so nicht verlaufen wären. Das war, trotz eines bitteren Anlasses, eine Art „Sternstunde".
ANTON: Ich kann das nicht so genau beurteilen, weil unsere Außenwahrnehmung gering war. Die Macherinnen von solchen Projekten igeln sich in der Regel ja ein. Sie haben ihren Apparat zu bewältigen und kriegen nichts mehr mit. Selbst wenn es ein feedback gibt, sind die Leute so genervt, daß sie keine offenen Ohren mehr dafür haben. I: Bei der taz erinnere ich mich an zwei Sachen. Das eine war 1981 die Brokdorf- Demo. Da lief viel über die taz. Sowohl die Herrschenden als auch die Szene haben damals in die taz geschaut. Das andere Beispiel, das jetzt viel kürzer zurückliegt, ist die Rostock-Demo. Die haben wir praktisch über die taz organisiert. Das hat uns einiges zu denken gegeben. Wir waren ziemlich erstaunt, daß es auch in einem solchen Apparat noch Kräfte gibt, die einen Multiplikatoreffekt ermöglichen. Das war zwar keine Sternstunde der taz, aber es hat sich gezeigt, wie wichtig es ist, kein Terrain preiszugeben.
a!: Der schwärzeste Augenblick?...
I: Da müßte ich noch mal unterscheiden zwischen der Funktion, die die taz als Meinungsmacherin gespielt hat und der inneren Struktur der taz als Projekt. Die Veränderungen in dem Projekt taz sind scheibchenweise gelaufen, von daher läßt sich eine „schwärzeste Stunde" gar nicht so genau benennen. Aber dieser Abbau der Selbstverwaltungsstrukturen, das war schon harter Stoff.
Was das inhaltliche betrifft, passiert es mir oft, daß ich heim Aufschlagen der Zeitung denke, „Mein Gott, was steht denn da". Aber darunter mein allerschlimmstes Erlebnis zu nennen, das kann ich nicht. Das müßtet Ihr als Leser eigentlich auch besser wissen.
a!: Gab es dann für dich überhaupt einen Punkt, wo du sagen würdest, dort ist das Projekt gescheitert?
I: Ich finde die Frage nach dem Scheitern von Projekten falsch. Denn alle Projekte „scheitern", sie laufen sich fest, vergreisen. Die Frage ist für mich eher, ob Projekte in der Zeit, in der sie lebendig waren —und da kann jeder einen unterschiedlichen Zeitpunkt ansetzen, wo das geendet hat— etwas bewegt haben, und was sie an Strukturen und Maßstäben hinterlassen haben. Und in dieser Hinsicht sind sowohl die taz als auch Radio 100 als Projekte erfolgreich gewesen.
a!: Gab es bei Radio 100 einen Moment, wo das Projekt gekippt ist?
ANTON: Natürlich, viel stärker als bei der taz. Bei Radio 100 war es geradezu putschartig. Eine Diskussionsebene existierte kaum, Intrigen- und Machtkämpfe entschieden die Entwicklung.
Ich kann das bis heute nicht vollständig nachvollziehen: eine Person, damit meine ich jetzt gar nicht den berühmten Geschäftsführer, sondern das >Zünglein an der Waage< unter den Gesellschaftern hat den Zusammenbruch eingeleitet. Und ich kann eigentlich bis heute nicht verstehen, warum er das gemacht hat. Davon gehabt hat er auf jeden Fall nichts: das Projekt ist kaputt gegangen. Der Konflikt in Radio 100 war also deutlich verschärfter als in der taz. Es gab einen Teil des Radios, der sich stark an der Entwicklung der taz orientiert hat, mit den Redakteuren von dort zusammensaß, und - das sollte man nicht vergessen- ja auch organisatorisch mit der Zeitung verbunden war. Die taz war ja Gesellschafter in der Radio- GmbH. Diese Leute wollten über die taz noch hinaus.
Witzigerweise waren wir mit unserem Konzept immer in der Mehrheit, aber wir konnten das organisatorisch und administrativ nicht umsetzen. Wir konnten mit unserem 33% Anteil an der GmbH alles verhindern, aber nichts durchsetzen. Im Nachhinein glaube ich, daß wir, die wir Programm gemacht haben, die anderen, die Anti-Programm gemacht haben, einfach vor die Tür hätten setzen sollen. Das war Doofheit.
