Erfolgreich gescheitert

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War die Alternativbewegung ein Wegbereiter des Neoliberalismus? In seinem neu erschienenen Buch Kleine Geile Firmen (Edition Nautilus, 2008) spannt Arndt Neumann zur Beantwortung dieser Frage einen Bogen von den Beatniks über die Hippies, die Alternativbewegung und ‚neue Unternehmensberater’ wie Matthias Horx bis zur Digitalen Bohème. Dabei zeigt er, wie die Forderung nach Autonomie von einem Ausgangspunkt der Revolte zu einem Mittel der Ausbeutung werden konnte.

¿ Selbstverwaltete Ökoläden, Buchladenkollektive, basisdemokratisch geführte Zeitungsredaktionen oder Handwerksbetriebe sind im Lauf der letzten 20 Jahre sehr selten geworden. Die Alternativbewegung ist gescheitert und diente lange Zeit wohl vor allem als Vorlage für Karikaturen. Du hast sie Dir unter einem anderen Aspekt angeschaut: Wie wichtig war die Entwicklung der Alternativbewegung für die Durchsetzbarkeit neoliberaler Zumutungen in der BRD?

Zunächst war die Alternativbewegung Teil der sozialen Auseinandersetzungen der 1960er und 1970er Jahre, die den Fordismus in die Krise getrieben haben. Diese Kämpfe waren durch eine Exzessivität der Bedürfnisse geprägt, die die fordistischen Grundpfeiler Lohnarbeit und Kleinfamilie in Frage stellte: Fabrikarbeiter, die immer höhere Lohnforderungen stellten, Frauen, die sich den Zumutungen der unbezahlten Hausarbeit entzogen, Jugendliche, die sich der Arbeit verweigerten und stattdessen von Sozialhilfe und Bafög lebten usw. Der Neoliberalismus war eine Antwort auf die Krise des Fordismus. Der Exzessivität der Bedürfnisse setzte er Haushaltsdisziplin, Lohnkürzungen und unternehmerische Rationalität entgegen. Diese waren jedoch nur durchsetzbar, indem einzelne aus den sozialen Auseinandersetzungen kommende Forderungen und Bedürfnisse in verzerrter Form aufgegriffen wurden – unter ihnen auch das Bedürfnis nach Autonomie. In diesem Sinne lässt sich sagen, dass sich die Alternativbewegung trotz ihrer Niederlage durchgesetzt hat.

¿ Antriebskräfte der von dir beschriebenen Entwicklung waren immer wieder ökonomische oder politische Krisen der Alternativbewegung. Du hast dir die Debatten innerhalb der Bewegung über den Umgang mit jenen Krisen recht genau angeschaut – hätten die Lösungsstrategien auch ganz anders aussehen können?

Es hat bereits Anfang der 1980er Jahre eine ganz andere Lösungsstrategie gegeben. Die autonome Bewegung war auch eine Antwort auf die inneren Krisen der Alternativbewegung. Der Sackgasse der Selbstausbeutung setzte sie die Aneignung des gesellschaftlichen Reichtums entgegen. Durch Hausbesetzungen, Diebstahl sowie den Bezug von Sozialhilfe und Bafög sollten Autonomie und Selbstbestimmung im Hier und Jetzt ermöglicht werden. In gewisser Weise ist die Antwort der autonomen Bewegung heute immer noch aktuell. Neue Formen des Leben und Arbeitens kann es in dieser Gesellschaft nicht ohne die Aneignung des gesellschaftlichen Reichtums geben. Gleichzeitig haben sich die gesellschaftlichen Verhältnisse grundlegend geändert. Gerade Hartz IV, Studiengebühren sowie die Einführung von Bachelor und Master haben viele Spielräume massiv eingeschränkt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, was Aneignung des gesellschaftlichen Reichtums heute bedeuten kann.

¿ In Kleine Geile Firmen werden einige Aspekte der in den 1990er und 2000er Jahren als ‚neu’ gehandelten, prekären Arbeitsverhältnisse auf die Versuche der Alternativbewegung in den 1970er und 80ern zurückgeführt, mit einer anderen Art von Arbeitsorganisation zu experimentieren: flache Hierarchien, (Schein-)Selbstständigkeit, Hangeln von Projekt zu Projekt oder auch Identifizierung mit der hippen Firma. Gewerkschaften und Linksradikale stehen schon seit Längerem vor der Frage, wie sich Leute, die unter solchen Bedingungen arbeiten, organisieren lassen. Kann da das Zurückverfolgen der ideologischen Wurzeln der ‚Digitalen Bohème’ auf ehemals linke Ansätze Hinweise geben?

