Deutsche Küche
Warum Fleischkonsum das globale Klima und den Hunger in der Welt anheizt
Der Grund waren nicht die Hungeraufstände in Tahiti und nicht der für Geringverdienende schmerzhafte Anstieg der Lebensmittelpreise in Deutschland. Es war weder die zunehmende Flächenkonkurrenz zwischen Nahrungs- und Energiepflanzen, noch dass deutlich wurde, wie mit „Bio“-Ethanol der Regenwald samt Orang-Utan in den Tank gespritzt wird. Nein, allein an der Sorge des ADAC um drei Millionen gefährdete Autos scheiterte das Gesetz zur Beimischungspflicht für Agrosprit in Deutschland. Der politische Wille, die weltweite Ernährungslage zu verbessern, ist weiterhin nicht in Sicht, obwohl die Notwendigkeit immer erdrückender wird. Laut Weltbank können inzwischen in über 30 Staaten die Ärmsten kein Geld mehr für Nahrung aufbringen. Und das dicke Ende kommt noch: Das landwirtschaftliche System zur Befriedigung der Ernährungsgewohnheiten der Industrieländer zehrt an der Substanz unseres Planeten in einer Totalität, die fortschreitend die natürlichen Lebensgrundlagen zerstört. Dabei böte der Ernährungssektor ein großes Potenzial, Umweltprobleme zu tragbaren Kosten zu lösen.Zu den wenig sinnvollen Lösungsvorschlägen zählt die Forderung, die landwirtschaftliche Produktion weiter auszudehnen. Bereits jetzt besteht über ein Viertel der Landmasse der Erde aus Viehweiden, etwa ein Drittel aller globalen Anbauflächen sind Futterpflanzen vorbehalten. Nutzvieh besetzt damit Flächen, auf denen einst wild lebende Arten existierten. So hinterlässt insbesondere der hohe Stellenwert, den Fleisch und Tierprodukte auf unserer Speisekarte haben, einen riesigen ökologischen Fußabdruck. Laut Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) ist Tierhaltung der Hauptgrund für die drängendsten Umweltprobleme: Klimawandel, fortschreitender Verlust fruchtbaren Landes, Luft- und Wasserverschmutzung, Verlust der Artenvielfalt.
Lachgas und Melkjahre
Da mensch beim Sparen von Energie vermutlich zuerst an die elektrische denkt, bleibt Ernährung bisher als wesentlicher Faktor in der Klimadebatte ebenso außen vor wie die ökologischen Auswirkungen unserer Essgewohnheiten in der Ernährungsdiskussion. In Deutschland verursacht dieses Bedürfnisfeld 20 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs. Weltweit gehen laut Greenpeace mehr Treibhausgasemissionen auf das Konto der Ernährung als durch den Transportsektor entstehen. Die Menschen holzen Wälder ab, legen Moorgebiete trocken, wandeln Grün- in Ackerland um und zerstören damit natürliche Kohlenstoffsenken, was das Klima weiter belastet.
Die Herstellung von Tierprodukten ist deutlich energieaufwendiger als die Erzeugung von Obst und Gemüse, denn die Umsetzung pflanzlicher Futtermittel ist sehr ineffizient. Durch sogenannte „Veredelungsverluste“ gehen zwischen 65 und 90 Prozent der im Futter enthaltenen Nahrungsenergie verloren. Besonders hohe CO2-Emissionen verursachen Futtermittel, für deren Anbau sehr energieintensiv hergestellte, mineralische Düngemittel eingesetzt werden. Daneben entweichen in der Landwirtschaft Methan und Lachgas in die Luft. Das klingt lustig, ist aber zwanzig bis dreihundert Mal klimaschädlicher als CO2.
Tatsächlich ist der Konsum von Milchprodukten in Deutschland gefährlicher für das Klima als der von Fleisch. Allgemein gilt: Je stärker ein Lebensmittel verarbeitet wird, desto mehr belastet es das Klima. Käse, Sahne oder Wurst sind also klimaschädlicher als Milch, Eier und rohes Fleisch. Angesichts der Hungersituation auf der Welt bedeutet es eine verantwortungslose Verschwendung von Ressourcen, Futtermittel für Kühe zu importieren, die landwirtschaftlich nur zwei Jahre lang genutzt, das heißt gemolken werden können.
Zwischen Saumagen und Daimler – jetzt wird’s eng!
Festhalten lässt sich, dass es auf die Energieeffizienz ankommt: Der Tofubratling verhält sich zum Schnitzel wie die Energiesparlampe zur konventionellen Glühbirne. 40 Prozent der in Deutschland pro Kopf und Tag verzehrten Kalorien stammen jedoch aus tierischen Lebensmitteln – in Südeuropa sind es (noch) weniger als ein Viertel. Und der Fleischhunger wird immer größer: Der Verzehr in Deutschland stieg im letzten Jahr von 86,5 auf 88 kg pro Person und Jahr an.