I: In gewisser Weise hat die Auseinandersetzung bei Radio 100 die Konflikte der taz weitergeführt. Deswegen war sie von Anfang an auch schärfer. Daran zeigt sich ein Grundproblem des linken, widerständigen Teils solcher Projekte. Daß wir nämlich in der Regel keine Ahnung vom Handwerkszeug, vom know-how haben. Diejenigen, die administrative Erfahrungen besitzen, neigen meistens zur anderen, der angepaßten Seite.
a!: Würdet Ihr sagen, daß die Projekte daran gescheitert sind, daß sie zu heterogen waren? Oder ward Ihr dem internen Machtkampf ganz einfach nicht gewachsen?
ANTON: Meine Kritik hei Radio 100 ist nicht seine Heterogenität, sondern daß der Laden mit der Zeit inflationär und beliebig wurde. Dahinter steht ein Geldproblem. Wenn du keine Kohle hast, brauchst du immer mehr Leute, die bereit sind, kostenlos irgendwas zu machen. Durch diesen Riesenkreis von Radiomachern gab es in Ausnahmen Highlights, im Normalfall allerdings platten Blödsinn.
Das mit dem Machtkampf habe ich ja schon gesagt. Wir hatten vor den Machtkämpfen zu viel Angst. Wenn eine Macht zu ergreifen ist, dann ergreift sie sowieso jemand. Deswegen sollten wir die ersten sein.
I: Das sehe ich anders. Mir leuchtet zwar ein, daß man die Konsequenz ziehen kann, aber ich würde sie nicht ziehen. Ich finde, wir müßten klar haben, was die Grenzen des Vertretbaren für uns sind, und innerhalb dieses Rahmens stärker ausreizen. Also z.B. nicht immer Angst davor haben, was die Szene über uns erzählt. Aber Machtpolitik, d.h. Intrigenpolitik, finde ich falsch. Was läuft, muß offen laufen und sich über ein Mehrheitsvotum durchsetzen. Wenn das nicht möglich ist, dann würde ich lieber eine Sache in den Sand setzen, und an einem anderen Punkt neu anfangen. Meiner Ansicht nach stellt sich allerdings vor allem das Problem, was wir inhaltlich wollen. Ich überlege manchmal, ob es nicht Zeit wäre für eine neue linke Tageszeitung, und da denke ich, daß— unabhängig vom Geld und anderen Bedingungen— die Aufgabenstellung einfach nicht mehr so klar ist wie vor 15 Jahren. Da hatten wir doch einen ziemlich einfachen Begriff von Gegenöffentlichkeit und —Information.
Ich finde es sehr schwierig, sich von der normalen Meinungsverwurstung unabhängig zu machen, ohne andererseits so etwas wie „Betroffenheitskult" zu betreiben. Dadurch daß ich den einfachen Mann oder die einfache Frau auf der Straße befrage, kriege ich nicht unbedingt die Wahrheit zu hören. Deswegen wäre meine erste Frage eigentlich auch gewesen, was Ihr unter >alternativen Medien< überhaupt versteht. Alternativ zu was?
a!: Wir benützen den Begriff der >alternativen Medien< sehr offen. Wir können einen Medien-Mainstream der Systemkonformität beobachten, und alles, was sich von links oppositionell dazu verhält, wäre demnach „alternativ". Das sagt natürlich noch nichts über die Qualität aus.
Aber ich habe bei der Entwicklung von taz und Radio 100 noch eine ganz andere Frage, nämlich das Konzept Basisjournalismus allgemein. Ich halte das längst nicht für so positiv, wie das meistens vertreten wird. Ich will nicht unbedingt der Professionalität das Wort reden, - weil Professionalität auch bedeuten kann, sich an eine vorherrschende Berufsauffassung anzupassen -, sondern ich meine journalistisches Können. Man muß Informationen und Meinungen vermitteln können, man muß eine Vorstellung davon haben, wie Kommunikation in der Gesellschaft abläuft, man muß dabei gleichzeitig im Kopf haben, an wen man sich richtet, wessen Sprache man spricht usw. Das sind Sachen, die lassen sich nicht erlernen, wenn man — wie die taz anfangs — Spezialisierungen grundsätzlich ablehnt und vertritt, daß alle alles können müssen. Es ist doch unsinnig, wenn immer dann, wenn einer oder eine gerade was gelernt hat, er oder sie herausrotieren soll...
