„Die Linke unter den Großen“

Ein Gespräch mit Ivo vom NEUEN DEUTSCHLAND

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ARRANCA: Ich finde das Neue Deutschland ziemlich wider­sprüchlich. Da gibt es eine Reihe von wichtigen Nachrich­ten vor allem zur soziale Frage, die man sonst nirgends findet, es gibt eindeutig linke Stand­punkte, wie sie in der taz auf keinen Fall mehr zu lesen sind, und auf der anderen Seite sind da wieder so Hämmer wie ein­zelne Kommentare nach Bad Kleinen, wo die RAF als „Linke" in Anführungszeichen tituliert und ihr ein „Dachschaden" unterstellt wurde. Oder nach dem Anschlag ETAs in Madrid im Juni, wo 5 Mitglieder des spanischen Generalstabs, ein Unteroffizier und ihr Chauffeur in die Luft gesprengt wurden, titelte das ND: „Terroristen nahmen Tod von Kindern in Kauf". Zwar wurden mehrere Passantinnen, darunter auch Kinder, verletzt, aber es wurde nicht einmal ansatzweise erwähnt, daß das der schwerste Schlag gegen die Militärspitze seit Jahren war, daß im Augen­blick mehr als 100 Totalverwei­gerer in Spanien im Knast sitzen, daß es eine riesige Bewe­gung gegen den Militärdienst gibt, daß die Militärführung zum Teil aus der Franco-Dikta­tur stammt, daß es unter den Passanten keine Toten gab usw. Man sah nur ein Foto mit einem zerrissenen Auto und der genannten Überschrift. Auf der anderen Seite gab es diese Woche wieder ein ganz ähnli­ches Bild mit der Überschrift „Bombenstimmung in Nordir­land".

Ivo: Das ND hat ja zumindest den Anspruch, eine pluralisti­sche linke Tageszeitung zu sein. Man kann davon halten, was man will, aber zumindest ist wahr, daß sehr unterschied­liche Stimmen zu Wort kom­men. Vieles fehlt nicht deswe­gen, weil es zensiert würde, sondern weil sich niemand fin­det, der es schreibt. Es könnte viel mehr verschiedene linke Standpunkte in der Zeitung geben, wenn sich aus anderen Bereichen Leute engagieren würden. So lange von dort aber kaum etwas kommt, solange wird auch die Berichterstattung immer so sein, wie du sie beschrieben hast.
Im Übrigen denke ich, daß man mit dem Wörtchen „links" dort, wo Ostler und Westler zusammenarbeiten, nicht mehr weit kommt. Ich würde für so manche ND-Kolleginnen die Bezeichnung „links" auch mit Anführungszeichen versehen.

ARRANCA: Glaubst du, daß es im ND grundsätzlich eine größere Offenheit für außerparlamenta­risch-linke und systemopposi­tionelle Bewegungen gibt als in der taz?

Ivo: Was es vor allen Dingen gibt, ist eine große Unsicherheit der DDR-BürgerInnen gegenü­ber der West-Linken. Z.B. an die RAF hat man sich kaum herangewagt, aus Unkenntnis der Geschichte, aber auch aus Unsicherheit, was das an Repression nach sich ziehen würde, wenn man darüber berichtet.
Diese Unsicherheit bedeutet auch Neugierde gegenüber anderen Positionen, und die kann man nutzen.

ARRANCA: Dann wäre aber die Frage, ob diese Offenheit befristet ist. Bei der taz war es ja so, daß sich die Positionen in einer Bewegung geklärt haben und damit die Offenheit ihr Ende fand. Heute powert in der taz eine ganz bestimmte Strömung ihr Projekt. In der DDR-Linken wird so eine Klärung auch eintreten, früher oder später.

