Demokratie

Präsentische Demokratie als konstituierender Prozess

In den Finanz- und Demokratiekrisen hat sich die Krise der sozialen Reproduktion in einem Maße und in einer Geschwindigkeit zugespitzt, wie es noch vor ein paar Jahren in Europa nicht möglich schien. Grundlegende staatliche Reproduktionsleistungen wie Gesundheitsvorsorge, Bildung und soziale Absicherung sind heute in Südeuropa bereits nicht mehr gewährleistet. Diese extreme Prekarisierungspolitik im Bereich der Reproduktion wird verstärkt durch eine Prekarisierung am Arbeitsmarkt. In diesem neuen europäischen Regime der Unsicherheit wird das ganze Leben in existenzieller Weise prekär.
Politische Repräsentation hat ihre Legitimation verloren, weil sie allein noch im Interesse des Marktes, der Gläubiger und der europäischen Troika zu agieren scheint. Die traditionelle konstituierende Macht (im Sinne verfassungsgebender oder rechtsetzender Gewalt) auf nationalstaatlicher Ebene, also nationale Haushalts- und Entscheidungssouveränität, erodiert in undemokratischer Weise.

Erschienen in arranca! #47

Das verzögerte Ableben des Neoliberalismus

In dieser Ausgabe der arranca! beschäftigen wir uns mit dem Thema Europa in der Krise. Warum liegt auf der Hand: „Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren: Es ist die Zeit der Monster." (Antonio Gramsci). Angesichts der aktuellen Krise wird deutlich, wie viele Fragezeichen und Ungereimtheiten wir bezüglich der politischen und ökonomischen Prozesse in Europa haben, und das obwohl europäische Staatlichkeit – nicht nur in der Krise, sondern auch in ihrem Normalbetrieb – unseren Alltag und unsere politischen Kämpfe stark beeinflusst. Die derzeitige Sprachlosigkeit ist ein Resultat jahrzehntelangen Schweigens der radikalen Linken zum Thema Europa. Vieles ist ungeklärt. Lässt sich europäische Staatlichkeit als eine materielle Verdichtung sozialer Kräfteverhältnisse fassen, ähnlich dem Nationalstaat, aber dennoch nicht identisch mit diesem? Wie funktioniert staatliche Herrschaft in einem Staatenverbund wie der EU und inwieweit ist diese umkämpft? Was folgt auf die derzeitige Etappe der Krise? Fragen, die wir dringend klären sollten. Die Eurokrise zeigt: Emanzipatorische Kämpfe müssen sich auch auf dem Terrain der EU auskennen, wenn sie erfolgreich sein wollen.

Erschienen in arranca! #45

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