Organisierung

Knackpunkte

Eine Diskussion mit IL-Genoss*innen aus unterschiedlichen Städten

Der fortschreitende Organisierungsprozess der Interventionistischen Linken (IL) ist für manche Gruppen erst Anlass gewesen, sich zu gründen, während sich andere im Laufe des Prozesses verabschiedeten. Wir sprachen mit ehemaligen, neuen, sowie neuen-alten Mitgliedern über Perspektiven auf jene Fragen zum IL-Prozess, die der Artikel Teil einer Jugendbewegung sein von dsan1 und die antwort darauf Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen aufwerfen.

Die Gesprächsteilnehmer_innen Maik Kowalski ist organisiert bei JURI – Linke Gruppe, die im Sommer 2014 aus der IL austrat, Jonas ist organisiert bei der IL Wien, die sich erst vor kurzem gründete, ebenfalls wie die IL Frankfurt am Main, bei der sich Katja organisiert. Lea war bei der Gruppe FelS organisiert, verließ diese und ist bis heute beim AK Reproduktion Berlin, Mitglied in der Emanzipatorische Linke – Strömung innerhalb der Partei Die Linke (ema.Li.-Berlin) und ist aktiv im Netzwerk Care-Revolution. Mark war bei der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB), die sich im Sommer 2014 auflöste, wobei einige Mitglieder mittlerweile in der neu konstituierten IL Berlin organisiert sind.

Erschienen in arranca! #48

Teil einer Jugendbewegung sein

Das im IL-Zwischenstandspapier avisierte Parteimodell folgt anachronistischen Vorstellungen von linker Organisierung

„Wie können die Bewegungen also gerade ein zugleich globalisiertes und radikal vereinzeltes Alltagsleben zum Möglichkeitsspielraum ihrer Autonomie machen, ein Alltagsleben, das nicht nur in seiner Arbeits-, sondern auch in seiner ,Freizeit‘ dem Kapitalkommando unterworfen ist?“

Thomas Seibert: „The People of Genova, Plädoyer für eine post-avantgardistische Linke“, 2003

Erschienen in arranca! #48

Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen

Zur IL nach dem Zwischenstandspapier - Zugleich eine Antwort auf dsan1

Vier Freund_innen auf einer Terrasse in den Bergen. Alle kommen ursprünglich aus derselben Stadt. Nur eine ist wieder dort, die anderen hat es in andere Orte verschlagen. Alle sind (noch oder wieder) in der IL aktiv. Eine hat ein einjähriges Kind, zwei studieren, eine lohnarbeitet mehr als 40 Stunden pro Woche, eine war viele Jahre nicht organisiert und hat jetzt den Wiedereinstieg gewagt. Was haben wir an der Zwischenstands-IL?

Erschienen in arranca! #48

Maulwurf statt Adler

Der Kampf um den Alltag und die Risse im neoliberalen Kapitalismus

Es sieht düster aus für gesellschaftsverändernde Praxis in Deutschland! Zumindest, wenn man dem Zwischenstandspapier der Interventionistischen Linken (IL ) glauben soll: So heißt es dort, dass „der Kapitalismus in Deutschland ökonomisch und ideologisch scheinbar fest im Sattel sitzt“, weil „die Mehrheit der Lohnabhängigen und Prekarisierten hofft, an der Seite der Mächtigen besser durch die Krise und die gegenwärtigen und zukünftigen Unsicherheiten zu kommen, als mit Widerstand und Solidarität“. Während die globale und europäische Peripherie von sozialen Auseinandersetzungen erschüttert werde, herrsche in Deutschland soziale Friedhofsruhe.

Diese Perspektive ist nicht nur verkürzt. Sie birgt vor allem die Gefahr, wichtige Eingriffspunkte für gesellschaftliche Auseinandersetzungen zugunsten einer eingeschliffenen Kampagnenroutine zu übersehen. 

 

Erschienen in arranca! #48

Was ist ein Organ?

1. „Organ” vom altgriechischen „organon“ (ὄργανον): Werkzeug, Sinneswerkzeug.
2. Aristoteles’ Organon: beschreibt die Logik als Werkzeug der Wissenschaften.
3. Brechts Kleines Organon für das Theater: entwirft ein Theater, das nicht schöne Nutzlosigkeit oder spektakuläre Einzelschicksale vorgaukelt, sondern als Apparat von Aufklärung und Klassenkampf dient.
4. Lenins Aufsatz Parteiorganisation und Parteiliteratur: fordert, politische Zeitungen müssten „Organe“ werden und samt Verlagen, Lagern, Läden, Leseräumen etc. dem organisierten Proletariat unterstehen.

