Egin Euskadi ta Askatasuna

Die Stimme der Unabhängigkeit Euskadis

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Die baskische linke Tageszeitung Egin ist ein ungewöhnliches Blatt. Am Wochenende umfaßt der Sportteil 20 Seiten, die Titelseiten sind farbig, die Fernsehbeilage steht den Funkzeitschrif­ten in der BRD nicht viel nach: Multico­lor posieren Don Johnson oder die Lebensretter von South Beach. Daneben allerdings steht die letzte ETA-Erklärung im Wortlaut, findet man auf der Mei­nungsseite eine Diskussion über Femi­nismus zwischen HB-nahen und autono­men Feministinnen oder beschreiben in der Jugendbeilage zwei 18-jährige aus der Proletenstadt Orereta, wie sie die letzten 2 Jahre im Knast verbracht haben. Nach 16 Seiten eines durchaus konventionell gehaltenen Lokalteils folgt eine ganzseitige Reportage über die Situation von afrikanischen Immigran­tinnen in Madrid oder über einen Land­arbeiterstreik in Andalusien. Und auf den Politikseiten geht es sowohl um die neue Regierungserklärung von Minister­präsident Gonzalez als auch um eine Schulreform.
Das Argument, eine solche Mischung könne nur einem linken Populismus ent­stammen, der sich an die vermeintlichen „Lesegewohnheiten der Massen" anbie­dere, zieht nicht. Egin ist kein „linkes" Boulevardblatt (wie es von dem Labour­nahen Daily Mirror in Großbritannien lange behauptet wurde). „Busenjourna­lismus" oder Sensationalismus haben in ihr keinen Platz. Fußball, Fernsehen oder Volksfest gehören zur Zeitung dazu, weil sie zur Linken gehören, nicht aus plumper Heuchelei.
Egin ist damit etwas wirklich besonde­res: einfach eine beliebte Zeitung und der lesenswerte Beweis, daß linker Jour­nalismus sich nicht nur an kleine Min­derheiten richten muß.

Entstehung und Inhalte

1977 im Jahr der ersten Parlaments­wahlen nach dem Tod Francos entstan­den, war die Zeitung von Anfang an die Stimme der und für Unabhängigkeit ein­tretende linke Bewegung. Die Leser­schaft war schon damals weitgehend identisch mit jenem kritischen Bevölke­rungsteil, der die angebliche „Demokra­tisierung", ablehnte. Obwohl verschiedenste Organisationen den linken Natio­nalisten im allgemeinen rechtslastige Positionen unterstellten, wurde Egin als linkes Projekt allseits anerkannt. Außer dem in Hernani – in der rotesten Gipuzkoa­Provinz, erscheinenden Blatt gab es keine weitere linke Tageszeitung.
Organisatorisch entschied sich das Pro­jekt für eine konventionelle Lösung: es gab und gibt eine Chefredaktion, klare Arbeitsverhältnisse und Gewerkschafts­vertreter. Vollversammlungen finden statt, aber sie sind anders als in der- frühen TAZ nicht das zentrale Entschei­dungsgremium.
Auch im Journalistischen setzte die Zei­tung auf eine gewöhnliche Struktur.
Zwar sind keineswegs alle Redakteurin­nen ausgebildete Journalistinnen, aber das berufliche Können spielt in der Zei­tung eine größere Rolle als vermeintli­che „Betroffenenschreiben".
Kennzeichnend für die Berichterstat­tung der Egin war, daß sie sich auf die Linke bezog, ohne darüber den Blick für das „normale" tagespolitische Geschehen zu verlieren - auch eine Ausnahme - wenn man alternative Medienprojekte in Westeuropa anschaut. Eine Zeitung gegen das Informationsmonopol, die mobilisierend für Bewegungen und soli­darisch mit dem bewaffneten Kampf ein­greift, sich aber nicht an eine bestimmte Szene richtete.
Nicht nur weil die politische Land­schaft entsprechend günstig war, konnte sich diese Zeitung etablieren; zahlreichen zunächst regionalen Bewe­gungen war eine Entwicklung nur des­halb möglich, weil ihnen ein wohlgeson­nenes Medium zur Verfügung stand. Ebenso wie die baskische Linke eine Egin ermöglichte, ermöglichte auch die Egin die Existenz einer relativ starken Linken.
Es ist kein Zufall, daß das Blatt 1977 gleichzeitig mit den neuen legalen Mas­senorganisationen entstand.