Ivo: Die alternative Bewegung, aus der die taz entsprang, hat sich größtenteils etabliert. Diese Etablierung wird es beim ND so nicht geben, weil es da wie in der PDS zwei Hauptströmungen gibt: eine sozialdemokratische, die schon eta­bliert ist und das ND nicht unbedingt braucht, und zweitens eine traditionell-kommunistische, die meiner Meinung nach eher anachronistisch ist und sich wohl kaum noch einmal etablieren kann. Die Gefahr ist eher, daß sich das ND spalten könnte, wie sich auch die PDS irgendwann spalten wird. Das würde natürlich in die Bedeutungslo­sigkeit führen.

ARRANCA: Was glaubst du, was das ND für eine Rolle spielen kann? Ist es mit seinen 100.000 Auflage nur ein Fossil oder ist es eine Zeitung, die auch wie­der etwas in Gang bringen kann? Wel­che Bedeutung hat die Zeitung z.B hei der Organisierung von Widerstand in der ehemaligen DDR?

Ivo: Ich glaube nicht, daß das ND politisch richtungsweisend sein kann. Genausowenig wie die PDS. Die Chance, die die Zeitung aber hat, ist, so etwas wie ein Sammlungspunkt für unterschiedliche linke Standpunkte zu sein. Das ist vielleicht auch ganz ange­sagt in einer Zeit, in der die gesamte Linke irgendwo zwischen Resignation und Ratlosigkeit umhertaumelt. Ich finde das reizvoll an der Zeitung, daß — von ganz links bishin zu Liberalen — Leute zu Wort kommen.

ARRANCA: Hat das Blatt nicht doch auch eine mobilisierende Funktion? Wenn jemand über den Widerstand gegen die Deindustrialisierung in der Ex-DDR und das Umverteilungsprogramm von unten nach oben berichtet, ist es doch schließ­lich das ND.

Ivo: Die Leute, die jetzt hungerstreiken gegen den Verlust ihrer Arbeitsplätze oder den Sozialabbau, stellen deswegen nicht die Systemfrage. Sie wollen höhere Löhne, ihren Arbeitsplatz sichern. Es ist anscheinend zur Zeit nicht angesagt, Fragen darüberhinaus zu stellen, und eine Zeitung ändert diese Situation auch nicht.
Es ist interessant, daß die Älteren im ND stark anzweifeln, ob eine Zeitung überhaupt großartig mobilisieren und vorantreiben kann. Sie stellen fest, daß sie über 40 Jahre lang an einem perfekt inszenierten Medienwesen mitgewirkt haben, das dann einfach zusammenge­brochen ist. Diese Kollegen stellen sich die Frage, was das bewirkt hat, was sie solange geschrieben haben.
Selbst wenn du im ND nur gute Arti­kel zu Abschiebungen und den Flücht­lingen schreiben würdest, -solange auf allen Fernsehkanälen, in der U-Bahn, bei der Arbeit und im Radio von „Asylanten­strömen" die Rede ist, wird auch ein Großteil der ND-Leserinnen von „Asy­lantenströmen" reden. Unsere Wirkung ist da sehr gering.

ARRANCA: Woran liegt es eigentlich, daß die West-Linke das Neue Deutschland so wenig wahrnimmt und nützt? Es ist doch auffällig, daß noch immer fast alle die taz lesen, obwohl die uns politisch mindestens so fremd ist, wie das Neue Deutsch­land.

Ivo: Stimmt. Das ist schade, denn ich denke, daß das ND die einzige Zeitung ist, aus der man sich ein authentisches Bild über die Stimmung und Lage im Osten machen kann. Das täte vielen Westlinken ganz gut. Die Verständi­gungsschwierigkeiten sind immer noch ungemein groß. Das ist auch meine eigene Erfahrung, und ich wohne jetzt schon mehr als 3 Jahre im Osten.
Aber zu Deiner Frage: Es hat zum einen sicherlich damit zu tun, daß man das ND im Westen kaum bekommt. In Westdeutschland kriegt man es- außer am Bahnhofskiosk- einen Tag später, selbst in Westberlin muß man es suchen. Das andere und gewichtigere Argu­ment ist, daß das ND eine Ostmentalität ausstrahlt und natürlich schwerpunkt­mäßig über den Osten schreibt. Es gibt sogar ausgesprochen „Wessi-feindliche" Beiträge von einzelnen Redakteuren. Dazu kommt, daß ein Großteil der AbonenntInnen über 60 ist. Der größte Aboschwund kommt daher, daß Leserin­nen sterben.
Auf diese älteren Leserinnen stellt sich das Blatt natürlich ein, und das führt zu einem Stil, der junge Westlinke kaum anspricht. Außerdem haben wir auch kaum Leute im Westen, die für das ND schreiben, obwohl wir uns sehr darum bemüht haben.