Zum einen zeigt die Alternativbewegung, dass es nicht darum gehen kann, „die Leute zu organisieren“. Sie zeigt, dass wir unsere eigenen prekären Arbeits- und Lebensbedingungen zum Ausgangspunkt machen müssen. Die Alternativbewegung war nicht zuletzt eine Antwort auf das Scheitern von Betriebsinterventionismus und leninistischen Avantgardekonzepten. Diese waren durch den weitgehend vergeblichen Versuch geprägt, die Kluft zwischen der studentisch geprägten antiautoritären Bewegung und der industriellen Arbeiterklasse durch abstrakte politische Konzepte zu überwinden. Zugleich beruhte die politische Arbeit in den Fabriken auf der Verleugnung der eigenen Subjektivität. Diese abstrakte Radikalität und Verleugnung der eigenen Subjektivität war nur wenige Jahre lang lebbar. Demgegenüber versuchte die Alternativbewegung, die eigenen Wünsche und Konflikte zum Ausgangspunkt zu machen. Gerade in ihren Anfängen konnte die Alternativbewegung deswegen eine große Anziehungskraft entfalten. Zum anderen zeigen die Verbindungslinien zwischen Alternativbewegung, Neuen Selbstständigen, New Economy und ‚Digitaler Bohème’ die Ambivalenz von prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen. Prekarität lässt sich nicht auf erzwungene Unsicherheit reduzieren. Prekarität ist zugleich das, was wir uns immer gewünscht haben. Ob Autonomie, Flexibilität oder Differenz: In verzerrter Form lebt die gegenkulturelle Subjektivität in den gegenwärtigen Arbeits- und Lebensverhältnissen fort – gerade auch in der Kultur- und Wissensproduktion. An diesem Punkt wird ein zentraler Mechanismus der gegenwärtigen Machtverhältnisse deutlich. Zugespitzt formuliert: Der Fordismus beruhte auf dem Tausch soziale Absicherung und steigende Löhne gegen stumpfsinnige Arbeit. Heute breitet sich vor allem in der Kultur- und Wissensproduktion eine andere Form des Tausches aus: Selbstbestimmte und interessante Arbeiten gibt es nur gegen fortwährende Unsicherheit und schlechte Bezahlung. Diese Ambivalenz der Prekarität verbietet eine einfache Skandalisierung.

Traditionelle linke Politik und ein auf Armut und Unsicherheit verengtes Verständnis von Prekarisierung laufen an diesem Punkt ins Leere, da sie das Bedürfnis nach selbstbestimmtem Arbeiten nicht ernst nehmen. Parolen wie ‚Scheiß-Praktikum’ werden weder unseren eigenen widersprüchlichen Arrangements gerecht, noch wirken sie in irgendeiner Weise anziehend auf andere Prekäre. Deswegen geht es darum, eine politische Perspektive zu entwickeln, die die Ambivalenz der Prekarität ernst nimmt und in der Autonomie und soziale Absicherung nicht länger ein Widerspruch sind.

¿ Die Analyse in Kleine Geile Firmen ist weitestgehend beschränkt auf die bundesdeutsche Geschichte. Versuche, innerhalb des Kapitalismus andere Produktionsformen umzusetzen, sind jedoch definitiv kein deutsches oder europäisches Phänomen. Man denke an die Experimente, die im laufenden Jahrzehnt in den besetzten Fabriken in Argentinien, Brasilien und Venezuela gemacht wurden und werden. Was könnte man sich von einem Vergleich der dortigen Erfahrungen mit dem in Kleine Geile Firmen beschriebenen Scheitern der Alternativbewegung erhoffen?