Die "neue" Egin - eine doppelte Öffnung

Im Herbst letzten Jahres kündigte das Blatt nach 15 Jahren Bestehen sein Ende an. Zwar wurde schon damals in Aus­sicht gestellt, daß es mit einer neuen Aufmachung und einem anderen Kon­zept weitergehen solle, aber viele Lin­ke befürchteten eine Anpassung an den „poppigen Zeitgeist". Die Geburtsstunde der „neuen" Egin in einer Sport­halle in Bilbo wurde denn auch zur melodramatischen Inszenierung, bei der nicht wenige TeilnehmerInnen ihr altes Blatt mit Tränen verabschiedeten.
Die neue Egin - mit Farbfotos, verschie­denen Beilagen, einem ausgeweiteten Sportteil und etwas teurer als die alte - konnte die Befürchtungen allerdings nur ein paar Tage bestätigen. Die ansprechendere Aufmachung wurde begleitet von einer politischen Öffnung, vor allem nach links. Die Debattenseiten nahmen auf fünf zu und öffneten sich auch für HB-kritische Linke. Autonome Femini­stinnen, linke KommunistInnen, Anar­chos oder ganz einfach Durchschnittsle­serInnen konnten zwar auch in der „alten" Egin ab und an zu Wort kom­men, aber seit dem letzten Jahr ist das häufiger geworden. Genauso wird sozia­len Bewegungen größeres Gewicht bei­gemessen, vor allem kommen sie mit eigenen Beiträgen zu Wort. Das bedeu­tet jedoch nicht, wie von vielen behaup­tet, eine Anbiederung und Vereinnah­mung einer Bewegung, sondern die gewollte Stärkung radikaler Opposition. Aber auch über die politischen Gegner wird „objektiver" berichtet. Im Wahl­kampf Mai dieses Jahres wurden in der Egin nacheinander alle Par­teien und ihre Spitzenkandi­daten vorgestellt: von der konservativ-frankistischen PP bis hin zu den Erzfeinden der sozialdemokratischen PSOE. Dahinter versteckt sich kein beliebiger Pluralis­mus, sondern die Absicht, die Realität für sich selbst sprechen zu lassen. In Anbetracht einer Linken, die sich gerne mit parolenhaften Floskeln zu Wort mel­det, ist der Versuch, Ein­schätzungen den LeserInnen zu überlassen, durchaus lobenswert.
Hinter der doppelten Öff­nung Egins steht der häufig und nicht nur von der Rech­ten gemachte Vorwurf, das Blatt sei ein Parteiorgan. So wurde kritisiert, daß ande­ren Strömungen der Linken im Blatt kein Platz eingeräumt werde, Kritik an der ETA unter den Tisch falle und die Zeitung eine Art Hofberichter­stattung für die sie nahestehenden Orga­nisationen betreibe.
Daß die Nähe Egins zu den linken Unabhängigkeitsorganisationen nicht immer hilfreich war, läßt sich kaum leugnen. So griff die Zeitung 1991 z.B. in die Spaltung der kleinen bewaffneten Organisation Iraultza ein, indem sie die Kommuniques derjenigen Fraktion ver­öffentlichte, die enger mit ETA zusam­menarbeiten wollte. Stellungnahmen anderer Gruppierungen wie der links­kommunistischen EMK-LKI wurden im Höchstfall einmal zu Spaltenmeldungen gemacht, die frühe Totalverweigerer- Bewegung sogar regelrecht abgelehnt. Den Gipfel der „Halboffizialität" Egins als Sprachrohr der politischen Koalition HB wurde allerdings schon früher, im Juli 1987 erreicht. Damals wurde der Chefredakteur Jose Felix Azurmendi abgelöst, nachdem er einen Monat zuvor einen ETA-Anschlag, bei dem in einem Supermarkt in Barcelona 17 Menschen starben, scharf kritisiert hatte.
Diese „Parteizugehörig­keit" der Zeitung war aber nicht nur eine Beschrän­kung. Es ist wahrschein­lich, daß ein ähnlich „bevölkerungsnahes" Blatt ohne die Nähe zu einer klar umrissenen, organi­sierten Linken in den Sog der sogenannten „Profes­sionalisierung“ geraten wäre.
So war die TAZ beispiels­weise mit linken Bewe­gungen nur über Einzel­personen und ihre Basisgruppen verbunden, was sich ziemlich schnell als zu locker herausstellte. Als die Verbindungen der berliner TAZ mit der Lin­ken nach und nach gekappt wurden, und ein rosa-grünliches Liberalenblatt geboren wurde, das Systemopposition nicht nur kritisiert, sondern geradezu verabscheut, zeigte sich wie wenig die verschiedenen Bewegungen von der Zeitung Rechen­schaft einfordern konnten. Das liegt zwar auch, aber eben nicht nur an der Schwäche einer konsequenten Linken in der BRD.
Im Gegensatz dazu waren die Redak­teurinnen der baskischen Egin niemals nur sich selbst verpflichtet. Politische Ent­scheidungen, die außerhalb der Zeitung fielen, haben auf direktere Art und Weise die Entwicklung des Blattes mit­bestimmt. Daß sie dennoch nicht zum Zentralorgan geworden ist, bleibt das erfreuliche an der Egin.