I: Ja, das macht keinen Sinn. Ich würde den Leuten eine vernünftige handwerkliche Ausbildung angedeihen und sich auf das spezialisieren lassen, wo sie von ihrem inhaltlichen und politischen Interesse herkommen. Aber ich würde sie dann auch zurückschicken, damit sie ein halbes Jahr da arbeiten, worüber sie normalerweise schreiben.
Du merkst es in der taz immer, wenn Leute von ihrem Schreibtisch irgendwohin gehen, wo sie ihre Themen direkt erleben. Meistens sind es Auslandsjournalisten, die dann anfangen, ganz andere Artikel zu schreiben.
Daß die Betroffenen selber schreiben, funktioniert nicht. Einmal, weil sie die journalistische Kompetenz meistens nicht haben, und zum anderen weil sie betriebsblind sind. Man vertritt logischerweise seine Interessen, wenn man direkt irgendwo drinnen steckt.
Die Leute müßten also die Kompetenz und einen gewissen Abstand haben. Worum es dann geht, ist die Verbindung herzustellen, damit sie nicht ins gegenteilige Extrem, in diese journalistische Fremdheit verfallen.
a!: Siehst du das auch so, Anton?
ANTON: Ja, auf jeden Fall. Bei Radios ist Professionalität oder Können noch wichtiger: du kannst nicht einfach wie hei einer Zeitung die Seite umschlagen, wenn ein Beitrag unerträglich ist.
Das mit der journalistischen Fremdheit als anderem Extrem ist auch richtig. Du bist als Journalist schnell daran gewöhnt, deine Informationen ständig nur von den gleichen Institutionen zu beziehen. Das ist auch das Bild, das die taz heute abgibt. Nach meiner Erfahrung wäre die beste Lösung - auch wenn es ein bißchen zynisch klingt - nur mit einem kleinen Kreis von erfahrenen Leuten, die das Funktionieren gewährleisten, zu arbeiten. Der größere Teil von Leuten, die inhaltlich schreiben, sollte sich dagegen relativ häufig abwechseln.
I: Das hat auch mit einem Problem zu tun, das bei der taz sichtbar wird, nämlich mit der Vergreisung. Das Projekt bleibt an Leute gebunden und die werden älter. Ich hätte es richtig gefunden, wenn sich die taz verjüngt hätte, d.h. ganz einfach die Alten müssen abtreten, die Klappe halten oder die Tickermeldungen durchschauen. Aber die Zeitung hat genau das, nämlich andere Meinung zuzulassen, nicht gemacht.
Man merkt der Zeitung diesen Alterungsprozeß an: die Leute sind vielleicht einerseits differenzierter geworden, aber zum anderen sind sie desillusionierter. Es ist kein Raum mehr für Leute, die so ankommen, wie die taz ursprünglich war: oft mit oberflächlichen Schnellschüssen, aber eben auch mit neuen Gedanken.
a!: Aber diese Vergreisung, die Ihr beschrieben habt, ließe sich ja auch anders beseitigen, als diese Leute hinauszuwerfen. Z.B. indem sie einfach wieder Verbindungen mit politischer Arbeit entwickeln...
I: Das müssen die aber wollen.
a!: Du meinst, die meisten wollen das gar nicht mehr?
I: Nein, weil es erfordern würde, sich auf Widersprüche einzulassen. Man muß sich Kommentare zum x-ten Mal anhören, die man falsch findet, die einem völlig gegen den Strich gehen.
ANTON: Wahrscheinlich müßte man Projekte immer wieder neugründen, wenn sie sich überholt haben. Das Problem ist schließlich nicht nur eines der Redakteure, sondern auch eines der Leser- oder Hörerschaft. Die altert genauso.
a!: Ich glaube nicht, daß diese Vergreisung so zwangsläufig ist, wie Ihr es beschrieben habt. Mir geht es eher um ein anderes goldenes Kalb des >Basisjournalismus<, daß nämlich möglichst viel autonom ablaufen soll. Ich glaube, daß -wenn man sich die letzten Monate von Radio 100 anschaut- klar wird, wie sehr koordinierende Gremien notwendig sind. Damals konnte man um 15 Uhr ein ziemlich unpolitisches Jugendradio hören, um 17 Uhr die Hofberichterstattung der AL aus den Bezirksparlamenten und um 19 Uhr schließlich die für eine Szene gemachten Politprogramme. Kontraste sind ja nun bestimmt nichts negatives, aber wenn es nur noch um eine beliebige Aneinanderreihung geht, dann läuft irgendwas falsch. Meine Frage ist: hat den alternativen Medien eine Chefredaktion gefehlt?