ARRANCA: Das heißt letztendlich: die Westlinke müßte von ihren grundsätzli­chen Anforderungen herunterkommen und auf die Zeitung stärker zugehen.

Ivo: Ja. Aber auch andersherum muß es Schritte geben. Für die Zeitung ist die Situation schwierig, es ist ein Spa­gat. Einerseits will man die alten Leser nicht verlieren, - mir sind die Leute, die heute das ND lesen, auch wichtig -, andererseits müßte sich die Zeitung ändern, wenn sie jüngere Linke anspre­chen will. Eine Lösung ist dafür nicht in Sicht.

ARRANCA: Gibt es eigentlich intern die Möglichkeit, daß du Diskussionen ein­fordern kannst, wenn du einen Artikel völlig daneben findest? Gibt es Debat­ten innerhalb des ND?

Ivo: Es gibt schon Diskussionen. Es gab z.B. die Initiative, daß sich regel­mäßig die ganze Redaktion trifft, um ein bestimmtes Thema gemeinsam zu besprechen. Aber das ist in letzter Zeit eingeschlafen. Ansonsten laufen die mei­sten Gespräche informell unter den Redakteurinnen ab.
Außerdem gibt es auch die Idee, mit den Leserinnen regelmäßig Diskussions­veranstaltungen zu machen. Auf dem Pressetag gab es eine Podiumsdiskus­sion für die Zeitungsmacherinnen und - Leserinnen zum Thema Olympia im Jahr 2000 in Berlin. Da ging es hoch her und das hat meisten Leuten in der Redaktion gut gefallen.

ARRANCA: Olympia ist ein gutes Beispiel für einen Meinungsumschwung in der Zeitung. Am Anfang war das ND wie auch die PDS klar dafür, inzwischen überwiegt die Ablehnung. Das zeigt doch auch, daß Diskussionen fruchtbar waren.

Ivo: Es zeigt, daß sehr unterschiedliche Meinungen zu Wort kommen können. Einen richtigen Meinungsumschwung bei den Leuten hat es aber eigentlich nicht gegeben. Am Anfang hat einfach das Sportressort berichtet, inzwischen schreibt meistens die Lokalredaktion. Das Thema Olympia zeigt wie zerrissen das ND ist, aber auch wie offen für Gegensätze.

ARRANCA: Bist du jemals offen zen­siert worden? Gab es das, daß du gedacht hast, das kann ich unmöglich schreiben, selbst wenn ich einen guten, aktuellen Aufmacher finde?

Ivo: Klar, das gab es. Aber ich sehe meine Auf­gabe auch gar nicht so sehr darin, zu kom­mentieren. Mir geht es eher darum, Informationen zu liefern und die Leute selbst entscheiden zu lassen, und da hatte ich wenig Schwierigkeiten bisher. Im ND stehe ich interessanterweise eher zwi­schen den Fronten. Das ist wie in der PDS, wo sich der sozialdemokratische und traditionskommunistische Flügel bekriegen, aber beide die kleine linksra­dikale Gruppe um die Bundesabgeord­nete Ulla Jelpke eigentlich in Ruhe las­sen. So ähnlich ist das bei uns auch: den scharfen Konflikt liefern sich andere.

ARRANCA: Was war das für Zensur?