Im Fadenkreuz der Repression

Für diesen ziemlich erfolgreichen Kurs ist sie von staatlicher Seite in den letzten 16 Jahren immer wieder angegriffen worden. Das Zeitungsgebäude im Gewerbegebiet von Hernani gleicht einer hermetisch abgeriegelten Festung, in die man nur durch zwei kamerakontrollierte Türen kommt. Anschläge hat es trotzdem immer wieder gegeben: Ende der 70er gegen das Zeitungsgebäude, 1993 gegen Sendemasten von Egin Irra­tia, das Radio, das im gleichen Gebäude sitzt. Täter waren jene Todesschwadrone, die seit Francos Tod mit wech­selnden Namen operieren, aber wie bei mehreren Justizprozessen bewiesen wurde, eigentlich alle direkt mit den oberen Polizeibehörden zu tun haben. Der härteste Anschlag richtete sich im November 1989 gegen den Chefredak­teur Josu Muguruza. Der frühere Flücht­lingssprecher und Vordenker von HB wurde in Madrid von einem Todesschwadron niedergeschossen, als er und andere HB-Abgeordnete zum ersten Mal seit Jahren wieder an einer Sitzung des spanischen Parlaments teilnehmen woll­ten. Wie inzwischen auch gerichtlich nachgewiesen wurde, waren die beiden Attentäter hauptberuflich Polizisten und können nun, wenige Monate nach ihrer Verurteilung, mit einer Begnadigung rechnen; zumindest genießen sie schon jetzt großzügigste Haftbedingungen. Daß die Angriffe gegen die Egin keine Zufälle sind, ist auch aus den offiziellen Maßnahmen der Regierung ersichtlich. Seit Monaten versucht die Autonomiere­gierung in Gasteiz das Medium Egin scheinbar legal zu erledigen. Im Oktober 1992 wurde die Zeitung der intellektuellen Täterschaft für einen Brandanschlag angeklagt, weil sie ein Foto des Drogen­händlers und Polizeikollaborateurs Javier Herranz Gomez veröffentlichte, auf des­sen Auto einen Tag später ein Anschlag verübt wurde. Gegen den Direktor der Egin, Jabier Salutregi, wurde ein Haftbe­fehl erlassen, der erst 7 Monate später wieder aufgehoben wurde.
Erfolgreich war die Regierungskampa­gne dagegen in einem anderen Fall: dem Egin-Sender wurde eine Strafe von über 100.000 DM aufgebrummt, weil das Radio eigenmächtig Sendemasten in der Provinz Bizkaia aufgestellt hatte. Die Regierung verweigert dem Radio seit Jahren eine Lizenz für diese bevölke­rungsreichste Provinz des Baskenlandes. Die Geldstrafe schließlich grenzt an Absurdität, wenn man weiß, daß alle baskischen Radios aufgrund der restrikti­ven Lizenzpolitik eigene Sendemasten aufgestellt haben, ohne daß dies in anderen Fällen zu Strafen geführt hat.