I: Was ist da dein Problem?...
a!: Mein Problem ist, daß ich es nicht für einen Wert an sich halte wenn verschiedenste Programme miteinander vermischt werden, ohne daß es eine Auseinandersetzung zwischen ihnen gibt.
ANTON: Das stimmt in mancher Hinsicht schon. Aber wenn du dich auf diese Argumentation wirklich einläßt, dann bist du ganz schnell bei den durchgenormten Kommerzradios, die nur für ihre Werbekundschaft spielen.
a!: Natürlich muß Widerstand einen Regenbogencharakter haben. Aber das Problem bei Radio 100 war -für Radio Dreyeckland in Freiburg kannst du es genauso sagen-, daß Programme nur noch von einzelnen gemacht und kaum noch abgesprochen wurden, daß über die Beiträge keine größeren Diskussionen stattfanden, daß sie zum Teil hundsmiserabel gemacht und für immer weniger Leute im Radio die Kräfteverhältnisse durchschaubar waren usw.
I: Klar, wenn die Situation völlig festgefahren ist, und die unterschiedlichen Gruppen nur noch auf Besitzstandwahrung aus sind, dann ist das Scheiße. In der taz gab es 1983/84 auch eine Wagenburgmentalität, wo sich die verschiedenen Redaktionen abgeschottet haben, um keine Konflikte führen zu müssen. Dadurch konnten die Unterschiede überhaupt nicht mehr fruchtbar gemacht werden.
a!: Aber um sie fruchtbar machen zu können, brauchst du ja koordinierende Gremien, wo Auseinandersetzungen überhaupt stattfinden...
I: Na ja....
ANTON: Das ist jetzt aber auch die spannende Frage: welche Instanzen gibt man sich. Mit diesen Instanzen entstehen ja auch die sich entfremdenden Spezialisten, die Machtauseinandersetzungen beginnen usw.
a!: Das hat mit der Frage nichts zu tun. Was Ihr die ganze Zeit diskutiert, ist die fehlende Erneuerung. Unsere Frage ist, wie man solche Projekte strukturieren kann.
ANTON: Bei Radio 100 hatte es diese Diskussionen gegeben. Wir haben uns lange Gedanken über die möglichen Strukturen gemacht, haben ausgeklügelt, wie die unterschiedlichen beteiligten Gruppen wo und wie Auseinandersetzungen miteinander führen. Und trotzdem hat das letztendlich nur dazu geführt, daß die Redaktionen sich irgendwann - von den Konflikten abgenervt - isoliert haben. Das Strukturproblem halte ich einfach für ungelöst.
Ich glaube, daß die eingetretenen Entwicklungen mit Organisation nicht viel zu tun haben, sondern in gewisser Weise ein zwangsläufiger Prozeß waren. Das einzige, was wir machen können, ist uns darauf einzustellen und uns verschiedene Lösungen zu überlegen, z.B. ein Projekt zeitlich zu begrenzen. Vielleicht wäre es richtig, von vorne herein zu sagen „in 3 Jahren ist Schluß."
a!: Ich finde, daß ihr es Euch mit der These von den unvermeidbaren Entwicklungen zu einfach macht. Eure Behauptung, eine bestimmte Vergreisung sei unumgänglich und das beste sei, Projekte zeitlich zu begrenzen, überzeugt mich nicht. Im Gegenteil, ich glaube, wir müßten nicht noch schnellebiger, sondern vor allem kontinuierlicher werden. Das heißt nicht, sich inhaltlich zu versteifen.
ANTON: Natürlich gibt es auch alte Leute und Projekte, die flexibel bleiben. Bei der taz und Radio 100 hat die Versteifung vielleicht auch ganz einfach mit dem Sektierertum auf beiden Seiten zu tun gehabt, das ja in Berlin ganz besonders ausgeprägt ist. Die komplette Unfähigkeit, Pluralismus zuzulassen, die ständigen Versuche, die jeweils andere Fraktion herauszukantern, hat auch dazu geführt, daß man für Gedanken von außerhalb der eigenen Fraktion kaum noch offen war. Auch das bedeutet Vergreisung.
a!: Damit widersprichst du genau dem, was du anfangs gesagt hast. Während du meintest, ihr hättet zu viele Skrupel mit der anderen Fraktion gehabt, vertrittst du jetzt, ihr hättet Euch zu wenig auf Diskussionen eingelassen.
