Krise

Krise in Bewegung

Im Oktober 2011 war es soweit: Der Startschuss für Krisenproteste von unten fiel, Deutschland beteiligte sich am weltweiten Aktionstag der Occupy-Bewegung, Menschen aus allen Bevölkerungsschichten und jeden Alters protestierten gegen die Macht der Banken. In Berlin demonstrierten gut 10 000, in Frankfurt mobilisierte Attac einige Tausend, auch in Städten wie München gingen Bürger_innen auf die Straße.

Bis dahin war es lange Zeit still gewesen in Deutschland. Die Linke hatte es nicht geschafft, die Menschen gegen die neoliberale Politik in der Finanzkrise zu mobilisieren. Proteste im Herbst 2010 gegen das Sparpaket der Bundesregierung waren ein Flop. Eine Bankenblockade in Frankfurt am Main wurde wegen zu geringer Beteiligung abgesagt. Schlechtes Wetter, Terrorwarnungen, die Wahl eines Wochentages und mangelhafte Vorbereitung führten dazu, dass zu der Bundestagsbelagerung des Berliner Krisenbündnisses im November 2010 in Berlin nicht die erhofften Massen kamen.

Erschienen in arranca! #45

V de Vivienda und die anonyme Mail

Am Anfang stand eine anonyme Mail, die im Frühjahr 2006 durch das Internet zirkulierte. Über E-Mail-Listen, Blogs, Foren, SMS und soziale Netzwerke breitete sich die Forderung nach würdigem Wohnraum aus. In den folgenden Wochen beteiligten sich tausende Jugendliche an Sit-ins in spanischen Großstädten. Die Bewegung V de Vivienda entstand. Das erste Sit-in fand im Mai 2006 auf der Puerta del Sol in Madrid statt, es folgten Versammlungen in Barcelona, Zaragoza, Sevilla, Cordoba, Bilbao, Granada, Murcia und Logrono. Einen Monat lang versammelten sich jeden Sonntag Jugendliche auf öffentlichen Plätzen. Schilder mit selbst geschriebenen Sprüchen wie „Hypothek: lebenslängliches Zuchthaus“ prägten die Versammlungen. Herkömmliche politische Parolen fehlten.

Erschienen in arranca! #44

Formierung gesellschaftlicher Projekte in der 'postneoliberalen' Konstellation

Dieser Text ist der zweite Teil des Artikels Transformationen des Kapitalismus und revolutionäre Realpolitik aus der arranca! 41

Innerhalb der derzeitigen Konstellation entwickeln sich je nach gesellschaftlichen Bedingungen und Kräfteverhältnissen unterschiedliche Absetz- und Suchbewegungen, die sich zum Teil ergänzen, sich wechselseitig beeinflussen, aber auch konkurrieren oder sich sogar antagonistisch bekämpfen. Unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen und Klassenfraktionen formieren sich in der Auseinandersetzung mit anderen zu neuen gesellschaftlichen Blöcken, das heißt zu einer Konvergenz von gesellschaftlichen Gruppen oder von Fraktionen bestimmter Gruppen um konkrete strategische Projekte herum. Gemeinsame Interessen sind dabei nicht objektiv gegeben, sondern müssen erst systematisch erarbeitet werden. Solche gesellschaftlichen Blöcke versuchen ihre politischen Projekte hegemoniefähig zu machen, Bündnisse und Koalitionen zu bilden. Auch dabei gehen die unterschiedlichen Interessen und Strategien dem Kampf nicht voraus, sondern werden vor dem Hintergrund bestehender geschichtlicher Formen, Regulationsweisen, Individualitätsformen und Alltagspraxen erst in den Auseinandersetzungen mit anderen konstituiert. Damit ein solches Projekt hegemoniefähig werden kann, müssen sich die Bedürfnisse und Interessen der Subjekte darin mit Aussicht auf Realisierung redefinieren lassen, damit es von ihnen gewollt und aktiv angestrebt wird.

Erschienen in arranca! #42

Right to the City

Die Krise findet Stadt

Die Überwindung des Kapitalismus ist nicht von heute auf morgen zu haben. Der Kampf um die Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse fängt im Kleinen an und wird auf vielen Feldern geführt. Die Herausforderung ist, die reformerischen Kämpfe an einer revolutionären Perspektive auszurichten. Die Zeichen der Zeit stehen nicht schlecht: Durch die Krise ist die Legitimität von Neoliberalismus und Kapitalismus breit in Frage gestellt. Ob die Situation in einer Befriedung und herrschaftlichen Ruhigstellung endet oder sich die Perspektive einer Überwindung der bisher als alternativlos angenommenen Verhältnisse eröffnet, wird auch von der Form linker Intervention abhängen.

Erschienen in arranca! #42

Ich glaub, ich seh Gespenster

Die Linke und wo es sonst noch spukt

Spot 1: Die Krise lernt laufen. Knapp 21 Monate sind vergangen, seit die Dominowelt des Finanzkapitalismus ins Wanken geriet. Noch im Herbst 2008 waren Notenbanker_innen, neoliberale Vordenker_innen, Manager_innen von Investmentfonds in heller Aufregung. Josef Ackermann, DAS Gesicht des Bankensektors in Deutschland, erklärte öffentlich, er habe das Vertrauen in die Selbstheilungskräfte des Marktes verloren. Wenig später wurde eines der größten politischen Tabus der vergangenen Jahrzehnte gebrochen: Der Staat schoss Abermilliarden in den Bankensektor, legte Konjunkturpakete auf, machte Schulden, bezuschusste Unternehmen, steuerte, protegierte und regulierte, was das Zeug hielt – weltweit. Der Spiegel druckte den Nachruf auf das kapitalistische „Prinzip Gier“, das unsere Welt in die Krise gestürzt habe.