Ivo: Es läuft meistens darauf hinaus, daß ich selber Sachen herausnehme, weil ich mir denke „ich will nicht schon wieder erklären, warum ich diesen Begriff ver­wende". Ich nehme mich also selbst zurück. Manchmal habe ich einfach keine Lust auf endlose Diskussionen, vor allem wenn man hei Adam und Eva anfangen müßte und nicht viel Zeit hat. Besonders sensibel ist man bei allem, was -auch hier im Hause- von einigen „Terrorismus" genannt wird. Eine Kolle­gin sagte mal: „Die RAF hat uns 40 Jahre nicht interessiert, warum sollte sie uns jetzt interessieren!" Zum anderen halten marxistisch-leninistisch gebildete Leute ja eh nichts vom „individuellen Terror". Was Deiner Meinung nach links ist, fin­den Leute aus der Ex-DDR eben oft bür­gerlich. 'ich dagegen finde diese spießi­gen ML-Scheuklappen bürgerlich.
Zum Thema RAF-Gefangene gab es hier mal sowas wie einen Beschluß: Natürlich müssen wir über die inhuma­nen Haftbedingungen berichten, aber es muß auch immer klar werden, daß das ND nicht den bewaffneten Kampf akzeptiert. Mal unabhängig davon, was ich zur RAF-Politik meine, ist das natür­lich nicht die Art von Journalismus, die ich machen möchte. Wer es nötig hat, sich von anderen zu distanzieren, nur damit eigene Positionen deutlich wer­den, hat keine Positionen. Und das würde ich, was dieses Thema betrifft, mal vielen beim ND unterstellen. Irgendwo hört die Pluralität beim ND auf. Da bin ich auch oft hin- und herge­rissen. Einerseits denke ich: Lieber nichts schreiben, als was Halbes. Andererseits denke ich dann wieder: Besser ich schreibe es, als irgendjemand anderes, der oder die dann vielleicht behauptet, daß es die RAF doch schon seit Jahren nicht mehr gibt- oder irgendso ein Unsinn.
Ansonsten ist der größte Zensor aber meistens die auferlegte Kürze. Da geht vieles verloren, was für den Text eigent­lich wichtig wäre.

ARRANCA: Hältst du das Neue Deutschland eigentlich für ein Parteiorgan?

Ivo: Rein von den Besitzverhältnissen ist es das faktisch. Trotzdem ist es hetero­gener als die taz z.B.. Das liegt einfach daran, daß die PDS auch kaum einheit­lich ist. Im Grunde genommen ist das ein Zusammenschluß von vor allem Ossis mit sehr unterschiedlichen Mei­nungen und sehr viel Platz für Initiati­ven. Trotzdem gibt es in der PDS Funk­tionäre, nach deren Meinung nicht genug über ihre Arbeit bzw. verfälscht darüber berichtet wird. Die Tatsache, daß die PDS jetzt eine eigene Mitgliederzeitung herausgibt, zeigt ja auch, daß das ND so sehr nun auch wieder nicht Parteiorgan ist. Zumindest für viele PDS-Mitglieder nicht aus­reichend.

ARRANCA: Im Augen­blick läuft eine Klage der Treu­hand gegen das Neue Deutschland, in der die Treuhand 2 Millionen Mark von der Zeitung fordert. Wird sie damit durchkommen?

Ivo: Juristisch hat sie eigentlich keine Chance. Aber wir wissen ja auf welcher Seite die Justiz dieses Landes steht. Es gibt das politi­sche Interesse, das ND zu zerstören. Der Anlaß ist ziemlich absurd: unter der Modrow-Regierung wurde bei der Einstellung der Subventionen an Ost-Zei­tungen noch eine Abschlußzahlung geleistet. Hiervon fordert die Treuhand jetzt einen ersten Teil zurück, eben genannte 2 Millionen DM. Interessanter­weise tut sie das jedoch nur beim ND, und sonst bei keiner Ost-Zeitung. Absehbar ist, daß das ND zumachen müßte, wenn die Treuhandklage durch­kommt. Betroffen davon wäre auch die Junge Welt, die über das gleiche Ver­triebsnetz vertrieben wird.

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Erschienen in arranca! #2

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