Weitere Schläge erfolgten im Mai und Juni dieses Jahres, als die Zeitung ange­klagt wurde, ein Plakat der revolu­tionären Jugendorganisation Jarrai gedruckt zu haben. Die Anklage ist weit hergeholt, aber zeigt ihre Wirkung: das umstrittene Plakat, auf dem die Redak­teure der staatlichen Fernsehnachrichten als „Mörder" tituliert werden, wurde im Handumdrehen als illegal deklariert, um darüberhinaus auch die hauseigene Druckerei der Egin anklagen zu können. Der Sprecher der baskischen autonomen Regierung Atutxa beschuldigte die Redaktion der Zeitung, Vorarbeit für ETA-Anschläge zu leisten, ein regie­rungsfinanziertes Plakat mit der Über­schrift „Die Egin recherchiert- die ETA exekutiert" kam in Umlauf. Die Zeitung hat somit eine erneute Klage am Hals, die vier Redakteure, die sich hauptsäch­lich mit Recherchearbeiten beschäftigen, sind von Unbekannten mit dem Tode bedroht worden.
Abgerundet wird die Anti-Egin-Kampa­gne schließlich durch einen staatlichen Anzeigenboykott. Während in kleineren Tageszeitungen wie Deia im Mai 1993 Regierungsanzeigen für 42 Millionen Peseten (ca. 500.000 DM) geschaltet wurden, erhielt die Egin nicht einmal 5 Mio, und das obwohl die linke Tageszei­tung fast doppelt so viele LeserInnen hat. Gesetzesgemäß wäre die Regierung verpflichtet, diese verdeckten Subventio­nen nach Auflagenzahlen und nicht nach politischen Kriterien zu verteilen, aber genausowenig wie HB, die staatli­che Wahlkampfkostenerstattung erhält, bekommt Egin Regierungsanzeigen. Man wolle keine destabilisierenden Zeitun­gen unterstützen, hieß es aus dem Innenministerium.
Die Finanzsituation der linken Zeitung ist damit —zum wiederholten Male— höchst kritisch, obwohl die Auflage seit der Einführung des neuen Konzepts im Oktober um 25 % gestiegen ist. In einem Referendum mußten sich die Arbeiterin­nen der Egin dafür entscheiden, auf zusätzliche 13. und 14. Monatsgehälter und Lohnerhöhungen zu verzichten, und das bei nicht sensationellen Einkommen von z.T. gerade einmal 1200 DM.
Die Egin wäre aber nicht die einzige revolutionäre Tageszeitung Europas mit Bedeutung, wenn sie nicht genau das machen würde, auf das hier niemand käme. „Wir können eine Isolierung nicht brauchen“, meinte der Chefredakteur von Egin Irratta, roseba Macias. und lud Spitzenkandidaten aller Parteien kurz vor den Wahlen im Juni zu einer Diskus­sion ins Radio. Bis auf die Sozialdemo­kraten kamen alle: da saßen im Gebäude von Zeitung und Radio Egin diejenigen, die versuchen, die beiden Medien auf jed­wede mögliche Weise zu erledigen und diskutierten mit Redakteuren über die anstehenden Wahlen und die Kampagne der Regierung gegen die Zeitung.

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Erschienen in arranca! #2

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