 

In der Biologie ist ein Organ ein Körperteil oder eine Funktionseinheit aus verschiedenen Geweben. Das Zentralorgan – bei Lenin ein Medium zur ständigen Einschätzung der politischen Lage und Vereinigung der lokalen Kämpfe durch Ermittlung einer gemeinsamen Linie – wäre in diesem Sinne wohl am ehesten Kopf oder Phallus: groß, singulär, mächtig. Prawda – du sollst keine andere Wahrheit neben mir haben! Wie steht es dagegen um die hier vorliegende Zeitschrift? Ist die arranca! bisher das Organ von FelS gewesen? Welches? Was sind ihre Aufgaben? Was heißt es für eine solche Zeitung zu arbeiten? Und was hat das mit dem Thema Organisierung zu tun?

Hirn, Herz, Hodensack?

Eine kleine Umfrage ergibt: Die Redaktionsmitglieder sahen die arranca! nicht als das Organ von FelS. Dazu sei sie zu unabhängig, laufe zu sehr nebenher. Doch wenn nicht das, sondern nur ein Organ der Organisation (irgendwie angebunden ist sie ja) – welches ist sie dann? Keine*r der Befragten nennt das umgangssprachliche (laute) Organ, das dem Einschüchtern von Feinden, Herbeirufen von Freunden, Ausstoßen von Schmerzens- und Freudenschreien dient. Zwar wird die arranca! überwiegend mit Kopf, Hirn, Augen verglichen. Auch etwas vom Herzen ist dabei. Aber das Verhältnis zum restlichen Organismus erinnert nicht gerade an eine vorwärts! schreiende Kommandozentrale. Es erscheint fremdelnd, antagonistisch, angespannt. Eine Befragte meint, die arranca! nervt manchmal ein bisschen, piekst und irritiert die anderen Teile. Ein anderer sieht sie als knurrenden Magen. Hunger, Wut, schlechte Ernährung?

Der zugehörige Organismus ist das Gegenteil eines klassisch humanoiden Körpers – dezentral organisiert: „Wie ein Wurm“, meint eine Befragte, „der hängt zusammen, kann aber auch reißen und trotzdem weiter leben“. Das Organ arranca! ist keinesfalls ein Sprechapparat für das Ganze, sondern bildet höchstens den inneren Zwist seiner Teile ab. Blockupy und seine Botschaften sind eindeutiger zuzuordnen und weiter zu hören als ihr differenziertes, vielstimmiges Gemurmel.

Dieser Körper ist eine Hydra mit Augen und Tastorganen an unterschiedlichen Stellen, der mit mehreren Mündern und Zungen zugleich, manchmal durcheinander und oft mit sich selbst spricht, für Außenstehende vielleicht schwer zu deuten, dafür aber mit der Mutanten-Schönheit einer (zumindest potentiell) wild wuchernden, exzessiven Kommunikation und Gestalt. Ist er überhaupt einem menschlichen Körper vergleichbar, der anderen Organismen gegenübersteht und, ausgestattet mit verschiedenen Organen, mit oder gegen sie agiert? Oder sollten wir ihn uns in einem umfassenderen Gefüge vorstellen: ein monströses, symbiotisches oder parasitäres Etwas, dessen Aufgabe es wäre, andere Organe zu stören, Immun- oder Hemmstoffe zu bilden? Aber hey: wer ist denn hier die Krebszelle?

Mauern und Breschen

Zurück zu Lenin, zu Macht, Mittel und Zweck. Bei ihm kommt das Organ vor allem als Werkzeug vor. In Was tun? (1902) vergleicht er die Parteizeitung mit Richtschnur und Baugerüst: das Gerüst „zeigt die Umrisse des Gebäudes an, erleichtert den Verkehr zwischen den einzelnen Bauarbeitern, hilft ihnen, die Arbeit zu verteilen und die durch organisierte Arbeit erzielten gemeinsamen Resultate zu überblicken“. Das leuchtet ein und begründet auch, warum so ein Zentralorgan singulär sein muss. Eine allen gemeinsame und sichtbare Linie soll es Gruppen und Individuen ermöglichen, ihr verstreutes Herumstümpern zu überwinden. Denn „das ist ja eben das Malheur, daß wir noch keine erfahrenen und gut aufeinander eingearbeiteten Maurer haben, daß die Steine oft ganz nutzlos gelegt werden, daß sie nicht nach einer gemeinsamen Schnur gelegt werden, sondern so verstreut, daß der Feind sie einfach fortbläst, als wären es nicht Steine, sondern Sandkörner“.