Die Formulierung „andere Produktionsformen innerhalb des Kapitalismus“ macht deutlich, dass ein Vergleich nur auf einer sehr abstrakten Ebene möglich ist. Meiner Ansicht nach überwiegen die Unterschiede. Während für die Alternativbewegung das Bedürfnis nach Autonomie und die Revolte gegen autoritäre Managementkonzepte im Vordergrund standen, sind die Besetzungen von geschlossenen Fabriken vor allem der Versuch, Armut und Arbeitslosigkeit zu entkommen. Für sinnvoller halte ich es, die Alternativbewegung mit ähnlichen Bewegungen in den USA und in Westeuropa zu vergleichen. Gerade in Kalifornien hatte die Gegenkultur der 60er Jahre großen Einfluss auf die Internetkultur der 90er Jahre. Zugleich finden sich in der BRD der 60er und 70er Jahre zahlreiche gesellschaftliche Auseinandersetzungen, in denen das Bedürfnis nach Autonomie eine ähnlich große Rolle gespielt hat. Neben den Projekten der Frauenbewegung gilt dies vor allem für die zahlreichen Arbeitsmigranten, denen die Selbstständigkeit die Flucht aus der Fabrik ermöglicht hat. All dies zeigt, dass die Alternativbewegung nur ein kleiner Teil eines viel weitergehenden gesellschaftlichen Aufbruchs war. Zugleich wirkt dieser Aufbruch nicht allein in der Kulturund Wissensproduktion fort. Selbstständige Arbeit findet sich in allen gesellschaftlichen Bereichen. Die Übergänge zwischen Lohnarbeit, Selbstständigkeit und Erwerbslosigkeit sind fließend geworden.

¿ Am Ende deines Buches steht die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen, das uns von der „durch ökonomische Zwänge bis zur Unkenntlichkeit verzerrte[n] Autonomie“, nämlich der Autonomie in der Arbeit, zur Autonomie der Arbeit führen soll. Es wird nicht weiter ausgeführt, wie die ‚Autonomie der Arbeit’ beschaffen sein könnte. Fraglich erscheint mir jedenfalls, ob eine realpolitische Forderung an Vater Staat wirklich der richtige Weg ist, um die emanzipatorischen Seiten des Begriffs der Autonomie entgegen seiner neoliberalen Verzerrung zu stärken? Müsste man nicht vielmehr an der tatsächlich in vielen Arbeitsverhältnissen erreichten Autonomie ansetzen? Sind die erlangten Kompetenzen, die selbstständige Tätigkeit, die routinierte Teamarbeit etc. nicht die besten Voraussetzungen für selbstbewusst und effektiv durchgeführte Kämpfe?

Vorweg: Wie eine ‚Autonomie der Arbeit’ aussehen könnte und welche Wege dahin die richtigen sind, ist vor allem eine Frage der politischen Praxis. Deshalb sehe ich die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen am Ende des Buches vor allem als Platzhalter für eine notwendige Debatte über eine politische Perspektive jenseits eines sozialdemokratischen, alternativen oder linksradikalen Traditionalismus. Dabei ist das bedingungslose Grundeinkommen ein guter Ausgangspunkt, da diese Forderung sowohl an das Bedürfnis nach Autonomie als auch an das Bedürfnis nach sozialer Absicherung anschließt. Ansonsten sehe ich keinen Widerspruch zwischen alltäglichen Kämpfen und weitergehenden Forderungen. Das Problem ist vielmehr, dass wir auf beiden Ebenen noch keine angemessenen Formen gefunden haben. Die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen ist noch so abstrakt, dass sie gegenwärtig keine konkrete Lebensperspektive bietet. Trotz großer Zustimmung im Bereich der Kultur- und Wissensproduktion wirkt sie deshalb nicht mobilisierend. Man könnte auch sagen, dass das bedingungslose Grundeinkommen noch nicht realpolitisch genug ist. Auch auf der Ebene der alltäglichen Auseinandersetzungen kann ich im Augenblick noch keine exemplarischen Kämpfe erkennen. Vor allem die zunehmende Fragmentierung von Arbeitsverhältnissen durch Projektarbeit, selbstständige Arbeit und befristete Verträge erschwert es, von der individuellen Unzufriedenheit zur gemeinsamen Auseinandersetzung zu kommen. Wie sich die in den gegenwärtigen Arbeitsverhältnissen erworbenen Fähigkeiten politisch wenden lassen, bleibt deshalb eine offene Frage.

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Erschienen in arranca! #39

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