Ein Jahr später ist, als wäre nichts geschehen. Eine liberal-konservative Koalition hat die Bundestagswahl gewonnen – nicht trotz, sondern mit der Ankündigung massiver Steuergeschenke für Reiche und Unternehmen. Die Idee, dass die Wirtschaft brummt, wenn die Kosten des Kapitals gesenkt werden, scheint lebendiger denn je. Dass sich der Staat das verschenkte Geld und die Kosten der Bankenrettung irgendwo wiederholen muss, ist auch der größten politischen Abstinenzler_in klar. Bislang hat sich nur in Griechenland und Island Protest gegen große Sparpakete gerührt. In Deutschland und den meisten europäischen Ländern ist es weitgehend still geblieben. Statt zu Demonstrationen mobilisiert die städtische Bevölkerung zu Massen-Karaoke (London, Hamburg), Riesen-Flashmobs (Chicago) und Kissen- oder Schneeballschlachten mit tausenden Teilnehmer_innen (Berlin und über hundert Städte auf der ganzen Welt). „Tonight I‘m gonna party like it‘s 1929!“ Der Ruf „Menschen vor Profite“, der in den Jahren zuvor Zehntausende gegen die Alleinherrschaft des Neoliberalismus auf die Straßen brachte, ist verstummt.

Erschienen in arranca! #42

Hier ist der Klimawandel, hier tanze!

In der Debatte um eine interventionistische Klimapolitik fällt auf, dass sie sich fast immer um die Frage dreht, mit welchen Inhalten die radikale Linke ins Feld der Politik eingreifen soll. Dabei stellt die ökologische Herausforderung nicht zuletzt die Form etablierter Politik selbst in Frage. Denn zum einen betrifft der Klimawandel den ganz konkreten Inhalt der Produktion und zum anderen sind ökologische Probleme wie der Klimawandel per se globalen Ausmaßes.

Erschienen in arranca! #41

Transformationen des Kapitalismus und revolutionäre Realpolitik

Systemkrise oder business as usual, zwischen diesen beiden Positionen changiert die Einschätzung der gegenwärtigen Krise. Doch weder ist der Kapitalismus als solches in der Krise, noch kann die Form kapitalistischer Entwicklung der letzten 30 Jahre einfach weiter verfolgt werden. Die spezifische Form der transnationalen, informationstechnologischen Produktions- und Lebensweise unter neoliberaler Hegemonie ist in eine strukturelle oder organische Krise geraten. Wir stehen am Beginn einer erneuten Transformation des Kapitalismus. Um seine Gestalt wird in den nächsten Jahren gekämpft werden. Wie kann angesichts der nachteiligen gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse dennoch eine sozialistische Transformation im Sinne einer revolutionären Realpolitik (Luxemburg) verfolgt werden? Also, was tun (Lenin) – und «wer zum Teufel tut es» (Harvey 2009)?

Erschienen in arranca! #41

Auf den Teppich kotzen, auf dem man steht

Kann künstlerische Arbeit eine Militante Untersuchung sein?

Argentinien Januar 2002: Die ehemalige ‚Kornkammer der Welt’ und noch heute einer der wichtigsten Exporteure von Agrarprodukten und Rindfleisch, sieht sich gezwungen, den Notstand für Nahrungsmittel auszurufen. Nahezu 45 Prozent der Gesamtbevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. Das Land ist bankrott und hat das größte Schuldenmoratorium in der Geschichte der Weltwirtschaft ausgerufen. Im internationalen Kontext scheint Argentinien lediglich die Spitze eines Eisbergs zu sein, das Symptom für eine weltweite Tendenz, die eine allgemeine Krise staatlicher Institutionen zeigt. Aus heutiger Sicht wirkt der Fall des Staatsbankrotts in Argentinien lächerlich angesichts der verzockten Milliarden US-amerikanischer und europäischer Banken. Die Krise staatlicher Institutionen ist eine Machtfrage. Deswegen gibt es hier eben keinen Staatsbankrott.

Erschienen in arranca! #39

Schönes Scheitern, hässliches Verlieren

Warum wir das Scheitern gegen das Krisenmanagement verteidigen müssen

Eine Sache, für die man nicht scheitern kann, ist nichts wert. Das gilt für Weltraumfahrer ebenso wie für Punk-Musiker: Würde man nämlich so einfach von A nach B gelangen und könnte sich dabei, wie sagt man, »treu bleiben« (und wären wenigstens die Blessuren halbwegs vorberechnet, die Begegnung mit dem intergalaktischen Körperfresser oder das Alt- und-Spießig-werden), dann wäre die ganze Bewegung ja gar nicht in der Zeit (sondern im Plan), also risikolos und unheroisch. Bleibend ist allein das Scheitern. Ist ihnen schon einmal aufgefallen, dass Nazis nicht scheitern können? (Wer bedingungslos an den Triumph der Stärke über das Schwache glaubt, für den ist Scheitern noch mehr als ein Unwert, nämlich ein Unwerden.)

Erschienen in arranca! #40

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