Das klassisch autonome Werkzeug wäre dagegen wohl etwas wie ein Brecheisen oder eine Sprühdose, von Einzelnen oder kleinen Gruppen einsetzbar, mehr zum Ab- oder Aufbruch als zum Aufbau geeignet, eher in Hütten oder Zelten, als auf Großbaustellen anzutreffen. Also ein Bataillon von Maurer*innen werden und eine eigene Welt errichten … – oder desertieren und in den Rissen einer fremden Welt zelten, um sie zu sprengen? Zwischen diesen Welten, über den Gegensatz hinweg versucht sich die postautonome Linke aufzustellen. Mit welchen tools? Die arranca-Mitglieder sehen ihre Zeitung – anders als ihr Ruf vermuten lässt – nicht als Spaltholz oder Flaschenpost, sondern liegen von Lenins Linie gar nicht so weit entfernt. Da ist ein Synthesizer, mit dem die steife Organisation vielleicht in Schwingung und seine Teile in einen kollektiven Rhythmus versetzt werden könnten. Da ist, weniger hedo, dafür schön handfest, ein Leim-Vergleich. Einer der Befragten nennt gar Hammer und Sichel. Allerdings liegt der Verdacht nahe, dass hier Zeitnot mit Ironie kompensiert wird.

Welcome to Machine

„Nieder mit den parteilosen Literaten! […] Die literarische Tätigkeit muß zu einem Teil der allgemeinen proletarischen Sache, zu einem 'Rädchen und Schräubchen' des einen einheitlichen, großen sozialdemokratischen Mechanismus werden“ (Lenin, Parteiorganisation und Parteiliteratur).

Wer stolpert nicht über einen solchen Vergleich? Wird so nicht das Denken, die Freiheit des Menschen zu einem schnöden Maschinenteil herabgewürdigt, abgetötet, bürokratisiert? Doch halten wir unsere antrainierten humanistischen Reflexe für einen Moment zurück! Lenins Schräubchen-Aufsatz erschien Ende 1905, nachdem der Zar, als Reaktion auf massive revolutionäre Unruhen, die Einführung bürgerlicher Freiheitsrechte und eine gesetzgebende Versammlung von Volksvertreter*innen versprochen hatte. In diesem Moment – an der Schwelle zu so etwas wie einer modernen bürgerlichen Gesellschaft – fragt er uns: wie ist es möglich, Schreiben, Lesen, Denken so zu organisieren, dass sie sich nicht nur gegen die „traditionelle“ Repression durch Polizei und staatliche Zensur richten, sondern auch gegen die kapitalistische Vereinzelung und sanfter daherkommende, ideologische Unterdrückungsmechanismen, wie Konkurrenz, Karrierismus, Abhängigkeit von Verleger*innen etc. Widerstand leisten? 

Das Organ kollektiviert, vollzieht den Schritt von der allzu menschlichen Empörung hin zu den Dingen, von den Meinungen zu den Wahrheiten, die Wirkungen sind. Das mag beängstigen. Denn es verlässt den Kreis bürgerlicher Selbstverständlichkeiten. Doch auch das bürgerliche Subjekt ist Teil einer Maschine! Mit dem Unterschied, dass es umso geschmierter funktioniert, wie es diese Tatsache verdrängt und vergisst. Auch die Bildzeitung, die Apothekenrundschau oder das Fachblatt für Ornithologie sind Organe. Noch in der Wüste füllst du den Magen eines Schakals. Moralische Empörung ist selbstgenügsam. Das Gegenteil ist Organisierung – nicht, weil wir alle so abgeklärt wären, sondern weil ein Organ sich über seine Wechselwirkungen mit anderen Organen, seine Funktion in ihrem Zusammenhang, den Nutzen für die gemeinsame Sache definiert und legitimiert. Eine politisch organisierte Zeitung ist nicht selbst schon der Zweck. Sie verschreibt sich nicht dem reinen Denken, sondern dient als Medium der Orientierung, Kommunikation und Koordination dem kollektiven Handeln.