ANTON: Ich glaube, daß wir die Grenzen nicht klar bestimmt haben. Diskussionen sollten geführt werden und man sollte sich auch auf Unterschiede einlassen, aber man sollte auf der anderen Seite nicht den Fehler begehen, getroffene Entscheidungen aus Skrupeln nicht zu realisieren.
a!: Das verstehe ich trotzdem noch nicht: waren die Unterschiede jetzt eine Belastung für das Radio oder waren sie eine Bereicherung?
ANTON: Im Inneren bedeuteten sie permanente Kämpfe, d.h. sie waren eine Belastung, nach außen dagegen stellten sie sich wahrscheinlich als Bereicherung dar.
a!: Angenommen wir würden uns in absehbarer Zukunft wieder darum bemühen, ein Massenmedium zu machen. An was für ein Publikum müßte es sich richten? Wir haben vor dem Interview noch einmal in den Archiven gewühlt und den Eindruck bekommen, daß die taz eigentlich von Anfang an ziemlich abgeschlossen war. Das Projekt richtete sich an die aufkommende grüne Bewegung und an die linke Szene, die ja damals noch eng miteinander verstrickt waren. Bei Radio 100 erschien uns das Konzept schon sehr viel überzeugender. Das war ein Sender, der in vieler Hinsicht offen war, gerade eben auch durch die Heterogenität des Programms. Das Problem, das sich daraus ergibt, haben wir ja schon beschrieben. Also was meint Ihr: an wen sollte sich ein solches Projekt richten?
ANTON: Ich würde immer für ein Konzept wie das von Radio 100 plädieren, das Offenheit zuläßt. Ein Medium, das einen Wissensstand voraussetzt und damit das Publikum schon mal filtert, ist machtlos. Beim Radio hast du den grundsätzlichen Vorteil, daß Musik viel unvoreingenommener anspricht als Texte.
Auf der anderen Seite mußt du dein Medium aber immer auch so machen, daß du selbst dahinterstehst. Du kannst nicht ein Programm machen, das du selber doof findest, nur weil du dir denkst, daß es irgendeiner Zielgruppe gefallen würde. Das kriegen die Leute mit und lehnen es ab. Das Publikum ist deshalb gar nicht so sehr eine Sache der Konzepte, sondern mehr eines der Leute, die ein Radio oder eine Zeitung in die Hand nehmen.
a!: Aber es hat natürlich schon auch etwas mit der Außendarstellung zu tun. Wenn ich mich mit unterschiedlichen Leuten unterhalte, drücke ich mich anders aus. Das hat mit Verstellung nicht unbedingt etwas zu tun. Es ist zunächst nicht mehr als ein Eingehen auf die andere Person. Und da stellt sich natürlich schon die Frage „wie sage ich etwas, damit mich wer versteht".
ANTON: Die Hörerschaft im Radio definiert sich als allererstes immer über die Musik. Damit grenzt du mehr oder weniger eindeutig ein. Die politischen Inhalte sind dann meistens nur zweitrangig, was so weit geht, daß die Hörerschaft abnimmt, um so mehr Beiträge vorkommen.
Nur weil alle halbe Stunde ein progressiver Wortbeitrag gesendet wird, setzt du politisch nichts in Bewegung. Das geht den Leuten ins eine Ohr hinein und aus dem anderen wieder hinaus. Inhalte sind eigentlich nur in bestimmten, zugespitzten Situationen wirklich wichtig. Normalerweise achtet die überwiegende Mehrheit der Hörerinnen nicht darauf, wie und ob du etwas sagst. Deswegen ist nicht der Inhalt zentral, sondern vor allem das Milieu, das sich aus ganz unterschiedlichen Sachen zusammensetzt: aus den informell transportierten Werten, die auch über die Musik vermittelt werden, über die Persönlichkeiten, über die Initiativen, die Radios sonst allgemein tragen. D.h. es ergibt sich ein Gesamtbild, eine Art Lebensgefühl.
a!: Aber genau da wäre doch die Frage, wie weit man dieses Lebensgefühl ausweitet. Bei Radio Egin gibt es z.B. ein zwei-stündiges Programm, das heißt „Triki's not dead". Triki Trixa ist die baskische Volksmusik. Wäre es nicht richtig, auch hier andere Musikrichtungen mit in einen linken Sender hereinzunehmen, um eben auch andere Bevölkerungsgruppen nicht von vorneherein auszuschließen?
ANTON: Volksmusik nicht, seichter Pop auf jeden Fall, würde ich sagen.
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Erschienen in arranca! #2
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