Die Theorieströmung des Operaismus entwickelte sich als Antwort auf die Krise der italienischen Arbeiterbewegung in den 1950er und -60er Jahren. Die Mit-Untersuchung con-ricerca spielte bei ihrer theoretischen und politisch-praktischen Erneuerung eine zentrale Rolle, obwohl sie von Anfang an weit davon entfernt war, eine kohärente Methode zu sein. Diese konzeptionelle Uneindeutigkeit ist bis heute in den Debatten über Militante Untersuchungen präsent. Das Konzept und die operaistische Praxis eingreifender Untersuchungen bilden den Schwerpunkt dieses zweiten Teils.1
Konzepte eingreifender Untersuchungen1 stoßen derzeit wieder
auf ein gesteigertes Interesse. Wieso ist das so?
Um die wiederkehrende Aktualität besser zu verstehen, lohnt es
sich, einen Blick auf ihre historischen Entstehungsbedingungen
zu werfen.
Die „Tage von Genua“ im Sommer 2001 haben wie kaum ein anderes Ereignis der jüngeren „Bewegungsgeschichte“ Spuren in der linken Erinnerung hinterlassen – nicht nur bei denjenigen, die damals auf den Straßen waren, sondern ebenso bei den vielen anderen, die sich einer radikalen antikapitalistischen Linken verbunden fühlen. Zehn Jahre später, im Sommer 2011, beschäftigte uns besonders die Frage, wie sich Bewegungsgeschichte vermitteln lässt. Wie können Erfahrungen vermittelt werden, damit die Erinnerung nicht ausschließlich aus den wirkungsmächtigen Bildern in unseren Köpfen besteht, die die Erkenntnis über die Tragweite der Ereignisse und deren Folgen oftmals zu verstellen drohen? Im September luden wir deshalb in Münster zu einer öffentlichen Retrospektive ein, bei der wir mit drei damaligen Aktivisten (B., I. und M.) über Genua sprachen.
Der Dokumentarfilm Bandite von Alessia Proietti und Giuditta Pellegrini (Italien 2009, 52 min.) fragt nach der Rolle der Frauen im Widerstand gegen Faschismus und deutsche Besatzung in Italien zwischen 1943 und 1945. Interviewpassagen mit ehemaligen Partisaninnen, Statements von Historikerinnen und Archivmaterialien (Bilder von faschistischen Aufmärschen und der Wehrmacht, Flugblätter der Partisan_innen, Pässe und Passierscheine) – folgen in schneller Montage aufeinander. Die schnellen Schnitte und die thematische und chronologische Zusammenstellung der Interviews – vom Krieg und Waffenstillstand Italiens mit den Alliierten 1943 über die Besatzung des Landes durch die deutsche Wehrmacht, die Entscheidung für die Resistenza, die Erfahrungen im Widerstand und schließlich das Kriegsende mit dem Referendum für die Republik als neue Staatsform, in deren Verfassung die Frauen erstmals in der italienischen Geschichte das Wahlrecht erhielten – betonen die Gemeinsamkeiten der Protagonistinnen und ihrer Erfahrungen. Der Film beschreibt dabei den Kampf der Frauen in der Resistenza nicht nur als Widerstand gegen Faschismus und deutsche Besatzung, sondern betont die emanzipatorische Dimension des Kampfes, fängt die Resistenza als zentralen Wendepunkt der Geschichte von Frauen in Italien ein und schlägt immer wieder den Bogen in die Gegenwart, indem er die Bedeutung der Erinnerung an die Resistenza für linke feministische Politik in Italien betont.
Es geschah in einer eiskalten Nacht im März 2001. Es passierte in Nurio, im Bundesstaat Michoacán, Mexiko, wo sich RepräsentantInnen aller Indígenas des Landes versammelt hatten, um ein Gesetz über die Rechte der Indígenas einzufordern.
Es war das dritte Treffen des Nationalen Indígena Kongresses, der zu größten Teilen von den Zapatistas ins Leben gerufen wurde – den PoetenkämpferInnen, die die Medien geschickt einzusetzen wussten und die sieben Jahre zuvor wie aus dem Nichts aufgetaucht waren, aus den Schlupfwinkeln der Zeit. U2 hatte eben doch Unrecht: Manchmal passiert etwas am Neujahrstag. Manchmal besetzt ein Heer von Mayabauern mit vermummten Gesichtern eine Stadt und überträgt eine Botschaft an Millionen von Menschen.
Ein Interview mit Nefa Beat - Isola Posse Allstars (Bologna), Lele und Fumo - Lion Horse Posse (Mailand), Nando Popu - Salento Posse (Lette). Geführt Ende März in Berlin.
20. Juli. Genua. Zweiter Tag der Demonstrationen. Gegen Mittag machen sich vom Leichtathletikstadion Carlini über 15.000 AktivistInnen aus Süd- und Westeuropa zum Training mit den Tute Bianche auf. Ein kurzer Rundlauf biopolitischer AktivistInnen, der eine Stunde später von einem CS-Gas-Bombardement der Polizei gestoppt werden wird. Zehn, zwanzig Meter steht alles in weißem Nebel. Biopolitischer Gegenangriff. Dahinter Panzerwagen. Wer keine Gasmaske auf hat, stürmt zurück. Zurück? Da ist nichts. Keine Seitenstraße. Keine Grünfläche. Kein Platz. Links meterhoher Bahndamm. Rechts Hauswand an Hauswand. Dazwischen die zähe Größe von Tausenden DemonstrantInnen. Tute Bianche im Training kurz vor der Massenpanik.
In den langen 1950er Jahren wurde in vielen westeuropäischen Ländern eine alte Marx‘sche Vorhersage zur Realität: Der Anteil der Lohnarbeiter_innen an den Arbeitenden stieg auf einen historischen Höhepunkt, die große Mehrheit lebte vom Verkauf der eigenen Arbeitskraft. Doch der Proletarisierung folgte keine Politisierung im Sinne der traditionellen Parteien und Gewerkschaften, die aus der Zweiten und Dritten Internationale hervorgegangen waren. Überall schien die Arbeiterklasse sich mehr für die neuen Konsummöglichkeiten und das individuelle Fortkommen zu interessieren als für die Revolution. Immer deutlicher wurde, wie die Hoffnung auf die Fabrik als ‚Organisatorin der Massen’ sich nicht erfüllen würde. Die Rebellion, die am Ende des Jahrzehnts auch die Fabriken und Büros ergriff, war vielmehr ein Aufstand gegen die Arbeit einschließlich ihrer stark entfremdeten und hierarchischen Organisationen.