Die Frage ist also: Nicht ob, sondern wie und als welches Organ, Werkzeug, Maschinenteil wollen wir funktionieren? Die Verdinglichung mit ihren eigenen Waffen schlagen, statt ihrer menschlichen Maske auf den Leim zu gehen! Und zwar nicht als Philosoph*in, sondern als Ingenieur*in, Mechaniker*in, Hacker*in des Denkens. Vielleicht braucht es heute mehr leninsche Linientreue und mehr antiautoritären Zorn, mehr Gift & Galle-Gazette und mehr Vereinsblatt mit Kopf, Herz und Aktivist*in des Monats, statt dazwischen in einer vermeintlichen Komfort-Zone herumzuschunkeln. Nicht wie sich der Einfluss der Organisation auf die Zeitung gering halten lässt, ist zu fragen, sondern wie wir die gegenseitigen Einflüsse maximieren und multiplizieren, das Schreiben und die Redaktionsarbeit dynamischer, effektiver, experimenteller mit dem Kollektiv verschalten können. Wollen wir nicht ein Schräubchen sein? So ein Schräubchen ist mehr als nützlich. Es arbeitet oder schreibt auch besser, weil politisch, vielleicht sogar fröhlicher, da es sich auch, aber nicht nur um sich selber dreht.

 

Erschienen in arranca! #48

Editorial

Das Schnabeltier, das Schnabeltier
vollzieht den Schritt vom Ich zum Wir.
Es spricht nicht mehr nur noch von sich,
es sagt nicht mehr: „Dies Bier will ich!“
Es sagt: „Dies Bier,
das wollen wir!“.
Wir wollen es, das Schnabeltier.

(Robert Gernhart) 

 

Liebe Leser*innen und von Organisierung Betroffene,

wir sind fusioniert. Als wir anfingen, an dieser Ausgabe zu arbeiten, waren wir noch Teil von FelS – Für eine linke Strömung. Inzwischen schreiben und denken wir als Berliner Ortsgruppe der Interventionistischen Linken (IL Berlin).

Um dieses Zusammenwachsen zu reflektieren, haben wir im vorliegenden Heft Beiträge versammelt, die sich aus verschiedensten Perspektiven mit politischer Organisierung auseinandersetzen. Das ist ein relativ zeitloses Thema innerhalb der radikalen Linken – für manche geradezu abschreckend, müffelt es doch nach grauer Vereinsmeierei und den ewig-gleichen Grabenkämpfen über allgemeingültige Lösungen und Patentrezepte. Doch es zeigt sich, dass die Facetten, Probleme und Fragen politischer Organisierung  höchst lebendig, bunt und spannend sind, wenn wir sie uns nur im konkreten Hier und Jetzt stellen.

Erschienen in arranca! #48

Arranca!-Gespräch zwischen den Berliner AA/BO-Gruppen

Ende Oktober

Als wir uns entschlossen, ein Interview mit den Berliner AA/BO-Gruppen zu machen, war uns klar, daß es nicht einfach werden würde. Die Situation in Berlin: vier Gruppen, die aus unterschiedlichen politischen Richtungen kommen, mit unterschiedlichen Geschichten, und teilweise deutlich differenten Vorstellungen. Wir finden es jedoch wichtig, Widersprüche offensiv anzugehen, um eine Annäherung zu ermöglichen und verstehen das Interview als Diskussionsgrundlage und -anstoß.

Erschienen in arranca! #5

Was tun?

Die AA/BO - eine Einschätzung von F.e.l.S.

Gerade im Gegensatz zu einem von F.e.l.S. ins Leben gerufenen und inzwischen aufgelösten Organisationsansatz (siehe Arranca Nr. 4), deren Entstehungsgeschichte zunehmend dem Versuch einer formalistischen Organisationsgründung am grünen Tisch glich, war der Organisationsansatz AA/BO von Anfang an viel organischer. Die Gruppen schlossen sich zu einer notwendig verschienenen Organisierung im Teilbereich Antifa zusammen. Von der Grundlage der politischen Arbeit der Gruppen vor Ort ausgehend, wird versucht, gemeinsame praktische Initiativen zu entwickeln, anhand derer inhaltliche Diskussionen geführt werden sollen.

Erschienen in arranca! #5

Es war einmal...

Antifa (M) zur AA/BO

Ein kritischer Rückblick auf über zehn Jahre autonomer Politik lag Anfang der '90er Jahre, aufgrund der desola­ten Situation linksradikaler Politik, für viele nahe. Die Autonome Antifa (M) machte im August 1991 mit einem "Diskussionspapier zur Autonomen Orgonisierung" genauso darauf aufmerksam wie die Gruppe f.e.l.S., die die sogenannte Heinz-Schenk-Debatte entfachte.

Erschienen in arranca! #5

Die konstituierende Macht muss organisiert werden

Gesellschaftliche Mobilisierung in Spanien

Erschienen in arranca! #47

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