Mit steigenden Ölpreisen wird die Produktion von Treibstoffen aus Zuckerrohr, Soja, Mais oder Weizen immer lukrativer – und damit die Anbaufläche für Nahrungsmittel immer kleiner. Dieses Konkurrenzverhältnis führt dazu, dass die Nahrungsmittelpreise steigen. Davon sind besonders die Menschen in armen Ländern betroffen. Laut FAO leben 80 Prozent von ihnen in ländlichen Gebieten, größtenteils als Kleinbauern und -bäuerinnen. Sie tragen mit zunehmender Ernährungsunsicherheit, Pestizidvergiftungen und massenhaftem Arbeitsplatzverlust die sozialen und ökologischen Kosten unserer industrialisierten Landwirtschaft. Denn obwohl in den letzten zwanzig Jahren der Einsatz von chemischen Mitteln gestiegen ist, nimmt die Getreideproduktion immer weiter ab. Ein Paradoxon: Es gäbe zwar genügend Nahrung für alle, aber 850 Millionen Menschen hungern. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) fordert deshalb einen Importstopp für Ethanol und Agrodiesel, stärkere Investitionen in den öffentlichen Verkehr und sparsamere Fahrzeuge. Zusätzlich muss der Viehbestand in Europa um ein Viertel reduziert werden, um die Flächenkonkurrenz zwischen Nahrungs- und Energiepflanzen zu entschärfen.
Ökolandbau auf dem Boden der Tatsachen
Der Ökolandbau könnte tatsächlich eine nachhaltige Entwicklung auf den Weg bringen. Zum einen können ökologisch bewirtete Böden doppelt soviel Kohlenstoff speichern wie konventionell bewirtschaftete. Mit einer vollständigen, weltweiten Umstellung könnte die in den vergangenen Jahrzehnten freigesetzte Menge an CO2 binnen 30 Jahren wieder gebunden werden. Zum anderen entstehen durch den Verzicht auf synthetische Dünger viel weniger Klimagase. Mit maximal einem Viertel tierischer Kalorien im Nahrungsmittelkonsum wäre laut BUND die Agrarwende in Deutschland zu schaffen. Auch in globalem Maßstab ist dies der FAO zu Folge möglich: Es könnten 2.640 bis 4.380 kcal pro Mensch und Tag erzeugt werden – ohne die Nutzung von Brachflächen, Pflanzenschutzmitteln und Gentechnik. Da weltweit bei der Umstellung auf Ökolandbau Ertragssteigerungen zu beobachten sind, könnte außerdem die Unabhängigkeit der BäuerInnen von externen Betriebsmitteln gestärkt, könnten Wasser und Boden geschont werden. Denn ökologisch bewirtschaftete Böden haben eine höhere Wasserhaltekapazität und sind weniger anfällig für Trockenheit, Überschwemmungen und Erosion.
Individueller Konsum: großer Teil des Problems, kleiner Teil der Lösung
Wer aus ökologischen Gründen Fleisch und anderen Tierprodukten zumindest größtenteils entsagt und lieber Bio sowie saisonale Produkte aus der Region konsumiert, schont Ressourcen und Klima. Bisher subventionieren die Menschen in ärmeren Ländern unsere günstigen Supermarkteinkäufe und den Döner zum Dumping-Preis. Während wir auf dem Kassenzettel nur die Spitze des Eisbergs der wirklichen Kosten sehen, zahlen andere den Löwenanteil der Lidl-Erdbeere aus Übersee, die wir ganzjährig preisgünstig vernaschen möchten. Radikale Veränderungen bedeuten auch, sich den Fleischkonsum in der derzeitigen Form nicht mehr leisten zu können. Qualitativ hochwertige Tierprodukte, umwelt- und sozialgerecht produziert, können wohl kaum zu dem Preis angeboten werden, zu dem ihr Massenersatz heute verschleudert wird.
Die Formel „Gut leben statt viel haben“ bringt auf den Punkt, was für alle Konsumbereiche sinnfällig ist. Tatsächlich entdecken immer mehr Menschen einen nachhaltigen Lebensstil als persönliche Entwicklungsaufgabe für sich. Dieser Suffizienzhedonismus mag den unauflöslich geglaubten Widerspruch von Spaßgesellschaft und Verteilungsgerechtigkeit versöhnen. Nur hilft die radikalste Selbstbeschränkung und edelste (Ablass-)Zahlungsbereitschaft Einzelner wenig, so lange die öffentliche Auseinandersetzung über unsere Ernährung und ihre Folgen fehlt. Über eine Revolution der Esskultur in Deutschland hinaus ist eine Energie- und Agrarwende gefordert, die als gesamtgesellschaftlicher Umbau alternative Lebensweisen für alle möglich macht und nicht nur für die, die sich ein Leben in einer grünen Blase leisten können.
Christian Noll ist Diplom-Kommunikationswirt und arbeitet als Energie-Campaigner beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V.
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Erschienen in arranca! #38